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25 Jahre ICEDas Ende der Raserei

Trotz vielfacher Kritik ist der Superzug nicht mehr wegzudenken. Die Zeit der Hochgeschwindigkeitszüge ist allerdings schon vorbei.

Tunnelperspektive wie im Geschwindigkeitsrausch: Links ICE, rechts IC Foto: dpa

BERLIN taz | Fahrgäste im ICE müssen sich um ihren Führerschein keine Sorgen machen. Wahrscheinlich wird im Flaggschiff der Deutschen Bahn deshalb auch so gern gezecht. 2014 haben die Passagiere allein hier 24 Millionen Liter Bier geschluckt, dreimal so viel wie die Besucher des Oktoberfestes. Ob es der Frust über die vielen Verspätungen ist, den die Bahnkunden herunterspülen müssen, ist nicht bekannt. Am heutigen Donnerstag ist eher Sekt angesagt: Das 0,2-Liter-Fläschchen Rotkäppchen Cuveé trocken gibt es im Bordrestaurant für 5,80 Euro. Denn: Auf den Tag genau heute vor 25 Jahren nahm der erste ICE zwischen Hamburg und München seinen Dienst auf.

Der ICE ist heute eines der wichtigsten Verkehrsmittel in Deutschland. An zahlenmäßigen Superlativen mangelt es ihm deshalb nicht. 216.000 Passagiere nutzen die insgesamt 250 ICE-Züge täglich, etwa so viel, wie Lübeck Einwohner hat. Das Hochgeschwindigkeitsnetz misst 1.400 Kilometer. Seit dem Start hat die Flotte etwa 1,8 Milliarden Kilometer oder 4.700-mal die Strecke zwischen Erde und Mond absolviert. Die aktuelle Zuggeneration kommt in der Spitze auf ein Tempo von über 300 Stundenkilometern.

Doch es gibt nicht nur Grund zum Anstoßen. Denn mit der Einführung der Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen den großen Zentren dünnte die Bahn auch die Verkehre in die Regionen aus. Und die Klimaanlagen fallen gerne aus, wenn sie im Sommer gebraucht werden. Das traurigste Kapitel ist aber das schwerste Eisenbahnunglück in Deutschland. Durch eine Materialermüdung am Radreifen entgleiste 1998 der ICE „Wilhelm-Conrad Röntgen“ bei Eschede. 101 Menschen kamen dabei damals um.

Eine Erfolgsstory ist der ICE auch aus verkehrspolitischer Sicht nur zum Teil. „Er ist das Paradepferd der Bahn“, sagt der Chef der Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Doch aus heutiger Sicht sei der Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes verfehlt. Durch die hohen Investitionen in die Schnelltrassen sei der Güterverkehr vernachlässigt worden. Doch gerade beim Transport der Güter gebe es heute den größten Problemdruck.

Rückkehr in die Provinz

Viel Kritik wurde in der Vergangenheit auch an der Geschäftsstrategie der Bahn geäußert, die sich aus der Provinz teilweise zurückzog und mit dem schnellen ICE dem Flugzeug Konkurrenz machen wollte.

Inzwischen hat der Bahnvorstand wieder umgedacht. Bis 2030 sollen alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern wieder ins Intercity-Netz eingebunden werden. „Die neue Zukunftsplanung der Bahn geht jetzt zwar in die richtige Richtung“, sagt der Bonner Verkehrsforscher Heiner Monheim, „doch fehlt noch immer der integrale Deutschland-Takt.“ Würde es nach Monheim gehen, würden die Züge in Abständen von einer halben Stunde verkehren, wie es in einigen anderen Ländern üblich ist.

Auch der bahnpolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel, gießt zum Geburtstag etwas Wasser in den Wein. „Es konnten mit dem ICE nicht mehr Fahrgäste für den Bahnfernverkehr gewonnen werden“, stellt der Abgeordnete fest. Es gebe Regionen, die seit Jahren keinen Fernzug mehr gesehen hätten. „Wir brauchen eine gesetzliche Garantie für den Fernverkehr in der Fläche“, fordert der Politiker.

Es konnten nicht mehr Fahrgäste gewonnen werden

Matthias Gastel, Die Grünen

Die Zeit des immer schnelleren Zugverkehrs ist wohl vorbei. Die nächste Generation des Zuges, der ICE 4, der ab diesem Herbst testweise durch das Land rasen soll, wird nur mit maximal 250 Stundenkilometern unterwegs sein.

Die Kritiker der Bahn begrüßen diese Entwicklung. „Die Bahn braucht auf einigen Strecken Hochgeschwindigkeit, aber nicht in dem Umfang, wie es in Deutschland umgesetzt ist“, erläutert der Sprecher des Bündnisses Bahn für Alle, Bernhard Knierim. Das Bündnis will ebenfalls vor allem mehr Verkehr in der Fläche sehen.

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16 Kommentare

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  • 3G
    33324 (Profil gelöscht)

    That's right.

  • Was (auch) den Güterverkehr betrifft: Jetzt haben die in der Schweiz das Loch durch den Gotthard gebuddelt - D und I haben versprochen, die Zubringer bis dahin auszubauen. Was ist passiert? Karlsruhe-Basel wird wohl nicht vor 2030 fertig, kurz nach den Italienern.

    Kein Wunder, dass die Eidgenossen ihr politisches System nicht ändern wollen - und trotz Kollateralschäden ("MEI") kann ihnen das auch keiner verdenken...

  • Hier ein Beispiel aus China: http://www.chinatrainguide.com/trainsearch.php?checi=G276

    2400 km in 13h.

    Oder: http://www.chinatrainguide.com/trainsearch.php?checi=T109

    Die Bahn schafft gerade die Nachtzüge ab.

    Und trotz EU gibt es bis heute keine Europaweite Bahn-Netzkarte anzubieten.

    Die schwarze Mamba gabs schon vor 20 Jahren.

    China ist gerade dabei weltweit Infrastruktur aufzubauen.

  • Der ICE 4 soll den - auch auf 250 km/h begrenzten - ICE 2 ersetzen, nicht den schnelleren ICE 3. Der fährt weiter überall da, wo die Strecken 300 km/h zulassen.

     

    Insofern ist die Bestellung eines gleich "langsamen" Nachfolgers nur die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass der größte Teil der bereits gebauten Hochgeschwindigkeitsstrecken nicht für die ganz hohen Geschwindigkeiten taugt. Und diese milliardenschweren Investitionen wird auch in absehbarer Zeit keiner nochmal einreißen und mit um 50 km/h erhöhtem Potenzial neubauen.

     

    Die viel wichtigere Frage ist, ob das deutsche System, anders als die z. B. in Japan oder Frankreich das Hochgeschwindigkeitsnetz in das übrige Schienennetz zu integrieren und es auch in sich als Netz und nicht als Ansammlung getrennter Linien zu verwenden, wirklich etwas taugt. Der ICE wurde hierdurch zu einer besseren Variante des alten IC, bleib aber letztlich eine Bimmelbahn, die politisch gewollt möglichst viele Menschen mit möglichst wenigen Umstiegen in alle richtungen bringt, nicht das Konzept "Flugzeug auf der Schiene", das andere Länder fahren.

  • Velofischs Kommentar ist nichts hinzuzufügen.

    Bei uns in Deutschland wird alles verteufelt, was modern ist: Mehr Bildung für alle, höhere Akademikerquoten, Hochgeschwindigkeitsverkehr der Eisenbahn. Schauen Sie mal in andere Länder, nicht immer nur nach Deutschland. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr hat genauso eine Zukunft wie der Regionalverkehr, die Straßenbahn und der IC-Fernverkehr. Natürlich muss das Angebot für alle diese Reiseformen ausgebaut werden. Und der Güterverkehr ebenfalls. Für den Bau und Ausbau von Autobahnen (gerne auch im Zentrum der Hauptstadt) ist in Deutschland immer Geld in Hülle und Fülle da, aber wenn es um umweltgerechtes Reisen geht, sind ganz plötzlich die Kassen leer. Ich fahre sehr viel Bahn (auch in Westeuropa), und muss sagen, dass das deutsche HGV-System im Vergleich zweitklassig ist. Das finde ich traurig.

  • Und wo meint Herr Gastl hätte dann der Güterverkehr noch Platz wenn der IC im Halbstundentakt durch das Netz fährt?

    • @LeSti:

      Auf einer eigens zu bauenden Güterzug-Trasse. Dürfte doch logisch sein-? (Zum Bsp. die Betuwe- Linie.)

  • Das mit den ICEs ist doch wie bei anderen Prestige-Projekten wie z.B. die "Exellenz-Initative" der Unis: Ein Politikum zum internationalen Rumprotzen, obwohl Förderung in der Breite viel mehr Menschen zu Gute kommen würde (v.a. denen, die es eher brauchen).

  • Den schnellen Fernverkehr gegen die Erschliessung der Regionen auszuspielen ist ein bekanntes Spiel. Die schnellen ICE-Verbindungen wurden vorgeschoben um den Regionalverkehr abzubauen. Dieser ist nun in den Händen der Bundesländer. Einige davon meinen es ernst damit und bauen ihn aus. Die Bahn wird künftig nicht mehr Fernzüge fahren lassen. Vielmehr wird sie den Schrumpfkurs nun auf den Fernverkehr übernehmen. Als erstes werden die Investitionen gekürzt. Langsamere Züge sind da ein wichtiger Schritt. Damit kann man die Schnellverkehrsstrecken nun auch verfallen lassen. Die Autoindustrie hat aktiv gegen den Bahnverkehr Lobbyismus betrieben. Was in Deutschland als "Hochgeschwindigkeitsnetz" gehandelt wird, zählt in anderen Ländern längst nicht mehr dazu. Auch der ICE erreicht auf dem "Hochgeschwindigkeitsnetz" selten Durchschnittsgeschwindigkeiten, die über 120 km/h liegen. Frankreich, Spanien, Japan oder China kennen da ganz andere Definitionen von "Hochgeschwindigkeitsnetz". Die Zukunft des Schnellverkehrs ist nicht tot - eine umwelt- und zukunftsorientierte Verkehrspolitik in Deutschland allerdings schon. Das gilt leider auch für "Umweltverbände" wie den BUND, der massiv gegen die umweltzerstörenden Hochgeschwindigkeitstrassen vorgeht aber beim weiteren Bau und Ausbau von Autobahnen schweigt.

    Wer eine langsamere Bahn propagiert, propagiert deren Ende. Es ist keine Frage, ob Hochgeschwindigkeit oder Fläche wichtiger sind - beide zusammen sind essentiell für die Bahn und eine ökologische Verkehrspolitik in Deutschland.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Doch aus heutiger Sicht sei der Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes verfehlt. Durch die hohen Investitionen in die Schnelltrassen sei der Güterverkehr vernachlässigt worden."

     

    Wat geiht meck dat als Bahnkunde an? Ich bin schließlich kein "Güter". Ist mir also egal, wenn die nicht auch in den Güterverkehr investieren. Mich nerven eher die Probleme, die der Güterverkehr verursacht, wenn mein Regionalexpress oder ICE wegen selbigem aufgehalten werden.

     

    Als Bahncard100-Inhaber zahlt man 2. Klasse 4090 EUR jährlich. Dafür darf man auch ein wenig Service erwarten. Bei der Bahn guckt man dabei freilich in die Röhre, egal was man zahlt!

     

    Deshalb gibt es auch Leute, die immer noch zwischen Düsseldorf, München. Berlin und Frankfurt hin- und herfliegen müssen. Denn Flug ist oft billiger, besonders wenn man die Zeit einrechnet.

     

    Ein abgestimmtes System, das einen möglichst schnell von jeder halbwegs großen Stadt Deutschlands in eine andere halbwegs große Stadt Deutschlands bringt, wäre da in der Tat besser als irgendwelche Premium-Angebote zwischen Frankfurt und Berlin. Die sind zwar prima, aber sonst ist wenig prima bei der Bahn.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Die DB sollte ganz einfach von den SBB übernommen werden.

    Seltsam, dass man in der Schweiz kaum eines der typisch deutschen Bahnprobleme kennt.

    • @571 (Profil gelöscht):

      Und wenn Sie mal auf eine Landkarte sehen, dann verstehen Sie auch warum. Ein Zug der nur die Distanz Nürnberg-Karlsruhe überbrücken muss in einem viel kleineren Netz hat halt wenig Chancen sich zu verspäten. Und das in einem Land, das von der Einwohnerzahl ungefähr dem Großraum Berlin entspricht.

      Ich mag Schweizer Züge, aber der Vergleich mit dem Bahnnetz BRD ist einfach albern.

      • @LeSti:

        Ich finde es eher albern, die Vergleichbarkeit so pauschal abzustreiten.

         

        Das Netz der Schweizer ist ungleich dichter und wird auch erheblich intensiver genutzt.

         

        Es gibt etliche Parameter, die in der Schweiz problematischer sind, und trotzdem besser im Griff behalten werden.

  • Korrektur: Es sollen *fast* alle Großstädte an's IC-Netz angeschlossen werden - Bremerhaven *nicht*.

    • @Martin Schröder:

      Bis 2030 hat Bremerhaven vermutlich auch keine 100.000 Einwohner mehr.

      • @syle x:

        Flüchtlinge. Merkel arbeitet dran.