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Abschaffung des Paragrafen 218 StGBFrischer Wind aus dem Norden

Kommt wieder Bewegung in die Debatte über die Legalisierung von Abtreibungen? Zur kommenden Jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen­kon­fe­renz gibt es einen Vorstoß.

Paragraf 218 durchstreichen: Dazu gibt es jetzt einen neuen Vorstoß aus Mecklenburg-Vorpommern Foto: M. Golejewski/adora press

Es gibt einen neuen Vorstoß zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Jacqueline Bernhardt (Linke), kündigte am Samstag an, einen entsprechenden Reformvorschlag kommende Woche in die Jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen­kon­fe­renz einzubringen.

Zuletzt war im Februar, noch unter der Ampelkoalition, ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss von Bundestagsabgeordneten mit der Forderung gescheitert, den Schwangerschaftsabbruch neu zu regeln und den Paragrafen 218 weitestgehend aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

„Der Schritt scheint zeitgemäß“, ließ Bernhardt mitteilen. Umfangreiche medizinische, rechtliche und sozialwissenschaftliche Betrachtungen würden nahelegen, die Strafbewehrung des Schwangerschaftsabbruchs auf den Prüfstand zu stellen, so die Landesjustizministerin.

„Mit einer Entkriminalisierung würde auch einer langjährigen Forderung gerade von ostdeutschen Frauen Rechnung getragen“, so Bernhardt weiter. In der DDR galt die Fristenlösung. Die Übernahme des westdeutschen Rechts Anfang der 1990er Jahre bedeutete für ostdeutsche Frauen einen Rückschritt ihrer Selbstbestimmung.

Offene Türen?

Die Jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen der Länder beraten am 6. und 7. November in Leipzig. Mit einem gemeinsamen Beschluss könnten sie dort Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) auffordern, zu prüfen, ob ein neuer Gesetzentwurf zur Reform des § 218 StGB vorgelegt werden kann. Rechtlich bindend ist ein solcher Beschluss nicht, politisches Gewicht hat er aber dennoch.

Sollte sich eine Mehrheit der Länder finden, dürften sie mit ihrem Vorschlag bei Hubig selbst offene Türen einrennen. Zur Regelung von Abtreibungen sagte diese zuletzt gegenüber der Zeit: „Für mich persönlich hat das Thema im Strafrecht nichts verloren.“ Es seien sehr persönliche Entscheidungen, die für die betroffenen Frauen meist existenziell seien. Im Interesse der Frauen und vieler Ärz­t:in­nen wäre es hilfreich klarzustellen, so Hubig, „dass ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten nicht rechtswidrig ist.“

Aufbauen könnte ein neuer Gesetzentwurf auf dem bereits ausgearbeiteten Entwurf „Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“, der Ende 2024 in erster Lesung vom Bundestag beraten wurde. Er sieht vor, Abtreibungen in den ersten drei Monaten rechtmäßig zu stellen. Darüber hinaus sollen Abbrüche nach den ersten drei Monaten nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Die Beratungspflicht würde bestehen bleiben, allerdings ohne eine bisher bestehende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung.

Abgesehen von vagen Andeutungen im Koalitionsvertrag, gibt es bei der schwarz-roten Bundesregierung bisher keine konkreten Anzeichen, dass das Abtreibungsrecht zeitnah liberalisiert werden könnte. Grundsätzlich gilt: Die Union möchte am Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch festhalten. Damit stellen sich CDU und CSU entgegen der klaren Mehrheitsmeinung in Deutschland. Eine im April 2024 veröffentlichte, repräsentative Bevölkerungsumfrage ergab, dass mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland eine Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen für falsch halten.

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15 Kommentare

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  • Bei 16 Bundesländern stellen stellen CDU/CSU 8 Justizminister. Es gibt nur eine einzige Landesjustizministerin der die Linke.

    Na dann rechnen wir doch mal die Erfolgsaussichten aus, dass dieser Vorschlag überhaupt zur Diskussion angenommen werden wird.

    Und selbst wenn das der Fall sein sollte (dafür müsste es an anderen Themen mangeln), wie hoch ist dann wohl die Wahrscheinlichkeit, dass sich hierdurch etwas ändert.

    So sieht bei der taz also "frischer Wind" aus. Passender wäre eher die Bezeichnung lauhes Lüftchen im Wasserglas. Damit erübrigt sich dann auch die aufgewärmte inhaltliche Debatte.

    • @DiMa:

      Selbst in der Union soll es vereinzelt vernünftige Leute geben...

  • Da werden die "Lebensschützer" gleich Mal prophylaktisch die Scheiterhaufen errichten.



    Aber dieser radikalen Minderheit sei versichert: Keine Sorge, das wird nicht umgesetzt.



    1. Kommt der Vorstoß von der Linken und



    2. aus dem Osten.

    • @Nansen:

      Diese Einschätzung ist wohl leider richtig.

  • Heiße Luft und folgenloses Getöse. Eine Mehrheit für das Vorhaben ist ohne die (nicht absehbare) Zustimmung der CDU derzeit nicht vorhanden, und das weiß auch Frau Bernhard, die sich damit allerdings gefahrlos profilieren kann.

    • @Agarack:

      Es ist gut und sehr wichtig, dieses Thema immer wieder nach vorne zu stellen, solange wie dieser mittelalterliche Paragraph Bestand hat. Profilieren wollen sich andere, nicht Frau Bernhard: viele csDU Politiker, die AgD mit ihrem verkrampften Weltbild und die "Lebensschützer" vorneweg.

      • @Perkele:

        Das finde ich inhaltlich jetzt relativ absurd, ehrlich gesagt. Von einem "mittelalterlichen Paragraphen" zu sprechen ist angesichts der Existenz von §218a aus meiner Sicht ziemlich fernliegend. Und wenn jemand einen Vorschlag ohne Erfolgsaussichten einreicht, ist es aus meiner Sicht auch nicht plausibel, der anderen Seite vorzuwerfen, sie wolle sich nur profilieren - denn die Ansicht dieser Seite ist bekannt, und es wäre absurd, zu erwarten, diese würde dieselbe aufgrund eines solchen Antrags plötzlich grundlegend verändern.

        Ich warne im übrigen auch ausdrücklich davor, hier CDU, AfD und "Lebensschützer" alle zusammenzurühren, denn die jetzige Rechtslage ist weit von dem entfernt, was sich die letzteren beiden wünschen - und wenn man einen Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern aufzieht wie in den USA, und den aktuell gültigen Kompromiss einfach beiseite wischt, erhält man im schlimmsten Falle auch das Ergebnis dieser Auseinandersetzung aus den USA.

        • @Agarack:

          Die Gesinnung ist die des Mittelalters, der Paragraph wurde später ganz in diesem Sinne eingeführt - ergo mittelalterliche Grundlage. Und csDU wollen sich gar nicht profilieren? Ist es nicht so, dass die mit ihrem sturen Festhalten an uraltem Gedankengut ausschließlich auf adäquate Wähler*innen zielen, die Lebenswirklichkeit jedoch völlig ausblenden? Was ist das anderes als Profilierung oder auch Heuchelei?

          • @Perkele:

            Ich habe nicht gesagt, dass sich die Unionsparteien nicht profilieren wollen (das wäre ja auch bei jeder Partei absurd). Ich habe lediglich gesagt, dass es keinen Sinn ergibt, ihnen das in diesem Falle zum Vorwurf zu machen.

            Und einfach nur auf die "Lebenswirklichkeit" zu zeigen, wenn es um ein Thema geht, das eng mit den Grundrechten zusammenhängt, finde ich ehrlich gesagt auch dünn. Es hat nichts mit Heuchelei zu tun, in einer Grunsatzfrage unterschiedlicher Ansicht zu sein, auch wenn man damit gesamtgesellschaftlich in der Minderheit ist. Den Wähler*innen, denen das Thema wichtig ist, bleibt immer die Möglichkeit, die Partei deshalb nicht zu wählen.

            • @Agarack:

              Diesen Argumenten verschließe ich mich nicht vollends, jedoch bei dem Thema Heuchelei bleibe ich stur: csDU heucheln Nächstenliebe, heucheln Besorgnis - meinen jedoch ihre ultrakonservative Position um eben mit dieser Täuschung zu punkten....

    • @Agarack:

      Welcher Gefahr würde sie sich denn sonst aussetzen? Das sie etwas durchsetzen will, das die Linkspartei seit Jahrzehnten im Programm hat?

      Der traurige Teil ist, dass es die Herrenriege in der Union seit Jahrzehnten schafft, Frauen grundlegende Rechte zu verweigern, die sie zumindest im Osten schon mal hatten.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Eine Ministerin der Linken hätte auch die Möglichkeit, ihr politisches Gewicht zu Themen in die Waagschale zu werfen, bei denen eine realistische Möglichkeit besteht, damit irgendeine Veränderung tatsächlich zu erreichen. Ich würde nicht mal dem Framing zustimmen, dass sie mit diesem Vorschlag irgendetwas tatsächlich durchsetzen möchte, weil ich der Überzeugung bin, dass auch Frau Bernhardt mit Sicherheit wissen muss, wie unrealistisch dieses Vorhaben derzeit ist. Im Grunde hätte sie genauso gut "Friede, Freude Eierkuchen" oder die "sozialistisch-demokratische Weltrevolution" zur Abstimmung stellen können.

        • @Agarack:

          Sie will etwas einbringen, das von der großen Mehrheit der Bevölkerung und von allen Parteien in Regierungsverantwortung außer der Union unterstützt wird.

          Natürlich muss sie das tun. Tatenlosigkeit ist nicht ihre Aufgabe.

        • @Agarack:

          Das bedeutet anders ausgedrückt, dass Politiker*innen nur das fordern dürfen, was unmittelbar Mehrheiten erreichen kann!? Das ist keine perspektivische Politik, das ist ideenlos, unambitioniert. Ich erwarte von allen Politiker*innen Engagemant für die Zukunft, Ziele und keineswegs verzagte Rechenspielchen oder Krämergeist.

          • @Perkele:

            Fordern dürfen Politiker*innen vieles. Aber ein tatsächliches politisches Verfahren ohne jegliche Erfolgsaussichten einzuleiten, ist aus meiner Sicht weder ambitioniert noch kämpferisch, sondern schlicht politisches Theater.