40 Jahre Militärputsch in Chile: Kampf gegen das Schweigen
Vor dem Auswärtigen Amt und der Botschaft Chiles forderten Demonstranten eine Auseinandersetzung mit der deutschen Siedlung Colonia Dignidad.
BERLIN taz | Erick Zott kämpft sichtlich mit sich, als er von seinem Aufenthalt in der Colonia Dignidad erzählen soll: Kurz nachdem das chilenische Militär am 11. September 1973 unter dem General Augusto Pinochet gegen die sozialistische Regierung geputscht hatte, wurde Zott vom nationalen Geheimdienst DINA festgenommen. Der Grund: Zott war Mitglied der Bewegung der Revolutionären Linken in Chile (Mir), die einen bewaffneten Kampf gegen die Pinochet-Diktatur führte.
Die deutsche Sektensiedlung Colonia Dignidad diente dem Geheimdienst während der Pinochet-Diktatur von 1973 bis 1990 als Folterlager. Über 100 Menschen sollen dort getötet worden sein, viele gelten bis heute als verschwunden. Bis heute existiert die Siedlung, nun jedoch unter dem Namen Villa Baviera.
Zwar verurteilte Anfang des Jahres der oberste Gerichtshof von Chile 14 führende ehemalige Colonia-Mitglieder zu mehrjährigen Haft- und Bewährungsstrafen. Doch Eine umfassende politische und strafrechtliche Aufarbeitung gibt es bis heute – 40 Jahre nach dem Putsch und dem Beginn der bis 1990 währenden Militärdiktatur – nicht.
Als „hässliches Kapitel deutsch-chilenischer Geschichte“ bezeichnet das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) die Siedlung. Zusammen mit dem Bündnis Justicia Memoria Colonia Dignidad zog man deshalb am Dienstag vor das Auswärtige Amt und die chilenische Botschaft in Berlin.
Knapp 30 Protestierende – unter ihnen viele ChilenInnen - kamen und forderten Gerechtigkeit für alle Opfer und Hinterbliebenen. „Aufklärung jetzt!“ und „Allez Hopp! Ins Gefängnis!“ hatten die TeilnehmerInnen auf Transparente geschrieben. Darunter ein Bild von Hartmut Hopp, dem ehemaligen Arzt der Siedlung, der 2011 von Chile zurück nach Deutschland geflohen war. Mittlerweile ist Hopp in Chile wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt, doch Deutschland verweigert eine Auslieferung.
Bundesrepublik trage Mitverantwortung
„Der deutsche Staat hat zu lange seine schützende Hand über die Siedlung gehalten und das Leiden der chilenischen und deutsche Opfer dadurch verlängert“, sagt Redner Dieter Maier am Dienstag, der jahrelang für Amnesty International arbeitete. Die Bundesrepublik trage deshalb eine Mitverantwortung und müsse aufarbeiten.
Zudem würden die deutschen Behörden bis heute geheime Akten unter Verschluss halten, sagt Demo-Organisator Jan Stehle vom FDCL. Weder das Auswärtige Amt noch das Bundeskanzleramt oder der Bundesnachrichtendienst rückten Dokumente heraus.
Unglaublich findet Stehle, dass die Bundesregierung seit 2008 jährlich 250.000 Euro aus Haushaltsmitteln für „Maßnahmen zur Integration der Villa Baviera in die chilenische Gesellschaft“ zuschießt.
Gegründet wurde die Colonia Dignidad 1961 von dem Deutschen Paul Schäfer. Der floh mit etwa 300 AnhängerInnen nach Chile, weil er von der Staatsanwaltschaft Bonn wegen Kindesmissbrauchs gesucht wurde. Heute lebt die Siedlung hauptsächlich vom Tourismus und betreibt ein eigenes Hotel.
Nichts, sagt Stehle, erinnere heute auf dem Gelände an die schweren Verbrechen. Die Verantwortlichen wollten die unrühmliche Geschichte der Colonia Dignidad totschweigen. Ein zentraler Punkt sei deshalb die Beteiligung der Bundesregierung an einer „angemessenen Aufarbeitung“, sagt Stehle, „zum Beispiel durch die Errichtung einer Gedenkstätte auf oder vor dem Siedlungsgelände“.
Den gesamten Demozug über bleibt die Stimmung ruhig – bis zum Schluss. Da ergreift ein Mann am Lautsprecher das Mikro und brüllt: „Wir haben die Schnauze voll! Scheiß auf diese Bundesregierung, die Diktaturen unterstützt!“ Dann ist es auch schon wieder still.
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