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„ACAB“-Grüne Jette Nietzard im Portrait Prinzessin der Pop-Politik

Jette Nietzard bringt die „Altgrünen“ zum Abkotzen. Jüngster Furor-Höhepunkt: Der ACAB-Pullover. Wie lässt sich ihre Strategie einordnen?

Nietzard als Role Model für junge Linke im Widerstand gegen angeblich angepasste Alt-Grüne Foto: Diana Pfammatter

Vor wenigen Monaten hat man das erste Mal von ihr gehört, heute sprechen manche junge Frauen so andächtig über sie, wie sonst nur über popkulturelle Ikonen wie die Sängerinnen Ikkimel und Charli XCX. Was darauf hindeutet, dass wir es auch bei ihr mit Pop zu tun haben. Sie wird geliebt und gehasst, keiner schafft es an ihr vorbei.

Jette Nietzard hat ein neues Sternchen am Firmament - politisch, jung, hellblond, oft in zartrosa T-Shirt und verbal zuverlässig ungeschmeidig.

Die umstrittenste Figur der Boomerwelt

In der Boomerwelt wird Nietzard allerdings schon längst als eine der „umstrittensten Figuren der Grünen“ gehandelt. Und bei denen würden man jetzt vieles für ein fallendes Sternchen geben. Ihr wohl lässig gemeintes Selfie im blauen Pullover mit „ACAB“-Bestickung hat einen einstweiligen Furor-Höhepunkt ausgelöst.

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„ACAB“ steht nicht nur für Annalena Charlotte Alma Baerbock, sondern auch für „All Cops are Bastards“ (in etwa: „alle Bullen sind Schweine“). Die Parole verstehen manche als strukturelle Kritik an der Polizei, in gängiger Auffassung ist sie aber eine eindeutige Beleidigung der Polizei.

Die Polizeigewerkschaft stürzte sich entsprechend darauf, die Bild-Zeitung folgte. Und die etablierten Grünen rechneten in einer Empörungskumulation öffentlich mit Nietzard ab – der Parteivorsitzende Felix Banaszak brachte ihren Rücktritt ins Spiel. Und vor allem die staatstragenden Baden-Württemberger distanzierten sich so maximal wie es ihnen möglich war.

Finanzminister Danyal Bayaz ließ verlauten: "Viele in unserer Partei sind es leid, ihre regelmäßigen Ausfälle zurückzuweisen.“ Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein potenzieller Nachfolger Cem Özdemir konnten ihre Sorge um die Wahlergebnisse bei der kommenden Landtagswahl auch nicht verstecken und teilten mit, Nietzard passe nicht zur Partei und solle gehen.

Die Distanzierung von der Grüne Jugend-Chefin läuft schon seit Monaten.

Zu sehen die Bundessprecherin der Grünen Jugend Jette Nietzard
Foto: Diana Pfammatter
Die Jette-Kontroversen

„Männer die ihre Hand beim Böllern verlieren können zumindest keine Frauen mehr schlagen.“ (Via X, Silvester 2024, der Tweet wurde später gelöscht.)

„Ich freue mich, dass der Mann von Franca Lehfeldt jetzt kürzer tritt um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen.“ (Via X, Februar 2025, nachdem Christian Lindner und die FDP aus dem Bundestag gewählt wurden.)

„Was es aber bedeutet, in einer feministischen Partei zu sein, ist, dass Betroffenen geglaubt wird.“ (Die Unschuldsvermutung gelte für Gerichte. Zitiert in Der Spiegel, Januar 2025, kurz nach den Vorwürfen sexueller Übergrifflichkeiten gegen einen Grünen-Politiker, von denen sich die schwerwiegendsten als erfunden herausstellten.)

„Statt über Zwangsarbeit Bürgergeldbezieher*innen zu sprechen – wie wäre es mit verpflichtender gemeinnütziger Arbeit für die größte Gruppe der Arbeitslosen, den 800.000 Privatiers in Deutschland? Die liegen den ganzen Tag doch sowieso faul rum und brauchen das Geld nicht.“ (Via X, Januar 2025)

Macht, Twitter und Empörung

Ein Beispiel: Ex-Ministerin Renate Künast schrieb auf X, dass Nietzard sich unsouverän und klein verhalte. Die hatte in der Wahlnacht FDP-Chef Christian Lindner dafür gelobt, dass er mit seinem Rückzug nun seiner Frau, Kind und Karriere ermögliche.

Nietzards Tweets sind wirklich sehr provokant, aber im Fall des Lindner-Tweets hier will man fast zu ihrer Verteidigung schreiten und in Boomer-Manier zurückkommentieren: „Man wird ja wohl noch einen Scherz machen dürfen?“

Die Antwort der Etablierten ist und bleibt nein. Sie hatten schon vor der Bundestagswahl Angst gehabt, dass Nietzards „ungezogene“ Aussagen sie Stimmen im Wahlkampf kosten könnten.

„Ich wünschte, ich hätte so viel Macht, wie der Parteivorstand suggeriert“, lacht die nur, von taz FUTURZWEI darauf angesprochen.

Bild: Finnegan Godenschweger
Paulina Unfried

Paulina Unfried studierte Politik und Ökonomik an der Uni Witten/Herdecke. Dort gründete sie die Zeitung „Pottpost“. Sie schrieb für taz, ZEIT sowie ZEIT Online. Unfried hat einen großen Kongress für Familienunternehmen organisiert und ist als freie Autorin und Moderatorin tätig.

Zudem schreibt sie regelmäßig für taz FUTURZWEI.

Transparenzhinweis: Paulina Unfried arbeitet im deutschen Bundestag für eine Grüne Abgeordnete.

Vielleicht haben sie sogar recht, fraglich ist nur, wie groß ihr eigener Anteil daran ist. Die öffentliche Entrüstung ist ein zentrales Element von Nietzards Plänen: Die Bekanntheit und die Aufmerksamkeit für das, was sie sagen will, nimmt mit jeder Empörung weiter zu.

Jubel über Opposition

Rückblende: An einem Freitag nach der Bundestagswahl schwebt Nietzard lässig auf eine Bühne zu. „Wir haben’s geschafft, wir sind in der Opposition gelandet“ ruft sie in ihr Mikro. Jubel im Saal. Das hier ist die Bundesgeschäftsstelle in Berlin-Mitte, auf dem Flipchart steht nicht Fan-Treffen, sondern „Politische Lagebesprechung“.

Der versammelte Bundes- und Landesvorstand der Grünen Jugend ist in Bombenstimmung: Mit der CDU regieren? Finden hier alle „bäh“. Für sie ist das, was andere als krachende Wahlniederlage der Mutterpartei sehen, die große Chance, sie wieder dahin zu treiben, wo sie ihrer Meinung nach hingehört.

Viele Grüne sehen das als Nischenprojekt, das nicht politische Kompromisse mit Andersdenkenden sucht, sondern angetrieben wird von der Frage: Wer will ich sein? Hier im Raum wäre die Antwort immer „links“.

Populär und Pflegeleicht im Duo

Diese Mission haben sie jedenfalls Jette Nietzard anvertraut, 25 Jahre alt, seit Oktober die neue Bundessprecherin. 84 Prozent der Mitglieder des Jugendverbands wollten Jette.

Der Mann an ihrer Seite bekam weniger Stimmen, und auch wenn er gerade wie ihr Backgroundtänzer aussieht, haben beide eine Hauptrolle: Während Nietzard hier im Inneren der Jugendorganisation und im Land Stimmung macht, kümmert sich Jakob Blasel, 24, um die Alt-Grünen, wie sie hier leidenschaftlich genannt werden.

Unter denen gilt der Mitgründer von Fridays for Future als sehr schlau und dann auch noch als pflegeleicht.

„Ihr Blick sagt: Challenge me! Poppig provokant, entschuldigungslos, ein bisschen ikkimelig, das ist der von ihr begründete Stil.“

Nietzard lehnt jetzt mit überkreuzten Armen an der Wand. Ihr Signature-Look. Ein 16-jähriges Mitglied lobt sie dafür, dass sie im Wahlkampf nicht allen Flyer in die Hand gedrückt habe, sondern vor allem Finta* (Frauen, Intersexuelle, Nicht-Binäre, Transgender- und Agender-Personen). „Das trägt jetzt auf jeden Fall wieder zu meinem Image als Männerhasserin bei“ sagt sie. Alle lachen. Sitzung beendet.

Das Headquarter der Grünen Jugend liegt im Hinterhof der Parteizentrale, hier blättert der Putz ab, es ist dunkel. Nietzard setzt sich auf ein blaues Sofa.

Sie sagt, sie hätte ihre Tweets natürlich anders formulieren können, aber sie wollte nicht. Ihr Blick sagt: Challenge me! Poppig provokant, entschuldigungslos, ein bisschen ikkimelig, das ist der von ihr begründete Stil.

Und doch ist es nichts ganz Neues, Rumpöbeln ist der traditionelle Job der Jungfunktionäre, das konnten auch schon ihre Vorgänger. Man erinnere sich an die Zeiten des Timon Dzienius. Der sitzt jetzt im Bundestag.

Keine People Pleaserin

Nietzard ist übrigens nicht total woke, nicht gendertheoretisch akademisch, ihre Worte sind nicht geairbrushed. Ihre Fotos auch nicht. Eines ihrer Bikini-Bilder ging viral, es wurde in AfD-Kreisen hämisch rumgereicht, das Foto von ihr sei „ziemlich geil“ sagt sie.

„Das trägt zu meinem Image als Männerhasserin bei“: Jette Nietzard Foto: Diana Pfammatter

Das, was Nietzard zur Revolte macht und sie den deutschen Pop-Girlies nahebringt, ist das: Sie ist keine People Pleaserin. Millionen andere Frauen lernen von klein auf, dass sie es allen recht machen müssen – außer sich selbst. Das mag jetzt die eine oder andere überraschen, aber das prägt letztlich auch Grüne Funktionärinnen. Nietzard steht, wenn auch manchmal übersteuert, für das Gegenmodell.

Es ist Freitagabend geworden, draußen in Berlin macht längst jede ihrs und jeder seins, aber in diesem Büro wird immer noch geschuftet, zehn Mitarbeitende sorgen dafür, dass der Laden läuft und ihre Shooting-Stars nicht nur ein kurze Leuchterscheinung am Medienhimmel gewesen sein werden.

Das politische Ziel

Das Ziel ist klar: „Es geht nicht darum, die drei Prozent von der Linkspartei zurückzuklauen, wir müssen das Feld erweitern,“ sagt Nietzard. Übersetzung: Linke Politik hilft eigentlich allen, aber nur die wenigsten wählen so. Sie denkt natürlich, daran lässt sich was ändern.

Klimapolitik gehört eher selten zu ihrem Portfolio, dafür ist Fridays-Blasel zuständig. Robert Habeck, damals Wirtschafts- und Klimaminister, habe man im Wahlkampf unterstützt, weil er im Verhältnis noch der linkste Kandidat gewesen sei. „Das war aber keine Liebesheirat,“ sagt Nietzard. Als ob man das wirklich klarstellen müsste.

Nietzard, muss man wissen, ist nicht „Generation Erasmus“, wie die Älteren so gerne abwertend sagen. Sie macht den Job als Bundessprecherin Fulltime, aber hätte sie die letzten Jahre nicht so viel für Geld gearbeitet, könnte sie sich den nicht leisten.

Arbeit und Empörung

Ihr Gehalt ist ein schlechterer Witz als ihre Work-Life-Balance. Studiert hat sie Kinderpädagogik an Berlins notorischster Linken-Hochburg, der Alice-Salomon Hochschule für Soziale Arbeit. 2022 stand sie im März jeden Tag am Hauptbahnhof und kümmerte sich um ankommende ukrainische Kinder.

Die letzten Jahre arbeitete sie Vollzeit in der Geflüchteten-Hilfe. Das tut sie auch jetzt noch, unregelmäßig in Nachtschichten, um ihr Leben zu bezahlen.

Tagsüber generiert sie Empörungs-Output. In einem Gastbeitrag bei watson beglückwünscht sie Frauen, die Männer finanziell „ausnutzen“. Das sei eine valide Form der Umverteilung von Ressourcen.

Nicht nur in den Reihen der Grünen findet man, dass sie mit ihren Formulierungen übers Ziel hinausschießt. Auch vor dem ACAB-Furor schrieben besonders Redakteure jenseits der fünfzig gerne kritisch über sie. Und spielen damit ironischerweise auch nach ihren Regeln: „Als Frau bin ich eh viel eher das Hassobjekt als die Kluge, damit kann ich dann auch spielen,“ sagt Nietzard.

Jeder Hater ist ein Klick mehr?

Sie bekommt so viele Hasskommentare, dass ihr Team mit dem Löschen nicht mehr hinterherkommt. Gerade habe sie noch die Kraft, damit umzugehen. Aber wie lange noch? Das weiß sie nicht. Bis dahin hält sie es wie das feministischen Rap-Duo, SXTN: "Jeder Hater ist ein Klick mehr!“ Sie lacht laut. Dann zeigen ihre Mundwinkel nach unten.

Ihre beiden Vorgängerinnen hatten im vergangenen Herbst einen groß angelegten und zelebrierten Austritt vollzogen, um etwas „dezidiert Linkes“ zu gründen.

„Das Role Model für junge Linke im Widerstand gegen die angeblich angepassten Alt-Grünen.“

Am Ende gingen nur wenige Hundert Mitglieder. Die Restlichen blieben mit einem Finanzierungsloch zurück, die Mutterpartei musste einspringen. Die Grüne Jugend lag brach.

Nietzard hat sich diesen schwierigen Wiederaufbau zugetraut, auch strategisch. „Nur dagegen zu sein, hilft niemandem,“ sagt sie. Übersetzung: Sie ist auch eine Linke, aber so einen Scheiß würde sie nicht machen. Jetzt ist der Jugendverband bekannter als je zuvor. Nach nur acht Monaten im Amt ist Nietzard einflussreich, aber auch angeschossen.

Passt sie nicht auf, fällt ihr Sternchen. Wenn nicht, muss sie auch in eigenem Sicherheitsinteresse mehr daraus machen, über die Darstellung der „Jette“ hinaus: Das Role Model für junge Linke im Widerstand gegen die angeblich angepassten Alt-Grünen.

Eigentlich will Jette Nietzard junge Menschen politisieren. So fing auch für sie alles an, hier bei der Grüne Jugend. Bisher geht ihre Strategie auf: Es sind eben nicht nur Hater, die auf ihren Profilen rumhängen.

Der Jugendverband hat im Wahlkampf mehrere hundert neue Mitglieder gewonnen. Ob das wirklich der Jette-Effekt ist, weiß man aber nicht.

Als Grünen-Spitze kann man auf sie runtersehen und ihre Pop-Politik als unerwachsen und unangebracht kritisieren, vielleicht wäre es jedoch schlauer das nicht öffentlich zu tun. Es stimmt ja auch, dass Nietzard der aktuellen Problemlage nicht gerecht wird. Aber wer da draußen wird das schon.

Transparenzhinweis: Paulina Unfried arbeitet im deutschen Bundestag für eine Grüne Abgeordnete.

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