piwik no script img

Abendunterhaltung im TVEntfacht das Lagerfeuer!

Mit „Wetten, dass ..?“ verschwindet die große Abendshow? Dabei ist jetzt die beste Zeit für sie. ARD und ZDF müssen das nur erkennen.

Mit Markus Lanz geht „Wetten, dass..?“. Bild: dpa

Warum das Ende von „Wetten, dass ..?“ ein Fehler ist, warum es sich lohnt, die große Abendshow zu retten, warum das ZDF seine Prioritäten überdenken muss, lässt sich am besten mithilfe eines Mannes erklären, der mit „Wetten, dass ..?“ nichts am Hut hat. Einer, der weder die Sendung noch den althergebrachten TV-Abend der Deutschen retten will: Reed Hastings.

Der Chef und Gründer von Netflix sitzt im ersten Stock eines Berliner Ferienhauses im Wohnzimmer. Er erklärt, wie er das Fernsehen verändern will. In den USA hat er das schon getan, in Kanada, in Latein- und Südamerika, in Skandinavien auch, in den Niederlanden, seit Herbst ist Deutschland an der Reihe.

Netflix ist der größte Videostreamanbieter der Welt. Mehr als 50 Millionen Kunden hat die Firma. Sie bietet: Filme, Serien und Dokus auf Abruf auf allen Endgeräten, im Abo, monatlich kündbar, alles jederzeit verfügbar. Und die Inhalte sollen den Nutzer finden – nicht andersherum.

Es ist damit quasi das Gegenmodell zum ZDF-Angebot: ein nie kündbares Abo und ein Programm, das nicht individuell, sondern universell ist. Jeder soll mal suchen, und mit etwas Glück findet er vielleicht was. Um 0.45 Uhr bei ZDFneo.

Wetten, dass...?

Der Start: Am 14. Februar 1981. Moderator Frank Elstner überzog die Sendung um 43 Minuten, was zu einem Running Gag wurde. Höhepunkt: Die Wette eines Kandidaten, der eine Wärmflasche aufblies und zum Platzen brachte.

Die Moderatoren: Frank Elstner 1981–1987, Thomas Gottschalk 1987–1992 und 1994–2011, Wolfgang Lippert 1992–1993, Markus Lanz 2012–2014.

Die Veranstaltungsorte: Am häufigsten fand die Show in Basel und Saarbrücken statt (je 12-mal).

Die Wetten: Am häufigsten ging es um Autos (69 von 1.006).

Die Stammgäste: Peter Maffay sang 17-mal, Iris Berben saß 11-mal als Wettpatin auf dem Sofa.

Antwort auf eine gefühlte Fernsehmisere

Videostreamingdienste wie Netflix, Watchever oder Maxdome sind für immer mehr Zuschauer die Antwort auf eine gefühlte Fernsehmisere. Angebot eins sticht halt Angebot zwei. Doch was bleibt da noch fürs ZDF? Für die ARD? Ganz einfach: „Leute schauen Sport, Leute schauen Shows“, sagt Hastings. Alles Dinge, die er nicht machen will, sagt er. Dabei ist das Nichtwollen nur die eine Hälfte der Wahrheit.

Es sind alles Dinge, die er nicht machen kann. Und es ist die Antwort darauf, warum das Ende von „Wetten, dass ..?“ ein Fehler ist – oder warum es zumindest falsch wäre, den Showabend an sich, das gemeinsame Erlebnis am Lagerfeuer, fallen zu lassen.

„Wetten, dass ..?“ lief am Samstag zum 215. und letzten Mal seit 1981 im ZDF. Die Show, in einer weinseligen Nacht von Frank Elstner erfunden, überlebte Wolfgang Hey-Hahaha Lippert und überstand viele Folgen mit dem zwischen kleinbürgerlichem Chauvinismus und weltläufiger Geste pendelnden Thomas Gottschalk. Eine Sendung, der so viel angetan wurde und die dennoch über so lange Zeit dermaßen viel Zuspruch vom Publikum bekommen hat, muss ein solides Fundament haben. Doch jetzt wird sie nach dem gescheiterten Experiment mit Streber Markus Lanz einfach zu Grabe getragen.

Schaut man allein auf die Zuschauerzahlen, ist das leicht zu begründen, es wirkt sogar konsequent: 1985 sahen mehr als 23 Millionen Menschen „Wetten, dass ..?“ – allerdings ohne dass es ernsthafte Konkurrenz gegeben hätte. 1993 musste Lippert gehen, weil nur noch knapp 13 Millionen einschalteten. 2014 schauten bei Lanz nur noch 5,5 Millionen Zuschauer zu.

Noch keine große Konkurrenz

„Nach der Erfahrung der letzten Jahre werde ich ’Wetten, dass ..?‘ leider nicht vermissen“, sagt Thomas Schreiber, der bei der ARD für die Unterhaltung zuständig ist. „Das sage ich mit großem Bedauern, weil das monatelange Abschiednehmen das Genre Unterhaltung nicht gestärkt hat. Mit ’Wetten, dass ..?‘ verschwindet ein Symbol der deutschen Fernsehunterhaltung. Das Genre aber bleibt, Familienunterhaltung hat eine Zukunft.“

Es muss aus Sicht von ARD und ZDF eine Zukunft haben. Zugegeben, noch ist das lineare Fernsehen das meistgenutzte Medium in Deutschland. Noch schauen hier die Über-Dreijährigen unvorstellbare 221 Minuten fern pro Tag im Durchschnitt. Noch sind die Streaminganbieter keine große Konkurrenz. Noch, noch, noch.

Doch Reed Hastings warnt schon: „Das Internet verändert unseren Konsum massiv.“

Liveevents sind das, was all die Streamingangebote nicht bieten können und wollen. Denn die gleichzeitige Verbreitung an Millionen Zuschauer ist teuer – und übers Telefonkabel auch noch anfällig. Doch auf Nachsicht brauchen die Anbieter nicht zu hoffen: Aussetzer sind bei Liveevents nicht tolerabel. Fragen Sie mal bei Sky-Go-Kunden nach, die viele Abende verzweifelt und erfolglos versucht haben, Champions League zu gucken.

Netflix-Chef Hastings fürchtet diesen Ärger. ARD, ZDF und Co. brauchen davor keine Angst zu haben. Ihre Ausstrahlung via Satellit und Kabel ist ziemlich sicher – und die Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken auch. Twitter hat gerade seine Jahresauswertung für Deutschland veröffentlicht. Fußball, ein Fernsehliveevent, schlug 2014 alles. Unter den Hashtags mit Fernsehbezug lag #Lanz an vierter Stelle. Davor #Tatort, durch Twitter und Public-Viewing in der Kneipe mittlerweile auch ein Liveevent, RTLs „Dschungelcamp“ (#ibes) – auch live – und der WDR-Livetalk #Domian.

Zeit für den Wiederaufbau

„Wetten, dass ..?“ hatte im November dieses Jahres 5,5 Millionen Zuschauer. Nur noch, sagen fast alle. Doch in Anbetracht der abgelieferten Leistung muss man eigentlich sagen: immerhin. Wiederaufbau wäre jetzt angesagt. Doch dafür scheint dem ZDF die Kraft zu fehlen. Oder die Kreativität. Oder beides.

Reed Hastings dürfte das freuen. Doch das Fernsehen gibt damit wieder ein Stück mehr seines Alleinstellungsmerkmals auf. Krimis und lauwarme romantische Komödien bekommt man auch woanders.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • So jetzt müssen wir noch 'ne Petition "Lanz ins Dschungelcamp" starten. Ich stell schon mal das Popcorn kalt.

  • Jetzt hört mal mit dem Lippert-Bashing auf, der hatte dreimal soviele Zuschauer wie Lanz und es gab auch bei ihm schon Privatfernsehen. Der Mann hatte bis zu 16 Millionen Zuschauer, davon konnte selbst Gottschalk nach erneuter Übernahme nur träumen. Ich mochte ihn bei Wetten Dass auch nicht besonders, aber die Verhältnisse müssen mal geradegerückt werden.