ARD-Film „Die beste aller Welten“: Weder Sozialstudie noch Problemfilm
Adrian Goigingers Debüt über seine Kindheit mit der Sucht ist wahrhaftig und zurückhaltend. Nichts wird dramatisiert oder beschönigt.
Abenteuer Kindheit: Spielen am Fluss. Finden einer Pfeilspitze. Ob die mal einem Abenteurer gehört hat? Der Ururururururururururururgroßvater war ein Abenteurer, sagt die Mutter (Verena Altenberger). Ob er beim Pfeilspitze-Schleifen helfen kann? Ja, sagt der Günter (Lukas Miko). Am Abend ein Lagerfeuer mit Würstchen am Stock, Feuerwerk und Dosenbier für die Erwachsenen.
Eine erste kleine Irritation: Als der siebenjährige Adrian (Jeremy Miliker) aus der Flasche mit dem dunklen Getränk, das wie Eistee aussieht, trinken will, nimmt die Mutter sie ihm schnell weg. Er darf nur aus der anderen Flasche trinken, auf der auch Eistee draufsteht. Augenblicke später der Löffel mit der Feuerzeugflamme darunter in Großaufnahme. „Die Mutti is’ am Kochen“, witzelt einer der Männer.
„Wenn dem Adrian was passiert, körperlich oder psychisch, dann müssen wir einschreiten“, erklärt der Herr Hutter (Michael Fuith) von der „Putzbehörde“, wie die Mutter das Jugendamt nennt: „Ich mein, es ist ja sicher sehr schwer für Sie.“
„Warum?“
„Na, wegen Ihrer Sucht.“
„Ich bin nicht süchtig.“
Abenteuer als Überlebensstrategie
Dass Adrian Schweizer Kracher, die offenbar keine Chinaböller sind, mit in die Schule nimmt und seine Mitschüler das Rauchen lehrt, macht es auch nicht besser. Jedes Türklingeln führt zu panischen Aufräumaktionen in der kleinen Wohnung, deren Fenster mit Tüchern verhangen sind. Es könnte der Herr Hutter sein oder gar die Polizei. So also muss man sich eine ganz normale Drogenhöhle vorstellen.
„Die beste aller Welten“ läuft am Dienstag, 2. 7. um 22.45 Uhr im Ersten. Der Film ist auch in der ARD-Mediathek zu sehen - und wird am 26. 7. um 20.15 Uhr auf Arte wiederholt.
Adrian imaginiert sich seinen Ururururururururururururgroßvater mit Pfeil und Bogen und Schwert, wie er eine dunkle Höhle betritt, um einen finsteren Dämon zu stellen. Könnte „Game of Thrones“ sein. Die Abenteuerphantasie als Überlebensstrategie. Obwohl die Mutter ihren Adrian sehr lieb hat und ihm den schönsten Geburtstag ausrichtet, den er je gehabt hat. Aber dieses Abenteuer Kindheit ist kein Spaß. Als sich einer der Junkies in Mutters Drogenhöhle totspritzt, wird es richtig ernst. „Weißt du eigentlich, was Sucht ist?“, will die Mutter von Adrian wissen.
„Ja klar.“
„Was denn?“
„Das ist, wenn man was hat, und das dann unbedingt wieder haben muss.“
Als Adrian dann doch aus der Flasche mit dem dunklen Opium-Zaubertrunk trinkt, wird es auch für ihn lebensgefährlich.
Pathosbefreit
Adrian Goigingers Langfilmdebüt „Die beste aller Welten“ – den die ARD heute in ihrer (Sommerloch-)Reihe „FilmDebüt im Ersten“ sendet – lief bei der Berlinale 2017 unter „Perspektive Deutsches Kino“, wurde dort mit dem Kompass-Perspektive-Preis für den besten Film ausgezeichnet und hat auch sonst alle möglichen Preise abgeräumt.
Völlig zu Recht. Wie der 1991 geborene, an der Filmakademie Baden-Württemberg ausgebildete Goiginger den Sucht-Alltag aus Kindersicht zeigt – so ganz ohne den moralischen Zeigefinger der Sozialstudie, ohne das ideologische Pathos des Problemfilms –, eröffnet tatsächlich mal eine neue Perspektive. Goiginger dramatisiert nicht unnötig – das Geschehen ist dramatisch genug.
„Es gibt keine hoffnungslosen Fälle, nur hoffnungslose Menschen“, erfährt man am Ende des Films von einer Texttafel. Dass ausgerechnet ein penetranter christlicher Missionar es geschafft haben soll, die Mutter von ihrer Drogensucht abzubringen – wenn es nun einmal so war?! Ein bekloppter Spinner bleibt er trotzdem. Dass man auch anders clean werden kann, zeigt Gunters Beispiel, der im wahren Leben Günter Goiginger heißt. Wobei das Gute an dem Film ja gerade das ist: dass man nie das Gefühl hat, Goiginger wolle einem beispielhaft etwas zeigen. Was er gedreht hat, ist ein Abenteuerfilm.
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