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13 Jahre nach Tsunami und Super-GAUMysterium im Inneren des Reaktors

Im Jahr 2011 kam es in Fukushima zur Kernschmelze. Mit dem strahlenden Material wird Japan noch Jahrzehnte umgehen und leben müssen.

Radioaktives Wasser in undichten Tanks ist eines von vielen Problemen in Fukushima: Tepco-Pressetermin im November 2013 Foto: AP

Tokio taz | Dreizehn Jahre nach dem GAU vom März 2011 bleibt das Innere der Atomreaktoren von Fukushima ein ungelöstes Mysterium. Große Trümmermengen und extreme Strahlung stoppen bis heute alle Versuche, auch nur eine winzige Probe Corium herauszuholen.

Ein Erdbeben der Stärke 9 und ein Tsunami hatten damals die Stromversorgung und die Kühlung der Meiler zerstört und eine dreifache Kernschmelze verursacht. Eine lavaartige Mischung aus angereichertem Uran als Kernbrennstoff und den geschmolzenen Überresten von stählernen Steuerstäben voll mit Cadmium und Bor – „Corium“ genannt – brannte sich durch den Boden der Reaktorbehälter und fraß sich in den Beton der Sicherheitshüllen hinein.

Die gesamte Corium-Menge schätzt der Fukushima-Betreiber Tepco auf gigantische 880 Tonnen. Wie viel des strahlenden Materials in jedem Reaktor tatsächlich ausgetreten und wohin es geflossen ist, ließ sich bisher nicht genau herausfinden.

Schon einige Gramm dieser Substanz würden Tepco zumindest Hinweise zu ihrer Beschaffenheit geben. Daraus ließen sich dann Bergungsmethoden ableiten. Doch die Probenentnahme sei wie das Eindringen in den „Hauptturm einer Burg“, sagte Projektleiter Akira Ono anlässlich des Jahrestags der Nachrichtenagentur AP. „Wir müssen noch viel nachdenken, um die beispiellose Aufgabe der Entfernung des geschmolzenen Brennstoffs zu bewältigen.“

Roboter bleiben stecken

Bisher gelang es den Ingenieuren nicht einmal, das Innere der Reaktoren gründlich zu erkunden. Vor zwei Wochen schickte Tepco erstmals Minidrohnen in den primären Sicherheitsbehälter des am stärksten havarierten Reaktor 1. Die Flugroboter sollten den Betonsockel unter dem Druckbehälter fotografieren, zwei weitere Drohnen dann den Sockel erkunden. Doch Tepco musste das Vorhaben abbrechen: Ein schlangenförmiger Kriechroboter, der die Daten der hochauflösenden Drohnenkameras an den Kontrollraum übertragen sollte, blieb auf dem Weg zu seiner Zielposition stecken. Solche unerwarteten Rückschläge brächten wertvolle Lektionen für die nächsten Schritte mit sich, kommentierte Ono nüchtern.

Angesichts der geringen Fortschritte dieser Vorarbeiten gilt das offizielle Ziel, die drei zerstörten Meiler bis 2051 komplett abzubauen, schon seit Langem als unrealistisch. So werden die abgebrannten Brennelemente, die unter dem Dach des Gebäudes von Reaktor 1 liegen, mit einer Verspätung von zehn Jahren erst ab 2027 aus ihren Kühlbecken herausgeholt. Für die Bergung und Lagerung der hochradioaktiven Schmelzmasse in den Reaktoren existieren bisher nur vage Ideen und keine Ansätze für eine technischen Lösung.

Mammutaufgabe im Alleingang

Trotz der gewaltigen Technikhürden und der ausufernden Kosten halten Regierung und Tepco an dem Projekt fest. Womöglich wollen sie der Welt aus nationalem Stolz beweisen, dass Japan diese Mammutaufgabe bewältigen kann, nachdem die Atomkatastrophe durch den mangelhaften Tsunamischutz der Meiler weitgehend selbstverschuldet gewesen war.

Doch ein erster Schritt in diese Richtung, die Einleitung von über 1 Million Tonnen gereinigten Kühlwassers in den Pazifik, kostete das Land erneut viele Sympathien. Nach dem Beginn im August vergangenen Jahres wird derzeit die vierte Charge stark verdünnt ins Meer abgelassen. Bis Ende März wären dann insgesamt 31.200 Tonnen verklappt. Das entspricht der Menge von 10 der rund 1.000 Tanks voller Wasser.

In den nächsten zehn Jahren will Tepco ein Drittel der Behälter leeren und damit auf dem AKW-Gelände Platz schaffen für die Stilllegungsarbeiten. Die gesamte Einleitung wird 30 Jahre dauern, weil bei der weiter notwendigen Kühlung des Coriums ständig neues kontaminiertes Wasser entsteht.

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6 Kommentare

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  • Warum wir Fukushima als Lehrbeispiel sehen sollten: Es gab schlimme soziale "Verwerfungen", nach den tektonischen.



    Bei focus.de als Quelle steht dazu vor 2 Jahren:



    "Und der Schrecken ging weiter. Ganbe erinnert sich, wie er Tage später eine Leiche auf dem Schulweg entdeckte. Während die Medien über die Solidarität der Japaner angesichts der Katastrophe berichteten, erlebte er, wie Erwachsene Kinder bei der Lebensmittelausgabe beiseite drängten. Tagelang aß er nichts, andere Kinder erlitten Panikattacken.



    In der Schule sollten die Kinder nicht über vermisste Freunde sprechen. „Bald wurde es normal, nicht darüber zu reden“, sagt Ganbe. Drei Jahre nach der Katastrophe jedoch wurde er gebeten, einen Vortrag darüber zu halten. Da begann er, das Erlebte zu verarbeiten. Nachts konnte er nicht mehr schlafen, die traumatischen Erinnerungen kamen zurück. Inzwischen studiert Ganbe Katastrophensoziologie und hält Vorträge in ganz Japan – um die Tsunami-Katastrophe vor dem Vergessen zu bewahren."



    Das verdient unsere Unterstützung.

    programm.ard.de/?s...sletter::Highlight

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Soviel zur Beherrschbarkeit der Kernkraft.



    Und wenn nicht einmal eine Hochtechnlogie-Nation wie Japan hier Lösungen findet, sollten Holzklasse-Nationen, wie es Deutschland mittlerweile geworden ist, froh sein, das sie ihre Meiler abgeschaltet haben.

  • Die Planung der Einleitung verseuchten Wassers als konventionelle Verklappung oder per Rohrleitungen ist ironischerweise ein "Revival", da andere Möglichkeiten offensichtlich dann doch wieder verworfen wurden:



    "Im havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi fallen täglich große Mengen radioaktiv verseuchtes Wasser an, das auch hohe Konzentrationen an Tritium enthält. Wie am 27. Juni 2018 die Presseagentur Kyodo über den Wissenschaftler Professor Ihara von der Fakultät für Ingenieurwissenschaften an der Kinki-Universität in Hiroshima meldete, sei es erstmals gelungen, Wasser mit einem hohen Anteil an Tritium vom übrigen radioaktiven Wasser zu trennen. Bislang galt die Reinigung von Tritiumabwässern als extrem schwierig bis unmöglich, da die chemische Grundstruktur der von normalem Wasser ähnelt. Aus diesem Grund existieren bisher auch noch keine Tritiumfilteranlagen für die anfallenden Abwässer des Kernkraftwerks Fukushima.



    Wirkungsprinzip sei ein besonders feiner Filter mit extrem kleinen Öffnungen, heißt es. Das Vorgehen habe bei der Abscheidung von kontaminiertem Abwasser mit starker Tritiumkonzentration eine hohe Effizienz gezeigt und könnte eventuell zur Entwicklung industriell nutzbarer Filteranlagen führen. Zuvor war in Fukushima die Verklappung in das Meer als einzige sinnvolle Option angesehen worden. Es hatte jedoch erhebliche Kritik gegen die Tritium-Verklappung gegeben.[8]"



    Quelle



    www.schattenblick....kten/ufaat361.html

    Vielleicht können wir uns in Europa das Filtern von Tritium ja dennoch bald leisten, vorzugsweise ist hier eine Anlage wie Sellafield und La Hague zu adressieren. Freiwillige Vorleistungen der Betreiber ziehe ich nicht ins Kalkül. Problem bei Tritium ist (Quelle s.o.):

    "Tritium ist ein weicher Beta-Strahler ohne begleitende Gamma-Strahlung und deshalb mit den üblichen Kontaminationsmeßgeräten nicht nachweisbar, weil die beta-Strahlung die Membranen der Meßkammern nicht durchschlagen kann."



    Schön blöd!

  • Wer sich mit Tritium beschäftigt oder gar auskennt, hat die verschiedenen Szenarien parat, auch die umstrittenen Angaben zur biologischen Wirksamkeit gebundenen Tritiums.



    Das Einleiten ist aber kein Alleinstellungsmerkmal Japans.



    "Die geplante jährliche Freisetzung von Tritium in Fukushima (22 Billionen Becquerel) ist jedoch immer noch “deutlich geringer” als in anderen Anlagen auf der ganzen Welt, wie z.B. in der Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe in La Hague (Frankreich) oder in der Nuklearanlage Sellafield (Grossbritannien)."



    /



    www.swissinfo.ch/g...eberwacht/49100440



    /



    Darüber hinaus laufen den Japaner die Kosten aus dem Ruder.



    www.domradio.de/ar...katastrophe-zahlen



    /



    Die Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern sind besorgniserregend.



    www.ippnw.de/atome...ukushima-kind.html



    Wir sind in manchen Bereichen erst am Anfang der Folgen für die Menschen und damit auch für den "medizinischen Apparat".

    • @Martin Rees:

      Zur Vertiefung am Gedenktag für Fukushima:



      "Patients with papillary thyroid carcinoma after Chernobyl accident are at risk of secondary primary malignancy. Awareness and screening of secondary cancer is needed for patients with papillary thyroid carcinoma after Chernobyl accident."



      Quelle



      www.sciencedirect..../S1877782120301946



      Die unabhängige epidemiologische Analyse ist hier wirklich auch ein unerlässliches Tool, weil die Interessen von Regierungen und teils verstaatlichten Betreibern divergierende Publikationen befördert haben.



      Außer beim Menschen im akzidentellen "Freilandversuch", der unfreiwillig ungefragt mehrfach in der Geschichte zum Versuchsobjekt wurde, gibt es zur Strahlen-induzierten Carcinogenese gezielte Laborstudien bei Mäusen, z.B. für die Wirkung organisch gebundenen Tritiums. Die Frage der Vergleichbarkeit stellt sich doch immer wieder bei diesen Modellen, aus ethischen Prinzipien und aus wissenschaftlichen Einsichten.



      www.aerzte-gegen-t...sterben-zugeschaut

  • "Mit dem strahlenden Material wird Japan noch Jahrzehnte umgehen und leben



    müssen."

    Das ist definitiv falsch.



    Es sind nicht Jahrzehnte sondern Jahrhunderte und Jahrtausende.

    Wie radioaktiv das Zeug ist, lässt sich mit menschlichen Maßstäben garnicht ermessen.



    Aber dass selbst jedes technische Gerät binnen kürzester Zeit seinen Geist aufgibt spricht Bände.



    Und das wird noch lange, sehr sehr lange so bleiben.



    Und trotzdem werden weiterhin KKW gebaut.



    Geld schmeckt halt ach so süß und Atomwaffen machen ach so schön wumms.



    Aber der Geschmack von Cäsium und Plutonium ist bitter - sehr bitter. Sagen zumindest Überlebende ...