7 Schritte für Redaktionen: Bessere Klimaberichterstattung
Im Journalismus ist es wie in der Klimakrise: Es verändern sich Dinge, aber nicht schnell und umfassend genug. Das kann sich ändern. Eine Anleitung.
M it alarmierenden neuen Studien, Messungen und – angesichts dessen – meist völlig inadäquaten klimapolitischen Diskursen hätten sich spätestens seit den Bildern des rauchverhangenen Himmels über Washington und New York Anfang Juni locker Nachrichtenticker wie in der Coronakrise füllen lassen.
Stattdessen wurden viele der Brände, Überflutungen, Hitzewellen und Stürme weltweit in Redaktionen offenbar als „neues Normal“ hingenommen. Dieses neue Normal wird es jedoch nicht geben, bevor der Anstieg der Erderhitzung nicht gestoppt ist. Das, was wir gerade bei rund 1,2 Grad über vorindustriellem Niveau erleben, ist erst der Anfang.
Und damit wären wir beim ersten Schritt, mit dem Redaktionen ihre Klimaberichterstattung schnell und nachhaltig verbessern können:
Schritt 1: Kontext liefern
Nicht jedes Extremwetterereignis lässt sich auf den Klimawandel zurückführen. Um das wissenschaftlich sauber einzuordnen, müssen Journalist*innen aber nicht in jedem Fall auf eine Studie des Extremwetter-Instituts World Weather Attribution warten. Oft hilft auch ein Blick in deren Leitfaden für Medien. Bei Hitzewellen etwa lässt sich der Zusammenhang sehr eindeutig herstellen, schreiben die Expert*innen: „Jede Hitzewelle auf der Welt ist aufgrund des menschengemachten Klimawandels bereits stärker und wahrscheinlicher geworden.“
Das ist nicht der einzige Kontext, der in der Berichterstattung oft fehlt. Über den Neubau von Autobahnen, über Flugreisen, Gasheizungen oder Grill-Tipps zum Wochenende wird oft noch immer berichtet, als hätte all dies keinerlei Auswirkungen für die Klimakrise – und die Klimakrise keine Auswirkungen auf diese Vorhaben. Daher:
Schritt 2: Klima immer und überall mitdenken
Verbindungen zur Klimakrise müssen überall dort transparent gemacht werden, wo sie bereits vorhanden sind. Etwa bei jedem Bauprojekt:
Klimakrise, -wandel oder -katastrophe, egal wie wir es nennen: Wir stecken alle drin, auch die Medien. Deswegen hat das Medienressort der taz im Sommer 2023 genau dazu eine Reihe organisiert. Hier finden sie alle Texte der Reihe:
■ Popkultur: Welche Klimaauswüchse gibt es in der Popkultur von Serien und Games?
■ Grenzgänger: Ist Klimajournalismus aktivistisch oder objektiv?
■ Windkraft: Welche Narrative nutzen Medien, wenn sie über Windkraft sprechen? Und was sagt die Wissenschaft dazu?
■ Presseförderung: Was muss sich bei der Presseförderung ändern, damit Klimajournalismus stärker wird?
■ Longermism: Warum nennt Musk alles „X“ und was hat das mit Eugenik und Klima zu tun?
■ Organisation: Wie versuchen Medienhäuser sich selber aufzustellen und welcher Weg ist wohl der beste?
■ 7 Schritte: Wie können Medien ihre Berichterstattung über die Klimakrise verbessern?
Wie steht es um die Klimabilanz des Gebäudes? Entspricht es den Standards, die wir in Zukunft brauchen? Oder ist es einfach und kostengünstig umrüstbar? Mit Blick auf Flächen- und Ressourcenverbrauch, Artensterben, Oberflächenversiegelung und die derzeit noch unvermeidlichen Emissionen aus der Produktion von Beton und Stahl stellt sich außerdem die Frage: Ist ein Neubau überhaupt notwendig?
Und: Wie gut wird sich das Gebäude im Klima von 2035, 2050 oder gar später nutzen lassen? Welche Gefahren gibt es am geplanten Standort? Was gibt es für Vorkehrungen gegen starken Hagel, Stürme, Hitze oder Überflutungen?
Schritt 3: Strukturelle Probleme anerkennen
Nur wenige Kolleg*innen können die Auswirkung von 1,2, 1,5 und 2 Grad Erderhitzung erklären; oder wie CO2-Budget, Kipppunkte und die aktuelle Klimapolitik zusammenhängen und was dies für unsere Lebensgrundlagen bedeutet.
In der Breite der Redaktionen fehlt es an Faktenwissen zur Klimakrise. Das ist – ähnlich wie in der Klimakrise insgesamt – kein individuelles Problem einzelner Journalist*innen. Es ist ein strukturelles Problem, für das es strukturelle Ursachen gibt. In Ausbildung und Studium wurden die Zusammenhänge nicht vermittelt. Sich neben der eigenen Arbeit noch in ein weiteres, extrem komplexes Fachgebiet einzuarbeiten, ist für viele Journalist*innen nur sehr schwer möglich. Fast alle arbeiten unter Zeitdruck, der Workload in der Branche ist riesig. Redaktionen müssen und können dafür Lösungen finden.
Schritt 4: Redaktionen mehr Fachwissen ermöglichen
Damit Autor*innen, Reporter*innen und Redakteur*innen wirklich fundiert über Klimathemen berichten können, brauchen sie die entsprechenden Ressourcen. Diverse Redaktionen haben in der Vergangenheit versucht, diese Lücke über Klima-Ressorts zu schließen. Das ist ein sinnvoller Zwischenschritt, um Expertise im Haus auf- und auszubauen; es reicht aber nicht aus, um schnell genug Veränderung anzuschieben. Was es jetzt braucht, ist eine Sensibilisierung von Führungskräften und Fortbildungen für alle in den Redaktionen.
Schritt 5: Verzögerungsnarrative einordnen
Man kann sich regelmäßig in großen Dokumentationen und Berichten darüber informieren, wie früh fossile Konzerne gewusst haben, welche Auswirkungen ihr Geschäft hat und wie viel Geld sie investiert haben, um Desinformation zu streuen und Verunsicherung zu erzeugen. Doch ebenso regelmäßig kann man ebenjene Narrative in der Berichterstattung uneingeordnet wiederfinden, abgebildet als eine legitime politische Meinung unter vielen.
„Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so. Zu spät.“ Die sogenannten „Discourses of Delay“ sollte jede*r Journalist*in kennen und die Narrative entsprechend kritisch einordnen können. Sie einfach wiederzugeben, ist nicht neutral. Es ist das Gegenteil.
Schritt 6: „False Balance“ vermeiden
Der Begriff „False Balance“ war für viele Journalist*innen vor der Coronapandemie genauso nebulös wie „Inzidenz“ oder „R-Wert“. In Bezug auf die Klimaberichterstattung scheint die Bedeutung auch heute für viele noch unklar. Dabei kann „False Balance“ zu jeder möglichen Detailfrage erzeugt werden: Dazu etwa, welche Rolle E-Fuels auf dem Weg zur Klimaneutralität spielen, mag es politisch unterschiedliche Meinungen geben – wissenschaftlich ist die Frage relativ eindeutig zu beantworten. Journalistisch jedoch unterbleibt diese Einordnung oft, aus Unwissen, oder aus der Angst heraus, „parteiisch“ zu wirken.
Schritt 7: Lösungen kritisch mitberichten
Wer den Fokus allein auf Probleme richtet, bildet nur einen Teil der Realität ab. Wenn man sich das Ausmaß der Klimakrise bewusst macht, kann sie überwältigend und unlösbar erscheinen. Doch die Wissenschaft ist sich einig: Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Es gibt Lösungen. Welchen Anteil welche Maßnahmen leisten könnte, sollten Journalist*innen ungefähr einordnen können. Oder zumindest wissen, wo sie es nachschlagen können.
Zusammengefasst wird das praktischerweise im dritten Teil des aktuellen Berichts des Weltklimarates (IPCC). Mit Verweis darauf ließe sich nicht nur jede Debatte über E-Fuels ziemlich schnell abkürzen.
Sara Schurmann ist freie Journalistin, Autorin und Journalismus-Trainerin. Im Sommer 2021 gründetet sie das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland mit. 2022 erschien ihr erstes Buch „Klartext Klima“.
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