Protest gegen Abi-Prüfungen: „Wann soll ich mich konzentrieren?“
Abiturienten fordern in einem Offenen Brief die Absage der Prüfungen. Die Corona-Krise lasse keine Vorbereitung auf Klausuren zu, sagt Johanna Todaro.
taz: Frau Todaro, Sie machen gerade Ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und haben mit anderen KollegiatInnen einen Offenen Brief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verfasst, in dem Sie dafür plädieren, die Abi-Prüfungen in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie zu verschieben. Was wäre dadurch für Sie gewonnen?
Johanna Todaro: Wir haben viele Alleinerziehende am Kolleg, die meisten müssen nebenher arbeiten – und die meisten dieser Jobs brechen jetzt in der Corona-Krise weg. Einige meiner MitschülerInnen sind in Quarantäne zu Hause, ich übrigens auch seit vergangener Woche. Gleichzeitig habe ich eine Tochter, die in die dritte Klasse geht und mit der ich jetzt täglich Aufgaben für die Schule machen muss. Wann soll ich mich da noch auf meinen Bio-Leistungskurs konzentrieren? Abends, theoretisch, aber da ist die Konzentration auch nicht mehr so, wie sie sein müsste.
Keine guten Bedingungen, um sich auf das Abitur vorzubereiten.
Nein. Viele sind völlig deprimiert, haben keinen Job mehr. Da ist es schlicht nicht möglich, frei von Ängsten zu lernen. Und Existenzsorgen, eventuell auch noch eine Qurantänesituation mit kleinen Kindern zu Hause, das betrifft uns ältere AbiturientInnen natürlich nochmal mehr als die AbiturientInnen, die jetzt 18, 19 sind. Wobei natürlich auch sie betroffen sind und mit dieser außergewöhnlichen Situation umgehen müssen.
Sie kritisieren auch, dass eine Prüfungssituation gesundheitlich eine Gefahr wäre.
Ja, wir fragen uns, wie man den nötigen Abstand bei den Prüfungen sicher stellen will. Wie gesagt, einige von uns sind schon in Quarantäne, ich wurde vergangene Woche zufällig positiv getestet, weil ich in einer Arztpraxis jobbe – ich bin bisher aber symptomfrei. Was, wenn man sich bei den Prüfungen den Virus einfängt? Wie gesagt, bei vielen von uns hängen da auch schon Familien zu Hause dran.
Was ist mit denen, die auf die Prüfungen gebaut haben? Immerhin bringen die ein Drittel der Gesamtpunkte fürs Abitur.
Das ist bei uns weniger ein Thema. Klar könnte es sein, dass einige dann bei so einem „Durchschnitts-Abitur“ nur einen Schnitt von 3,0 erreichen. Aber in der Regel fallen die Prüfungen ja gleich gut oder im Schnitt schlechter aus als in den schon geschriebenen Klausuren. Und unter diesen noch nie da gewesenen Umständen ist davon auszugehen, dass es wohl eher schlechter sein wird.
Der Landesschülerausschuss will erreichen, dass es eine freiwillige Zusatz-Prüfung gibt für alle, die ihren Schnitt verbessern möchten. Wäre das ein Kompromiss?
Das fände ich tatsächlich sehr fair. So etwas könnte man ja auch online oder über Skype machen.
Die Technische Universität denkt bereits darüber nach, Klausuren online schreiben zu lassen: Zum Beispiel zwei Stunden Zeit für ein Aufgabenpapier, das man dann rechtzeitig hochladen muss...
Das ist eine Idee. Aber funktioniert das auch bei der Masse an AbiturientInnen? Außerdem können da auch die Ausgangsbedingungen für den Einzelnen sehr ungleich sein: Man braucht eine gute Internetverbindung, es muss Raum dafür da sei. Und außerdem bleibt ja das Problem der Vorbereitung: die Bibliotheken sind zu, Lerngruppen können sich vielleicht über Skype treffen, aber wenn man dann mit dem Kind zu Hause sitzt, geht das auch nur eingeschränkt.
Noch sind die Abitur-Klausuren nicht abgesagt. Wie bereiten Sie sich gerade auf die Prüfungen vor?
Ich kann mich derzeit überhaupt nicht darauf vorbereiten. Ich bin mit meinem Kind alleine in der Quarantäne, mein Mann muss draußen bleiben, um sich nicht anzustecken. Ich habe keinerlei Unterstützung.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!