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Abitur in der CoronakriseUngeprüft ins Leben?

Die diesjährigen Abiturient:innen könnten ihr Abitur ohne Prüfungen bekommen. Auch wenn sich das viele wünschen, eine gute Idee ist es nicht.

In Berlin hatten Abiturient:innen ihren letzten Schultag schon Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Man muss keine Prüfungsangst haben, um diese Vorstellung richtig auskosten zu können: sich ein ganzes Schuljahr, ach was, ein halbes Leben lang auf die alles entscheidenden Prüfungen vorbereiten – um dann ohne Prüfung durchgewinkt zu werden. Was nach einer wilden Schüler:innen-Fantasie klingt, könnte bald Wirklichkeit sein. Denn auch wenn alle Bundesländer noch offiziell daran festhalten, trotz geschlossener Schulen Abiturprüfungen abzuhalten, und dies teilweise jetzt schon durchziehen wie Hessen seit vergangenem Donnerstag: Die Kultusminister:innen spielen natürlich längst das – aus ihrer Sicht – Worst-Case-Szenario durch. Und das lautet: Das Schuljahr muss vorzeitig abgebrochen werden, die Abschlussprüfungen entfallen.

Was in diesem Fall passiert, hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Stefanie Hubig kürzlich im besten Merkeldeutsch insinuiert: Es werde eine entsprechende Regelung geben, bei der die gegenseitige Anerkennung unter den Ländern gesichert sei. Niemand werde, versicherte Hubig, wegen Corona einen Nachteil erleiden. Was wohl so viel heißen soll wie: Die Schüler:innen erhalten im Ernstfall auch ohne Abschlussprüfungen ihr Abitur. Am Dienstag Nachmittag dann sprach sich mit Karin Prien die erste Bildungsministerin für diese Maßnahme aus. Am Mittwoch soll das Landeskabinett von Schleswig-Holstein über Priens Vorschlag abstimmen.

Selbst der Deutsche Philologenverband, der in der Vergangenheit vor allem dadurch auffiel, dass er Jahr um Jahr die immer viel zu guten Abischnitte geißelte, scheint sich mit dieser Notlösung ganz gut arrangieren zu können. So hält dessen Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing die Abiprüfungen plötzlich gar nicht mehr für „zwingend“ notwendig, wie sie am Dienstag zur allgemeinen Überraschung erklärte. Denn die Abiturnote stehe ja bereits vor den Prüfungen zu zwei Dritteln fest, die Berechnung der Abinote sei also kein Problem. Wirklich nicht?

Was das Mathematische angeht, mag das stimmen. Wenn man aber die emotionale Komponente betrachtet: auf keinen Fall. Schon jetzt sind Schüler:innen in Bayern oder Baden-Württemberg äußerst genervt darüber, dass ihre Abiprüfungen bis in die zweite Maihälfte verschoben worden sind – während sie in Hamburg oder Niedersachsen wie geplant stattfinden sollen. In Rheinland-Pfalz werden übrigens heute schon die allerletzten mündlichen Prüfungen abgelegt.

Faire Bewertung wäre schwierig

Jetzt nur mal angenommen, die Abiturprüfungen in München und Stuttgart fallen aus, während sich die jungen Leute in Hamburg und Hannover nach jeder bestandenen Prüfung ordentlich abfeiern. Auch wenn die Partys dann unter etwaigen noch geltenden Kontaktverboten leiden – man kann sich ausmalen, wie schal sich im Vergleich dazu ein „geschenktes“ Abitur anfühlt.

Zumal dann sicherlich sofort die Diskussion um die Vergleichbarkeit der Leistungen aufflammen dürfte, die schon ohne ausgefallene Abiprüfungen hitzig genug ist. Schon jetzt berechnet jedes Land die Abinoten anders. Wie soll man noch fair bewerten können, ob eine 2,0 in Thüringen mit geschriebenen Prüfungen vergleichbar ist mit einer 2,0 aus Bayern, wo nur die Leistungen ohne Abiprüfung zählen? Oder anders formuliert: Wenn auch nur ein Bundesland die Prüfungen absagt – und Hubigs Doktrin des ausgeschlossenen Nachteils greift –, ist die Kacke am Dampfen.

Erst mal müssten sich die Länder dann auf eine gemeinsame Bewertungsskala einigen. Dann müssten auch die Hochschulen mitziehen, die bei der Auswahl ihrer Studierenden schließlich ein Wörtchen mitreden wollen. Das Problem liegt ja auf der Hand: Wer bevorzugt nicht eine Physikstudentin, die auch in einer Stresssituation glatte 15 Punkte abgeräumt hat? Die Hochschulen stünden unter ständigem Rechtfertigungsdruck für ihre Auswahl. Möglicherweise bis vor Gericht. Von den psychischen Folgen für die Abgewiesenen ganz zu schweigen.

Was also tun? Um ein einigermaßen vergleichbares Abitur sicherzustellen, bliebe theoretisch natürlich noch die Möglichkeit, die Abiturprüfungen derer zu annullieren, die sie noch schreiben mussten. Doch das wäre mit Abstand die absurdeste Lösung. Schon letztes Jahr haben die Abiturient:innen (Stichwort: zu schweres Mathe-Abi) bewiesen, dass sie sich nicht mehr alle föderalen Ungleichheiten gefallen lassen – und ordentlich Druck auf die Kultusministerien ausüben können. Es ist also schwer vorstellbar, dass sie sich dieses Jahr trotz Coronachaos erst auf die Abiprüfungen vorbereiten und sie dann noch mitschreiben, nur um sich dann die sauer erbüffelten Leistungen wieder wegnehmen zu lassen.

Nein, jetzt wo ein Bundesland schon mit den Abiprüfungen durch ist, müssen sie auch in allen anderen Ländern stattfinden, auch wenn sich das im Einzelfall noch über Monate hinzieht. Alles andere wäre genau das, was die Politik verhindern möchte: ein Nachteil für die Betroffenen.

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12 Kommentare

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  • Es darf wohl vermutet werden, dass man die gewollte Gerechtigkeit bei der Studienplatzvergabe versucht dadurch herzustellen, indem man das bei den Unis und Fakultäten direkt bestehende Auswahlverfahren nochmals ausweitet.

  • Worin besteht eigentlich genau das Problem? Die Schulen sind leer. Die Abiturienten könnten unter Einhaltung großzügiger Abstandsregeln auf alle Klassenräume verteilt werden und die schriftlichen Prüfungen absolvieren.



    Corona wird langsam zur Entschuldigung für alles.

  • Nur keine Angst: Das Notabitur ion Kriegszeiten hat uns hervorragende Lehrer und Politiker ermöglicht

  • Es gibt hier, glaube ich, keinen Königsweg.

    "Zumal dann sicherlich sofort die Diskussion um die Vergleichbarkeit der Leistungen aufflammen dürfte,"

    Bei den Medizinstudenten beratschlagen sie gerade, ob sie nicht das zweite Staatsexamen Medizin (M2) nicht auf 2021 verschieben, die jetzt das praktische Jahr machen lassen und nächstes Jahr M2 und M3 zusammen machen.

    Das wäre ein Brett. Vor allem müsste man für M2 nächtes Jahr praktisch allen Stoff nochmal durchgehen, wie wäre denn da eine einigermaßen objektive Vergleichbarkeit mit dem Jahrgang vorher oder nachher darstellbar.

    www.aerzteblatt.de...eingefuehrt-werden

  • wie kommt es nur, dass alle möglichen Leute immer (noch) ud um jeden Preis versuchen Gleichmachereri hinzubekommen.

    Vergleichbarkeit ist eine Illusion.

    Jede Klasse ist andes jeder Lehrer oder Lehrerin ist anders, jede Schülerin /Schüler ist ander.

    Das eigentliche Ziel von jahrelangem Schulbsuch lieht doch nicht darin orgendwelche Noten zu "erwirtschafte".

    Das wesentliche sollte doch sein endlich anzuerkennen, dass Schüler*innen Lernen lernen.

    In den letzten Jahren hat sich doch sowieso diese "Fitmachern für den Arbeitsmarkt Mentalität" in den Leeeeeeeeeeeeehrbetrieb eingeschlichen.



    ALs wenn drei oder veeir TAge rumsitzen und Normaufgaben abliefern etws über Bildung aussagen würden.



    Einfach lächerlich.

    Mittlerweile haben Teile der jüngeren Genration - wie Herr Pauli wohlach - dies schon so verinnerleicht, dass sie das ganze nict mehr sehen.



    Soweit kann ich "Leser" verstehen.

  • Höchste Zeit, den Bildungsföderalismus abzuschaffen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Im Zweifelsfall gibt es ein Notabitur und die Unis führen Aufnahmeprüfungen ein (was eh sinnvoll wäre).

  • 0G
    00684 (Profil gelöscht)

    "Nein, jetzt wo ein Bundesland schon mit den Abiprüfungen durch ist, müssen sie auch in allen anderen Ländern stattfinden, auch wenn sich das im Einzelfall noch über Monate hinzieht. Alles andere wäre genau das, was die Politik verhindern möchte: ein Nachteil für die Betroffenen."

    Es herrscht bereits ein Konsens darüber, dass die gegenwärtige Epidemie die größte Herausforderung der Bundesrepublik seit dem 2. Weltkrieg darstellt. Unser Bildungssystem stellt keine Insel am Rande des Pazifiks dar, welches von äußeren Einflüssen abgeschirmt ist. Es ist somit schlicht unmöglich, auf unsere "normalen" Grundsätzen (niemand wird benachteiligt usw.) zu bestehen , wenn die halbe Welt sich in Quarantäne befindet und sowas wie ein öffentliches Leben nicht mehr stattfindet. Die diesjährigen Abiturienten werden entweder benachteiligt oder bevorzugt. Vielleicht ist das nicht ganz fair, es ist aber unumgänglich.

  • Die Zeit muss für alle angehalten werden.



    Dann wenn die Pandemie vorbei ist, kann es wieder weiter gehen.



    So ist es beim Bibliothekskonto: mehr Verlängerungen möglich, keine Mahngebühren. Bücher die nicht abgeholt werden können, weil die Gebäude zu sind, bleiben so lange liegen.



    Das Abitur muss schon aus Gerechtigkeit mit mündlicher Prüfung abgeschlossen werden: diejenigen, die im schriftlichen schlecht abgeschlossen hatten, würden die Chance haben es mit den mündlichen Prüfungen etwas auszugleichen.

    • @nzuli sana:

      Jawohl.



      Sofort.



      Und das Virus verbieten.







      Kein Abitur war je gerecht oder gleich.



      Man sollte den Abschluss in diesem Jahr dann auch tatsächlich für alle freigeben OHNE NOTEN.

      Und eben auch die Anforderung bei Auswahlverfahren freigeben.

      Dann hätten dieses Jahr einmal alle die gleichen Chancen und nicht nur diejenigen die keine Prüfungsangst kennen oder nicht Lieblinge ihrer Lehrkräfte waren.

  • [...]

    Pauli macht sich mal wieder sehr unreflektierte und vor allem unrecherchierte Gedanken zur Schulbildung. Er weiß genau, wo die Probleme auftreten könnten und stellt Forderungen, dass dies eben verhindert werden solle. Er dachte nicht eine Zeile lang nach, wie das wohl realisiert werden könne. Er tut so, als sei auch in der gegenwärtigen Situation "Gerechtigkeit" im Bildungswesen erreichbar. Nur formuliert er natürlich nicht wie. Und keine Frage an die GEW, die Kultusbehörden, andere Lehrer*innenverbände, Schüler*innenvertretungen, Jurist*innen, ....

    [...]

    Kommentar bearbeitet. Bitte kommentieren Sie respektvoll:

  • In Ausnahmezeiten muss es auch Ausnahmen geben können. Dann ist eben nicht alles vergleichbar.



    Im WK2 wurden Schuljahre nicht beendet, keine Abschlüsse erzielt, bis in die 60er konnte das Studium mit einer 30zig seitigen Dissertation abgeschlossen werden, nicht erst Bachelor, Master und dann 4 Jahre promovieren. Alles nicht vergleichbar.

    (wobei die Begründungen für einen Ausfall, die in dem anderen Artikel gegeben wurden, nicht stichhaltig sind: Ansteckungsgefahr über ausgetauschte Stifte oder Tischoberflächen... das kann man alles leicht vermeiden. Es gibt auch große Hallen, in denen man mehr als 2m auseinander sitzen kann. Insofern, gibt es keinen wirklich Grund es ausfallen zu lassen)

    Viel interessanter als das möglicherweise ausfallende Abitur ist, was mit dem Schuljahr oder dem Semester passiert. Vor Mai, eher Juni wird es kaum eine Rückkehr zum normalen Lehr- und Lernbetrieb geben. Hoffentlich machen sich manche schon darum Gedanken. Wobei, siehe oben.