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1. Mai in KreuzbergAuch ohne Myfest Party auf der Straße

Mit Soundsystemen und Picknickdecken ziehen Tausende am Tag der Arbeit durch Kreuzberg. Die Linke lädt zu einem Mix aus Jahrmarkt und ein bisschen Politik.

Frühlingswetter am Tag der Arbeit im Görlitzer Park Foto: Jürgen Held/imago

BERLIN taz | Mittag am Rand von Kreuzberg, kleine Grüppchen mit dicken Sound­systemen machen sich bereit, den Bezirk zu beschallen. Einige wollen mit Fahrrädanhängern mit großen Boxen wohl Spontan-Open-Airs veranstalten, andere richten sich hier im „Schlesischen Busch“ mit kleinen Bühnen oder Tanzflächen ein, Wumms haben sie alle. Picknickende Familien mit Kinderwägen bekommen also eine Kakofonie aus Elektroremixes, Soulklassikern, Reggae und Techno ab. Es werden 0,5-Biere aus dem Einkaufstrolley verkauft.

Das offizielle „Myfest“, das in Kreuzberg in den Jahren vor der Pandemie teilweise Zehntausende Menschen und hauptsächlich Partypublikum anlockte, fiel in diesem Jahr erneut aus. Das Publikum lässt sich davon aber nicht beirren. Im Bezirk sind Tausende Menschen auf den Straßen. Besonders ballen sich die Massen im ehemaligen Postzustellbezirk SO 36, wo sich das Geschehen am 1. Mai traditionell abspielt – ob nun die Plünderung von Bolle, Partytourismus in der Oranienstraße oder Straßenschlachten von Hausbesetzerszene und Polizei.

Politischer Flohmarkt

Der Mariannenplatz rund um das ehemals besetzte Bethanien ist in diesem Jahr allerdings nur ansatzweise blau: Ein paar Kleingruppen von Po­li­zis­t*in­nen patroulliert mit an der Uniform befestigtem Helm über ein von der Linken angemeldetes 1.-Mai-Fest vor dem ehemaligen Diakonissen-Krankenhaus. Das Fest erinnert an eine Mischung aus Jahrmarkt und politischem Flohmarkt. Es gibt Heliumballons, einen Stand mit Lebkuchenherzen, auf die mit rosa Schrift „Kleine Prinzessin“ geschrieben ist, und gelangweilte Hipsterkids mit Glitzer im Gesicht.

Eine Gitarrenkombo spielt Coverversionen von Rockklassikern, die Linke verkauft Bier für 3,50 und Kuchen gegen Spende. Die Schlange am Streetfood-Stand verdeckt locker den Info-Stand einer politischen Initiative. In der Schlange ein hungriges Punk-Pärchen, das für ihre Tochter einen Prinzessinnen-Ballon gekauft hat. Politischen Anstrich bekommt das Fest mit Ständen verschiedener Initiativen und internationaler Organisationen, die Flyer und Gespräche anbieten. An einem Stand der französischen Sozialisten kann man Dosenwerfen oder, wie es hier hieß: „Macron Simulator“ – die Dosen sind mit allerhand Freiheitsrechten beschriftet, die man abräumen kann.

Ausstellung in der Kirche

Eine Künstlerin legt auf der Wiese vor der St.-Thomas-Kirche ein großes Peace-Zeichen mit besprühten Regenschirmen aus. Darauf sind neben Textzeilen von Ton Steine Scherben (etwa „Keine Macht für niemand“, „Mein Name ist Mensch“, „Allein machen sie dich ein“), politische Ikonen abgebildet, die als Selfie-Kulisse herhalten müssen. In der St.-Thomas-Kirche selbst gibt es eine sehenswerte Ausstellung der politischen Gemeinde der „Kirche an der Mauer“ – von Protesten gegen Wohnungsnot Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur aktuellen Solidarisierung mit den Zielen der Letzten Generation. Die Kirchengemeinde hielt auch schon mal Technogottesdienste zusammen mit der Club-Szene ab und bot Geflüchteten oder Haus­be­set­ze­r*in­nen nach ihrer Räumung Unterschlupf.

Im Laufe des Nachmittags schließlich füllen sich die Straßen in Kreuzberg mit Tausenden Menschen. Autos kommen nur noch im Schritttempo durch. Rund um Görlitzer Park, Mariannenplatz und der Oranienstraße strömen die Menschen, trinken und rauchen in der Sonne. Kneipen stellen Boxen an die Straße, Drum ‚n‘ Bass schallt über dem Oranienplatz, an diversen Ecken gibt es Live-Musik. Es erinnert an die Anfangsjahre vom „Myfest“, weil es nicht komplett überfüllt ist.

Etwas deplatziert wirkt bei der guten Stimmung und dem traditionell guten Wetter die stark präsente Polizei. Eine Hundertschaft verrammelt den Kotti mit Hamburger Gittern – vermutlich um zu verhindern, dass die Revolutionäre 1.-Mai-Demo später zur Kotti-Wache vordringen kann.

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