Abgeordneter über Olympia-Gedankenspiele: „Es kommt zu Vertreibungen“
Der Abgeordnete Mehmet Yildiz warnt vor Olympia-Bewerbung Hamburgs. Da die Bevölkerung dies 2015 ablehnte, ignorierten solche Pläne deren Willen.
Mehmet Yildiz: Ja, weil sich beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen Vertragsbedingungen nichts geändert hat. Bedingung ist, dass eine gigantische Infrastruktur und Stadien gebaut werden, wobei die Städte komplett die Kosten übernehmen müssen.
Es ist nicht gut für die Stadt?
Nein, in sämtlichen bisherigen Austragungsorten hatte das negative Auswirkungen, strukturell und finanziell.
Was wissen Sie denn über die neuen Olympia-Pläne?
Bisher nur, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) eine Bewerbung für 2036 oder 2040 erwägt und die Sportbehörde in Hamburg über eine Beteiligung nachdenkt. Deshalb habe ich eine Anfrage gestellt, wie die Pläne aussehen. Als sich die Hamburger 2015 gegen die Olympiabewerbung für 2024 entschieden, ging es grundsätzlich um die Bedingungen von Olympia.
Was war damals passiert?
Soll Deutschland sich um die Olympischen Spiele in 2036 oder 2040 bewerben? Darüber, ob, und wenn ja, welche Städte dafür in Frage kommen, will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) bis Ende 2023 entscheiden. Angekündigt ist ein Dialog mit Sport, Politik und Gesellschaft.
Weil keine deutsche Kommune eine komplette Infrastruktur mehr vorhält, will der DOSB laut Hamburger Abendblatt mehrere Städte gemeinsam oder eine ganze Region ins Rennen schicken. Auch bei den Winterspielen in Peking 2022 lagen mehrere Hundert Kilometer zwischen den Wettkampfstätten.
Hamburg wäre – wahrscheinlich gemeinsam mit Berlin – einer der Kandidaten für die Sommerspiele 2036 oder 2040, berichtet der NDR. Da sich vor sieben Jahren eine dünne Mehrheit der Hamburger dagegen entschieden hat, sollten diesmal alle Menschen mitgenommen werden. Motto: „Allympics. Für alle. Mit allen“.
Die Hamburger Sportbehörde begrüßt den ergebnisoffenen Dialog. „Grundlage einer deutschen Bewerbung muss eine breite Akzeptanz der Bevölkerung sein“, sagt ihr Sprecher. Deshalb solle die übergreifende Nutzung mehrerer Sportstätten überlegt werden. Es sei die Chance, Menschen anderer Länder willkommen zu heißen und „Verbindungen zu schaffen“.
Hamburg bereitete 2015 schon mal unter dem Motto „Feuer und Flamme“ die Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 vor. Dagegen richtete sich die Kampagne „NOlympia“. Daneben starteten Olympia-Gegner 2015 die Volksinitiative „Stop Olympia Hamburg“. Gleichzeitig forderte die Bürgerschaft von sich aus am 29. November 2015 die Hamburger auf, über die Olympia-Bewerbung abzustimmen. Die knappe Mehrheit von 51,6 Prozent war dagegen.
Es gab ein Bürgerschafts-Referendum, ob 2024 in Hamburg die Sommerspiele stattfinden dürfen. Die Mehrheit, 51,6 Prozent der Hamburger, war dagegen. Bringt der Senat 2023 erneut eine Bewerbung ins Spiel, ignoriert er faktisch diese demokratische Entscheidung.
Ist es nicht legitim, etwas neu zu fragen? Es wird auch alle fünf Jahre wieder gewählt.
Ja, aber es ging damals um eine Grundsatzfrage: Wollen wir unter solchen Bedingungen des IOC die Spiele austragen? Die Erfahrung für die Austragungsorte ist, dass riesige Investitionen von 20 bis 50 Milliarden Euro gefordert werden, die letztendlich die Steuerzahler bezahlen. Die Städte müssen Knebelverträge unterschreiben. Es kommt zudem zur Vertreibung von ärmeren Menschen und Gentrifizierung. Die lokale Wirtschaft verdient nichts, sondern nur vom IOC ausgewählte große Sponsoren. Deshalb haben die Menschen dagegen gestimmt. Wir sollten dieses Geld lieber für Hamburg, für soziale Projekte und für Breitensport ausgeben. Immerhin erleben wir gerade eine Krise. Durch Krieg und Sanktionen sind Lebenshaltungskosten und Inflation noch weiter gestiegen. Da fehlt den Menschen jeder Groschen.
Nun sollen es diesmal Spiele sein, die alle Menschen mitnehmen. Und die auch nicht Hamburg allein austrägt, sondern etwa mit Berlin. Klingt doch vernünftig, oder?
Nein, die negativen Konsequenzen werden dann nur auf mehrere Städte verteilt. In der Regel dürfen sich auch nicht zwei Städte bewerben.
Aber in China waren mehrere Spielstätten beteiligt. Wenn sich jetzt ganz Deutschland mit vielen Städten bewirbt, könnte es doch eine schöne Sache werden?
Wir müssten auch dann den Knebelverträgen zustimmen.
Was ist daran so schlimm?
Die Städte oder Länder müssen die Gesamtkosten übernehmen. Wie kann es sein, dass Sponsoren und IOC durch Olympia Milliardengewinne machen und selber keinen Beitrag leisten? Während Olympia gibt es Bannmeilen, in deren Bereich ausgewählte Sponsoren die einzigen sind, die verkaufen dürfen, und die Läden vor Ort leiden. Wenn tatsächlich Olympische Spiele stattfinden sollten, was ich im Grundsatz befürworte, müssten auch das Gewerbe und die Menschen vor Ort davon profitieren. Die Kosten müsste das IOC tragen und nicht die Steuerzahler. Und es dürften keine Strukturänderungen wie der Neubau eines olympischen Dorfes oder aufwendige Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben sein. Das könnte alle mitnehmen.
Und dann wäre es okay?
Ja. In Hamburg fand 2018 die Rollstuhlbasketball-WM statt. Das war ein richtig gutes Konzept, da wurde die ganze Stadt mitgenommen.
Sie sind im Thema. Würden Sie Hamburg helfen, eine gute Bewerbung zu formulieren?
Unter den jetzigen Bedingungen nicht. Das Problem ist das IOC, eine undemokratische, profitorientierte Organisation.
Wenn sich Demokratien nicht beteiligten, fände Olympia nur noch in Autokratien statt.
45, Elektroinstallateur, ist fraktionsloses Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und war 2015 Mit-Initiator der Kampagne „NOlympia“.
Wenn die Menschen in demokratischen Staaten sich gegen die Fußball-WM oder Olympia entscheiden, liegt das daran, dass sie die Autokratie der Fifa und des IOC ablehnen. Die müssen sich ändern, damit auch Menschen in Demokratien die Spiele gerne unterstützen.
Was kann Deutschland tun, damit das IOC sich verändert?
Der DOSB könnte sich stark machen und sagen: So beteiligen wir uns nicht. Wir könnten auch drauf verzichten, die teuren Fernsehrechte zu kaufen.
Ist nicht Olympia gerade jetzt wichtig, da völkerverbindend?
Sport hat etwas Verbindendes. Wir können aber auch selber internationale Feste organisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!