ARD-Doku „Yes She Can“: Allein unter Männern
Die Doku begleitet vier junge Politikerinnen in Brüssel, Berlin, Kiel und auf Usedom. Die inspirierenden Biografien sollen Frauen empowern.
Von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über die US-amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris bis zur finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin: Allzu schlecht endete das letzte Jahrzehnt für weibliche Repräsentation in der Politik nicht. Für Filmemacherin Carolin Genreith Anlass zur Frage, warum sie sich selbst noch nie politisch engagierte. Eine mögliche Antwort mag sein: Weil bislang die Identifikationsfiguren fehlten.
In „Junge Politikerinnen – Yes She Can“ rückt sie daher besonders spannende ins Zentrum: Laura Isabelle Marisken, Aminata Touré, Gyde Jensen und Terry Reintke sind die Protagonistinnen des Films. Es ist eine „Mutmach“-Doku, die es ausdrücklich auf female empowerment abgesehen hat. Sie setzt auf inspirierende Beispiele statt auf die Analyse der Strukturen, die sie erst notwendig machen. Dafür betont sie das Persönliche und das Emotionale stärker als konkrete politische Inhalte, die auf den Amtsantritt der vier porträtierten Frauen folgten. Die Biografie ist der Erfolg, der hier von Interesse ist.
Wahrscheinlich auch, um die erwartbar großen Unterschiede zwischen den vier Politikerinnen gegenüber den Gemeinsamkeiten nicht zu sehr hervorzuheben: Laura Isabelle Marisken etwa ist als parteilose Bürgermeisterin von Heringsdorf auf dem konservativen Usedom lokalpolitisch aktiv, nachdem sie ihren Kontrahenten der CDU ausstach – ganz ohne Ortskenntnisse.
Die Doku zeigt die aus Berlin stammende Juristin vor allem in repräsentativer Funktion, auf wie aus der Zeit gefallenen Veranstaltungen, Bodypainting-Wettbewerben und Strandkorb-WM, zwischen Würstchenwärmer und Sektempfang im Partyzelt. Aminata Touré hingegen ist bei ihrer Wahl zur jüngsten und außerdem ersten Schwarzen Vizepräsidentin des Kieler Landtags, beim Podcasten, und auf dem Parteitag der Grünen zu sehen: kosmopolitisch, selbstbewusst, zukunftsweisend.
„Yes She Can“, Mittwoch, 31. März, 23.05 Uhr, ARD und ab sofort in der ARD-Mediathek
Ähnlich groß sind die Gräben zwischen der grünen EU-Abgeordneten Terry Reintke, die in Brüssel beim Kampf mit den Nachwehen des Brexit begleitet wird, und Gyde Jensen, die als Liberale bereits zwei Wochen nach Geburt ihres Kindes den Menschenrechtsausschuss im Parlament leitet, weil es für Bundestagsabgeordnete keine Elternzeit gibt. Während Reintke selbst bei einigen Parteikolleg*innen aneckt, wenn sie im Parlament über Erfahrungen mit Sexismus spricht, betont Jensen zwar, dass Parität nicht von allein komme – lehnt ein entsprechendes Gesetz, also eine Frauenquote, aber ab.
Gemeinsam sind den Frauen das häufige Alleinsein unter Männern und die Erfahrungen, die das mit sich bringt. Von unangemessenen Kommentaren zu ihrem Aussehen und dem Gefühl, unterschätzt zu werden, berichten sie alle binnen knapp eineinhalb Stunden in der Doku.
Über bereits weit bekannte Erkenntnisse geht der Film nur selten hinaus. Die Gespräche bleiben oft zu sehr an der Oberfläche, um schon Bekanntes mit Leben zu füllen und zusätzliche Brisanz verleihen zu können. Für Porträts, die sich ausdrücklich für das Persönliche interessieren, bleibt die Stimmung erstaunlich nüchtern.
Mehrere Höhepunkte, zu denen eine Traktorfahrt gehört, während der Christian Lindner mit paternalistischem Auftreten unfreiwillig die Antwort darauf gibt, weshalb Frauen in der Politik weiter unterrepräsentiert sind, machen den Film dennoch sehenswert. Und historische Momente, wie ein EU-Parlament, das sich auf Reintkes Initiative hin nach der Abstimmung über den Brexit-Vertrag erhebt und fast einstimmig „Auld Lang Syne“ singt, sind dann eben doch ein starkes Argument für politisches Engagement – egal ob in Brüssel, Berlin, Kiel oder auf Usedom.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin