20. Todestag von Patricia Highsmith: „Was zählt, sind Obsessionen“
Patricia Highsmith war eine Getriebene, deren destruktive Empfindungen in ihren Romanen ein Ventil fanden. Nun erscheint eine neue Biographie.
Mit zwölf Jahren erlebte Patricia Highsmith eine prägende Demütigung. Das Mädchen wächst zur Frau heran. „Verrat“, schleudert sie im Tagebuch ihrem sich ändernden Körper entgegen. „Ich bin das lebende Beispiel für […] einen Jungen im Körper eines Mädchens.“ Mit sechs hatte sie beschlossen, ein Junge zu sein. Schon als Kind erlebte Patricia Highsmith also die Emotionen, die ihr Leben bestimmen und sie zu ihrem großen schriftstellerischen Werk treiben sollten. Verrat, Hass (auf ihren Stiefvater), Unwillen gegenüber dem Zwang in Geschlechterrollen.
Bücher waren für Patricia Highsmith (1921–1995) ein Weg, ihre destruktiven Empfindungen zu kanalisieren. Diese firmieren oft als „Krimis“, sind aber keine klassischen Kriminalromane. Highsmith ging es nicht darum, das Verbrechen aufzuklären, sondern um die psychologischen Umstände, welche Menschen zu Mördern machen. „Obsessionen sind das Einzige, was zählt“, notierte sie 1942 in ihr Tagebuch. „Am meisten interessiert mich die Perversion, sie ist die Dunkelheit, die mich leitet.“
Diese ungewöhnliche Herangehensweise machte Patricia Highsmith zu einer der erfolgreichsten US-amerikanischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. 1991 war sie sogar Kandidatin für den Literaturnobelpreis.
Ihr zentrales Werk ist die Buchreihe um Tom Ripley, millionenfach verkauft, mehrfach verfilmt. Ripley ist ein Betrüger, der auch vor Mord nicht zurückschreckt – doch Highsmith erschreibt ihm geschickt die Sympathien ihrer Leser, die sich mit dem Schwindler identifizieren – und mit ihm Ausflüchte suchen, um ihn nicht einfach als miesen Charakter dastehen zu lassen.
Wollte sie ein Mann sein?
Highsmith beschreibt Tom Ripley als Mann ohne Eigenschaften, der in die Rolle eines anderen schlüpft: des reichen Erben Dickie Greenleaf, den er zunächst bis zur Selbstaufgabe anschmachtet, dann Stil und Verhalten imitiert und ihn schließlich ermordet, um mit dessen Identität weiterzuleben. Highsmith selbst schlüpfte ebenfalls in Ripley hinein und mit ihm in Greenleaf. Für das erste Buch „Der talentierte Mr. Ripley“ bekam sie 1956 den Edgar-Allan-Poe-Award, auf der Urkunde ergänzte sie ihren Namen um „und Tom Ripley“. Auch Briefe oder Buchwidmungen unterschrieb sie manchmal mit „Tom Ripley“.
Wollte sie wirklich Ripley sein, vor allem: Wollte sie ein Mann sein? Das behauptet die anlässlich des 20. Todestages nun erstmals auf Deutsch erscheinende Biografie „Die talentierte Miss Highsmith“ (Diogenes Verlag). Die Autorin Joan Schenkar kommt der komplizierten Persönlichkeit Highsmith so nahe, wie es nur geht. Highsmith entzog sich ihrer Umwelt.
Selbst ihre Tagebücher offenbaren nur mühsam Einblick in ihre Gefühlswelt. Hieroglyphenartig in fünf verschiedenen Sprachen geschrieben, lässt sich auch dieses intime Zeugnis kaum entschlüsseln. Schenkar hat die 8.000 Seiten entziffert und daraus auf über 1.000 Seiten ein detailreiches Highsmith-Porträt erstellt.
Ausdruck eines Dazugehörenwollens
Im Alter von 27 notierte Highsmith: „Bei allen platonischen Gesetzen, ich bin ein Mann und liebe Frauen.“ Doch sah sie sich tatsächlich als transgender oder transsexuell? Womöglich war dieses Bekenntnis auch nur Ausdruck eines Dazugehörenwollens zu einer Gesellschaft, die klare, heterosexuelle Geschlechterrollen verlangte.
Dazugehören wollte Patricia Highsmith, auch wenn sie oft genug weibliche Unabhängigkeit vorlebte, offensiv um andere Frauen warb, wenn sie sich verliebte (was oft genug vorkam). Ihr zweites Buch „The Price of Salt“ von 1952 (dt. „Salz und sein Preis“, Neuauflage 1990 als „Carol“) wurde zu einem lesbischen Klassiker, weil es die Liebe von zwei Frauen beschrieb und ein Happy End hatte – übrigens Highsmiths einziger Roman, in dem sie erfüllte Liebe als Glück beschreibt, nicht als bösen Wahn.
Nörgelige Alte
Doch der Roman und sein Erfolg waren Highsmith ihr Leben lang unangenehm. Sie wollte nicht in der Lesben-Nische sein und veröffentlichte ihn zunächst unter Pseudonym. Noch 1992, drei Jahre vor ihrem Tod, beschwerte sich Highsmith per Einschreiben beim Verlag des Buches „Contemporary Lesbian Writers“.
Man habe ohne ihr Einverständnis einen Essay über sie geschrieben. Doch sie war damals sowieso zu einer nörgeligen Alten geworden, lebte zurückgezogen mit ihrer Katze und einigen Schnecken in einem Dorf im Schweizer Tessin und mied Menschen. Auch kurz vor ihrem Tod: Ihre letzte Besucherin im Krankenhaus von Locarno, die befreundete Steuerberaterin Marilyn Scowden, schickte sie fort. Und starb erst dann, am 4. Februar 1995.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren