Abgeschoben aus der Psychiatrie: Vor der Klinik wartet die Polizei
Osnabrück hat Lame K. abgeschoben – aus einer Klinik, in der der 34-Jährige wegen Suizidgefahr Hilfe gesucht hatte. Die Stadt sieht sich im Recht.
![Polizeibemate schieben einen Schwarzen Mann in einem Rolltuhl von links nach rechts durchs Bild. Im Hintergrund ist ein Krankenhaus zu erkennen Polizeibemate schieben einen Schwarzen Mann in einem Rolltuhl von links nach rechts durchs Bild. Im Hintergrund ist ein Krankenhaus zu erkennen](https://taz.de/picture/7505416/14/Ameos-1.cleaned-1--1.png)
Videos und Fotos von No Lager zeigen Szenen der Gewalt: Bei dem Polizeieinsatz fixieren Uniformierte K. am Boden, er trägt Handschellen. „Kill me!“ ruft er immer wieder. Solidarische AktivistInnen werden von Polizisten angebrüllt, zurückgestoßen, eingekesselt und niedergerungen.
„Am Ende waren rund 30 Polizisten vor Ort“, beschreibt No-Lager-Aktivist Carl Dütting* den verstörenden Vorfall. „Von uns ging keine Eskalation aus. Dennoch wurden einige von uns unter dem Vorwurf des Widersetzens gegen Vollstreckungsbeamte, also einer Straftat, festgenommen. Auf der Wache wurden wir auf eine Zelle verbracht und anschließend einer erkennungsdienstlichen Maßnahme unterzogen.“
Halfen Klinikmitarbeitende?
Die Klinik hat die Abschiebung unterstützt. Ein Video zeigt eine Mitarbeiterin, die den Rollstuhl bringt, in dem K. zum Fahrzeug geschoben wird. Krankenhauspersonal, erklärt No Lager, habe Protestierende auch mit Worten fernzuhalten versucht. „Abschiebungen aus Schutzräumen wie Krankenhäusern erschüttern das Vertrauen in medizinische und therapeutische Einrichtungen massiv“, schreibt Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen.
Claire Deery, Rechtsanwältin, über ihren Mandanten Lame K.
Nur Tage vor dem Polizeieinsatz war K. vom Landgericht aus einer rechtswidrigen Abschiebungshaft entlassen worden: Die Gefahr, dass der 34-Jährige sich den Behörden entziehe, bestehe nicht, fand das Gericht. Die drohende Abschiebung habe „starke Ängste“ bei K. ausgelöst, erklärt der Niedersächsische Flüchtlingsrat. Die Maßnahme hätte „unter diesen Umständen niemals stattfinden dürfen“. Die Härte gegen No Lager bezeichnet der Flüchtlingsrat als „völlig unverhältnismäßig“ und „Kriminalisierung“.
„Unsere Mitarbeitenden begleiteten die betroffene Person zur psycho-sozialen Unterstützung während der Abholung durch die Polizei“, antwortet Kliniksprecherin Verena Mack auf Anfrage der taz. Mitarbeitende der Klinik hätten nicht versucht, ZeugInnen des Geschehens fernzuhalten. Vielmehr hätten diese sich „immer weiter genähert, unsere Mitarbeitenden lautstark und teilweise bis aufs Übelste beschimpft“, so Mack.
Seit dem Jahr 2018 sei K. verpflichtet gewesen, Rückreisepapiere zu beschaffen, so Simon Vonstein, Sprecher der Stadt Osnabrück. „Daran wurde er durch die Ausländerbehörde insgesamt 26 Mal erinnert.“ Er habe sich „mehrmals Abschiebeversuchen entzogen“. Ein Folgeantrag auf Asyl sei vergangenes Jahr gescheitert. „Psychische Erkrankungen hat er beim Stellen dieses Antrages nicht geltend gemacht.“
Am 21. Januar habe die Ausländerbehörde K. dann aufgefordert, sich auf seine Ausreise eine Woche später vorzubereiten. K. ging ins Klinikum – gegen die Abschiebung half das nicht. „Die Entlassungspapiere des Ameos-Klinikums“, so Vonstein, „beinhalten keine Hinweise, dass gesundheitlich etwas dagegen spricht.“
„Krank,nicht nur psychisch“
„Das alles ist sehr frustrierend, sehr undurchsichtig“, sagt K.s Anwältin Claire Deery. „Mein Mandant hat sich den Behörden gegenüber immer vorbildlich verhalten, deswegen wurde er ja auch aus der Haft entlassen. Er hatte eine Verlobte hier in der BRD, war nicht gewalttätig. Aber er war krank, nicht nur psychisch. Dass man ihn so aus einer Klinik herausholt, ist schlimm.“
Die Klinik hätte K. als nicht reisefähig einstufen können, so Deery. „Sie hat meinen Mandanten ausgerechnet in dem Moment entlassen, als bei ihr die Polizei vor der Tür stand.“ Vor seinem Klinikaufenthalt sei K. von einem Facharzt behandelt worden. Darüber gebe es einen Arztbrief. Das Klinikum habe ihn gekannt, auch die Ausländerbehörde. „Diese Sicht wurde ignoriert.“
Deery beschreibt ihren Mandanten als traumatisiert: „Er hatte ja schon vorher zwei Abschiebeversuche erlebt. Beide sind an Krankheitsgründen gescheitert, beide waren nicht gewaltfrei.“ Der dritte nun gelang. Für eine Rückkehr K.s kann Deery nichts tun. „Aber natürlich gibt es noch Fragen, zumal datenschutzrechtliche. Da brauchen wir Antworten.“
Jetzt lebt K. wieder in Gambia, einem Land, aus dessen Armut und Gewalt er einst floh: über Libyen, wo er monatelang Opfer erpresserischen Kidnappings wurde, mit Folter und Hunger.
Seine Abschiebung beschreibt er gegenüber der taz als „absolut inhuman“.Erst habe man ihm im Krankenhaus eine Behandlung seiner Posttraumatischen Belastungsstörung zugesagt. Später habe ein Arzt gesagt, er könne nicht „aus politischen Gründen“ hier sein. „Ich habe gesagt, meine Krankheit hat nichts mit Politik zu tun“, so K. – nicht viel später kam die Polizei.
Ein Arzt und drei Polizisten hätten ihn nach Gambia gebracht, so K. Kein Arzt habe ihn abgeholt, was ihm zugesagt worden sei. Am Flughafen seien ihm seine Papiere abgenommen worden. Er habe keinen festen Schlafplatz, erzählt er, und von Alpträumen, Kriminalität, Chancenlosigkeit. Davon, dass er sich Gerechtigkeit wünscht – und eine Rückkehr nach Deutschland.
Was die Zukunft für ihn bereithält? „Nichts“, schreibt K. „Ich habe keine Hoffnung. Ich kann hier jede Minute sterben.“
*Name ist der Redaktion bekannt
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