3sat-Doku über türkische Einwanderer: Wie Gäule auf dem Viehmarkt
Die Doku „Unserer Väter Land“ porträtiert drei türkische Gastarbeiter der ersten Generation aus der Sicht ihrer Töchter – unsentimental und irritierend.
Sein Traum war es, ein amerikanisches Auto zu kaufen. Deshalb ging er einst in die Ford-Fabrik nach Deutschland, wo alles bis hin zum letzten Staubkorn aus purem Gold zu sein versprach. Dass seine Mutter damals um sein Leben bangte, da kann Hüseyin Aydogan heute im Nachhinein drüber lachen.
Die 3sat-Doku „Unserer Väter Land“ porträtiert drei türkische Gastarbeiter der ersten Generation – unter ihnen eben den Ford-Arbeiter Hüseyin Aydogan – aus der Perspektive ihrer Töchter. Eine der Töchter, Zuhal Er, ist neben Achim Scheunert Mitautorin des Films.
Überhaupt beackern heute Abend einige Beiträge das Themenfeld deutsch-türkische Identitäten: Gleich im Anschluss an die Einwanderer-Doku zeigt 3sat eine Doku über eine junge Deutschtürkin, die in Karlsruhe als Rechtsanwältin arbeitet. Und Sat.1 zeigt mit „Almanya – Willkommen in Deutschland“ jene preisgekrönte Feelgood-Komödie der Schwestern Samdereli um den sechsjährigen Cenk, seine Eltern und Großeltern, die, als sie nach Deutschland kamen, noch Gastarbeiter hießen.
Keine Islamisten, keine Ehrenmorde
Gewiss, da könnte man nun das Haar in der Suppe finden und bemängeln, dass in keinem der Filme Islamisten vorkommen oder „Ehrenmorde“, wie der an Hatun Sürücü, die 2006 in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde. Dass sie ausschließlich vorbildlich integrierte Einwanderer zeigen und ergo ein etwas eindimensionales Bild zeichnen. Man könnte aber auch einfach annehmen, dass die porträtierten Personen sehr viel exemplarischer sind als die medial präsenteren Problemfälle.
Leute also wie Hüseyin Aydogan, den Lakoniker, der seine Geschichte so erzählt: „Ich war nur Arbeiter und zum Arbeiten hier. Morgens aufstehen, bei Ford arbeiten, abends nach Hause. So verlief mein Tag. Etwas anderes, dafür war gar keine Zeit. Dann habe ich meine Kinder bekommen. Sie gingen hier zur Schule. Um ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen, blieben wir hier. Und so vergingen 32 Jahre.“
Das amerikanische Auto hat er nie gekauft, aber ein Haus in der Türkei. Er wäre sehr glücklich, wenn seine Kinder irgendwann darin leben würden. Da macht sich Abdulbaki Toktas, ein anderer Vater, keine Illusionen. Er nimmt an, dass seine Kinder das Haus in der Türkei, das auch er erworben hat, nach seinem Tod verkaufen werden. Er kann das gut verstehen: in Deutschland fühlt er sich nicht fremd, in der Türkei, denkt er, schauen ihn die Leute an, als wäre er fremd.
Heruntergelassene Jalousien
Das leer stehende Haus in der Türkei ist ein wichtiges Motiv im Film von Scheunert und Er. Zuhal Er selbst reist in in die Türkei, ans Grab ihres vor ein paar Jahren verstorbenen Vaters, der erst in Deutschland und dann doch in der Türkei bestattet werden wollte. Der auch so ein Haus gekauft hatte. Zuhal Er hat es nicht wieder verkauft. Man könne die vielen Häuser der „Deutschländer“ gut an den stets heruntergelassenen Jalousien erkennen, sagt sie.
Ihr Film verklärt nichts, vielmehr vermag er den Zuschauer durchaus zu irritieren: wenn in den schwarz-weißen Archivaufnahmen die Ärzte der „Deutschen Verbindungsstelle“ den designierten Gastarbeitern in den Mund schauen, als handelte es sich um Gäule auf dem Viehmarkt. Wenn er erfährt, dass Zuhal Er ihr Kopftuch erst seit drei Jahren trägt: „Der Wunsch war schon seit meiner Kindheit da.“ Auch Münevver, die Tochter von Abdulbaki Toktas, trägt Kopftuch und geht damit in ihre kleine Anwaltskanzlei.
Sie ist Juristin, wie Hüseyin Aydogans Tochter und wie auch die Protagonistin des folgenden 3sat-Films. Ob das Zufall ist oder doch exemplarisch, mag sich der Zuschauer selbst fragen.
„Unserer Väter Land“, 3sat, Dienstag, 21. Mai 22.25 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch