50 Jahre „Rocky Horror Picture Show“: „I'm just a sweet transvestite“
Ein Sprung nach links: Wie nur gelang es der „Rocky Horror Picture Show“ zum am längsten kontinuierlich laufenden Film aller Zeiten zu werden?

Wie konnte ausgerechnet das zu so einem weltweiten Dauerhit werden? Seit fünf Jahrzehnten lockt das Film-Phänomen „The Rocky Horror Picture Show“ das Publikum ins Kino. Das Transgender-Science-Fiction-Musical, zugleich eine Horror-Sex-Komödie, von dem britisch-neuseeländischen Schauspieler, Musiker und Autor Richard O’Brien geschrieben, ist seine sehr persönliche Variante des Frankenstein-Märchens.
Sie wurde von Regisseur Jim Sharman im klassischen B-Movie-Stil inszeniert und lässt einen eintauchen in die strapsbewehrte Welt des wahnsinnigen Dr. Frank N. Furter. Direkt vom Planeten Transsexual in der Galaxie Transylvania gelandet (ein bisschen Dracula gehört auch ins Rezept), will sich der außerirdische Doktor in Drag seinen Rocky, den perfekten Mann, bauen.
Doch warum ist es diesem so schrägen und nischenartigen Werk gelungen, zum am längsten kontinuierlich laufenden Film aller Zeiten zu werden? Ihre Erfolgsgeschichte begann die Schöpfung O’Briens im Übrigen nicht auf Zelluloid, sondern am Theater. Die „Rocky Horror Show“ war 1973 im Londoner West End eine Sensation.
Unter den prominenten Zuschauern waren Rockstars wie David Bowie, Mick Jagger wollte sogar die Rechte an dem Stück erwerben, um selbst auf der Leinwand die Hauptrolle zu spielen. Am Ende setzte sich der Hollywoodproduzent Lou Adler durch und sicherte den Filmdeal für 20th Century Fox.
Die Handlung ist nicht sehr komplex
Die Handlung ist schnell erzählt: Das frisch verlobte Pärchen Brad und Janet aus der amerikanischen Provinz ist nachts während eines Gewitters im Auto unterwegs. Nach einer Panne klopfen sie ans Tor des Schlosses von Dr. Frank N. Furter, um Hilfe zu bekommen, und geraten mitten in die „Transylvanian Convention“, wo die „Geburt“ von Rocky gefeiert werden soll. In dieser Nacht erleben die biederen Brad und Janet eine unverhoffte sexuelle Befreiung der anderen Art.
Das Ganze ist mit Songs garniert, deren eingängige Melodien dazu beigetragen haben, dass die anzüglichen und teils explizit queeren Texte auch einem heterosexuellen Massenpublikum vertraut geworden sind und damit eine Art Underground-Weltkulturerbe bilden. Zeilen wie „Don’t dream it, be it!“, „Let’s do the Time Warp again!“, „Touch-A, Touch-A, Touch-A, Touch … me! I wanna be dirty!“ oder auch „I’m just a sweet transvestite … from Transsexual, Transylvania!“ gehören längst zum kulturellen Gedächtnis, unabhängig von der eigenen Sexualität.
Im Unterschied zum Theaterstück startete der Film, der am 14. 8. 1975 in Großbritannien in die Kinos kam, in den ersten Monaten jedoch nicht sofort als Kassenhit. Stattdessen war er anfangs ein heftiger Flop. Bis etwas völlig Unerwartetes passierte.
Im Frühling 1976 gab es im Waverly Filmtheater im New Yorker Greenwich Village die erste Mitternachtsvorführung der „Rocky Horror Picture Show“. Und von da an begann das Kino, sich langsam in ein Theater zu verwandeln. Ähnlich wie zu Beginn der Film-Ära, als die Figuren auf der Leinwand noch stumm waren, begannen die Menschen im Saal zu reden. Mit der Leinwand. Untereinander.
Der Kinosaal wurde zum Ort aktiver Partizipation
Sie sangen mit und reagierten auf auswendig gelernte Dialoge im Film, manchmal waren diese kaum noch zu verstehen. Jeder Abend war in jedem Kino, in jeder Stadt, in jedem Land anders. Die „Rocky Horror Picture Show“ verwandelte das Kino in eine Art Mitternachtstempel, der Kinosaal und die oft vorhandene Bühne wurden ein Ort der aktiven Partizipation, wo es in Ordnung war, ein „Freak“ zu sein.
Die Menschen fühlten sich ermutigt, in Drag ins Kino zu gehen, dazu die inzwischen klassisch gewordenen Requisiten in der Tasche: etwa die Zeitung, um sich in der Gewitterszene vor dem Regen zu schützen, oder den Reis, der in der Hochzeitsszene geworfen wird. Einige Fans spielten jahrelang wortwörtlich mit: Bei jeder Vorführung erfanden sie das Emanzipationsabenteuer von Brad (souverän steif: Barry Bostwick) und Janet (in BH und Unterrock, der wet dream einer ganzen Generation: Susan Sarandon) immer wieder neu.
Womöglich liegt genau darin eine Antwort für den andauernden Erfolg des sehr realen und universalen „Ortes“ Rocky Horror Picture Show. Heute ist so ein Ort weiter von großer Relevanz. Was der Schauspieler Tim Curry in der Rolle des Frank N. Furter in Netzstrümpfen, Stöckelschuhen und Korsett auf entwaffnende Weise grandios verkörpert hat, bleibt ein Fantasiespiel mit Außerirdischen, könnte man sagen.
Doch kann diese Fantasie Richard O’Briens, der sich selbst als non-binär identifiziert, heute weiter inspirieren, extrovertierte Crossdresser in Großstädten genauso wie fragile Teenager in der Provinz, und Widerstände in der Wirklichkeit gibt es leider genug.
Es gibt noch viel zu tun
Was die echten trans Menschen auf der Erde, wie zum Beispiel die amerikanische Aktivistin Sylvia Rivera, die mit ihren dunklen Haaren als eine entfernte Verwandte von Dr. Frank N. Furter durchgehen könnte, an Diskriminierung und Gewalt erlebten, ist alles andere als überwunden.
Zwei Jahre vor ihrem Tod musste Rivera auf der Bühne des World Pride 2000 in Rom immer noch für die Anerkennung ihrer Community laut werden. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so viele Kinder habe!“, frohlockte sie vor der jubelnden Menschenmenge am Circus Maximus. Riveras liebevoll kämpferisches Plädoyer für Vielfalt und Respekt lautete: „Ihr dürft nie vergessen, dass es die Transgender-Menschen waren, die die schwule Befreiungsbewegung starteten!“
Empfohlener externer Inhalt

Viele der Errungenschaften, für die Sylvia Rivera bis zu ihrem 50. Lebensjahr gekämpft hat, sind auch in Deutschland nicht mehr selbstverständlich. Die Organisation STAR, die Rivera zusammen mit ihrer Mitstreiterin Marsha P. Johnson 1970 in New York mitbegründete, hatte das Ziel, junge Obdachlose in der Drag und Queer Community Mahlzeiten und ein Dach zu bieten.
Sie schafften es für ein paar Jahre. STAR stand für Street Transvestite Action Revolutionaries. Das Echo von Tim Currys verführerischer Stimme, die uns „I’m just a sweet transvestite …“ direkt ins Ohr flüstert, ist da kaum zu überhören.
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