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Abgeordnetenhaus„Zweck heiligt nicht alle Mittel“

Parlamentspräsident Dennis Buchner (SPD) über Blockadeaktionen von Klima-Aktivisten, das Eilverfahren beim Nachtragshaushalt und mögliche Neuwahlen.

Dennis Buchner (SPD) ist der jüngste Präsident des Abgeordnetenhauses seit Willy Brandt in der 50ern Foto: dpa
Interview von Stefan Alberti

taz: Herr Buchner, während wir jetzt beim Morgenkaffee zusammensitzen, blockieren wieder einige wenige Menschen viele andere an Autobahnauffahrten. Die Rechtfertigung: Parlament und Regierung tun zu wenig gegen die Klimakrise. Was sagen Sie als Parlamentspräsident dazu?

Dennis Buchner: Die Grundannahme stimmt nicht: Ich finde schon, dass das Thema Klimaschutz in den letzten Jahren sowohl im Bundestag als auch im Abgeordnetenhaus eines der Themen ist, die am häufigsten angesprochen werden. Und ich finde außerdem, dass wir dabei auch schrittweise vorankommen. Dass es Ungeduld gibt, kann ich nachvollziehen. Allerdings heiligt der Zweck auch nicht alle Mittel.

Im Interview: Dennis Buchner

Dennis Buchner, 45, wurde 2021 nach zehn Jahren als Abgeordneter und sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion zweitjüngster Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses – jünger ins Amt kam nur Willy Brandt in den 1950er Jahren. Buchner, wie Brandt geboren in Lübeck, studierte Politikwissenschaften, war von 2014 bis 2016 SPD-Landesgeschäftsführer und ist Co-Chef des SPD-Kreisverbands Pankow.

Bei Grünen und Linkspartei als Koalitionspartner der SPD ist nicht gerade viel Ablehnung für die Blockade-Aktionen oder falschen Feueralarme wahrzunehmen.

Ich glaube nicht, dass die Aktionen der letzten Tage – etwa Kunstwerke mit Tomatensuppe zu übergießen – dem gemeinsamen Ziel, mehr Klimaschutz zu erreichen, zuträglich sind. Die Aktivisten erweisen dem Ziel stattdessen einen Bärendienst. Denn das Verständnis bei Menschen, die nicht so dicht an dem Thema dran sind, dass es jetzt einschneidende Maßnahmen braucht, um die Erderwärmung zu stoppen und den Klimaschutz zu verbessern, geht durch solche Aktionen zurück.

Sie sind noch nicht mal ein Jahr Präsident, doch ein Ende könnte absehbar sein: Wäre heute schon die mutmaßlich Mitte Februar anstehende Wiederholungswahl, würde die SPD laut Umfragen nur drittstärkste Partei und nicht mehr den Parlamentspräsidenten stellen.

Erstens sind Umfragen keine Wahlergebnisse. Und zweitens hat die SPD in Berlin sehr oft gezeigt, dass sie Wahlen gewinnen kann, auch wenn sie vorher keine Umfragen gewonnen hat. Insoweit warten wir doch das Ergebnis ab.

Sie haben kurz vor der Verhandlung des Verfassungsgerichts zu den Wahlpannen gesagt, da werde etwas zu Unrecht skandalisiert und es sei „kein Schaden für die Demokratie entstanden“. Das Gericht sah das drei Tage später ganz anders. Warum haben Sie sich derart aus dem Fenster gelehnt?

Das Zitat ist jetzt sehr aus dem Zusammenhang gerissen. Was ich gesagt habe, war, dass allein eine lange Schlange vor einem Wahllokal noch kein Grund ist, skandalisiert zu werden. Ich habe kürzlich die Parlamentspräsidentin Kataloniens getroffen und erzählt, dass bei uns kritisiert wird, dass man an manchen Wahllokalen 90 Minuten, vielleicht auch zwei Stunden warten musste, um seine Stimme abzugeben. Da hat sie erst mal gelacht, weil das offensichtlich in einer ganzen Reihe von anderen Demokratien gar nicht ungewöhnlich ist, dass man sich länger anstellt, um seine Stimme abgeben zu können.

Die Leute sind hier aber seit Langem anderes gewöhnt. Warum haben Sie sich überhaupt so dezidiert geäußert, anders als andere Spitzenpolitiker?

Die Deutsche Presse-Agentur hatte mich um ein Interview gebeten, und dieses Interview habe ich geführt. Ich bestreite ja auch gar nicht, dass Fehler passiert sind, die tatsächlich auch gut dokumentiert sind, wenn etwa falsche Wahlzettel ausgegeben worden sind.

Was folgt denn aus Sicht der Juristen im Parlament aus einer Wahlwiederholung? Beginnt eine neue fünfjährige Wahlperiode oder geht die bisherige einfach dreieinhalb Jahre weiter?

Wenn keine Neuwahl, sondern eine Wahlwiederholung stattfindet, dann läuft die jetzige Wahlperiode weiter, also wird ganz regulär im Jahr 2026 wieder neu gewählt.

Beschneidet das nicht die Rechte jener Abgeordneten, die bei der Wiederholungwahl neu ins Parlament kommen? Die wären ja nur für dreieinhalb statt fünf Jahre gewählt.

Das kann man so sehen. Doch das Verfassungsgericht darf zwar eine Wahlwiederholung anordnen, aber nicht das Parlament auflösen und eine Wahlpriode beenden. Was genau das in allen Einzelheiten bedeutet, wird das Gericht sicherlich genauer herausstellen.

Kurz vor der Verkündung des Urteils soll laut der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey der Nachtragshaushalt beschlossen werden. Und zwar so schnell, dass der Begriff „Hauruckverfahren“ passend erscheint. Wie soll da echte Kontrolle möglich sein, immerhin das Königsrecht des Parlaments?

Das ist eine schlichte Abwägung. Bislang gehen wir davon aus, dass das Parlament auch nach dem Urteil am 16. November voll handlungsfähig bleibt. Wenn dem aber nicht so sein sollte, dann müssen wir vorher den Nachtragshaushalt beschließen.

Das müssen Sie erklären.

Nur damit können wir gewährleisten, die Menschen in dieser Stadt den Winter über zu unterstützen, etwa bei den steigenden Energiekosten bei kleinen und mittleren Betrieben. Die Koalition hat angedeutet, dafür bis zu 1,5 Milliarden zur Verfügung stellen zu wollen. Wenn man das rechtssicher auf die Beine bringen will, dann macht es Sinn, das vor dem 16. November zu tun.

Aus Sicht des Senats durchaus nachvollziehbar. Aber Sie stehen doch für die Legislative, also für die Kontrolle der Exekutive.

Wir haben durch die Kürze der Zeit sicherlich weniger parlamentarische Mitsprachemöglichkeiten und Kontrollmöglichkeiten, als wenn man einen normalen Haushalt über ein halbes Jahr debattiert. Auf der anderen Seite geht es hier um ein Nachschießen in bestimmten Bereichen und nicht um einen komplett neuen Haushalt, und mir ist es an der Stelle wichtiger, dass wir die Menschen in Berlin unterstützen.

Als die SPD Sie 2021 als Präsident des Abgeordnetenhauses vorschlug, hat der Tagesspiegel auf Basis von Äußerungen in sozialen Netzwerken nahegelegt, da käme jetzt eine Art Rowdy ins Amt.

Der Tagesspiegel hat den Begriff „Ultra“ benutzt, und das bezog sich darauf, dass ich Fan eines bestimmten Fußballvereins bin. Dass ich mich in anderen Funktionen auch sehr pointiert im Wahlkampf geäußert habe, etwa als Landesgeschäftsführer, also quasi Generalsekretär der SPD, ist sicherlich richtig. Doch seit ich Parlamentspräsident bin, habe ich keine Kritik vernommen, dass ich Sitzungen nicht überparteilich leiten und nicht allen Fraktionen die Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Rechte und Pflichten ermöglichen würde.

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1 Kommentar

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  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Wenn ein Parlamentspräsident es als normal und durchaus zu rechtfertigen ansieht, dass Wähler "vielleicht auch" zwei Stunden warten müssen, bis sie ihre Stimme abgeben können, dann bedarf es keines weiteren Beweises mehr für die politische Arroganz des Herrn.



    Der Wähler ist der Souverän.



    Und selbst ein Mensch mit rudimentären Manieren lässt einen Boten, einen Lieferdienst, eine Bedienung etc. keine Viertelstunde warten - geschweige denn den Soverän ein halbe oder gar, was der Herr Präsident für durchaus vertretbar hält, zwei Stunden.



    Der Mann hat seine Rolle missverstanden.



    Er ist der Kellner, meinetwegen der Oberkellner (wenn man schon in so abseitigen Hierarchiestrukturen denken will).



    Jedenfalls ist er nicht der Boss, der dem Wähler sagt, we lange er gefälligst zu warten hat.



    Und dabei geht es eigentlich nicht um die Wahl an sich.



    Sondern um die Haltung gegenüber dem Souverän, die hinter solchen Aussagen steht.