„Es ging den Leuten ums Plündern“

GESCHICHTSSTUNDE II Nicht Linksradikale legten Feuer bei Bolle, sondern ein unpolitischer Pyromane namens Armin S. zündelte. Die taz hat ihn besucht

Bereits am Freitag beginnt im Bethanien eine Internationale Konferenz zu Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie. Am Sonntag zieht dann die Organize-Demonstration durch den Wedding, im Mauerpark feiern traditionell mehrere tausend Menschen die Walpurgisnacht. Früher gab es hier heftige Krawalle. Die Polizei geht aber von einem friedlichen Verlauf aus und hat wieder Glasflaschen erlaubt.

Am 1. Mai gibt es wie immer die Gewerkschaftsdemo um 10 Uhr und die Revolutionärer- 1.-Mai-Demo um 18 Uhr, die nicht angemeldet wurde und durchs Myfest gehen soll. Zudem laufen ab 13 Uhr in Neukölln die Maoisten der Gruppe Jugendwiderstand. Um 16 Uhr demonstrieren ein Jugendbündnis und der Internationalistische Block, der sich von der 18-Uhr-Demo abgespalten hat. Im Bürgerpark Pankow will die AfD ein „Familienfest“ feiern. Linke Gruppen wollen protestieren.

Das Myfest wird etwas kleiner, es gibt 8 Bühnen und 100 Stände von Anwohnern mit Essen und Trinken. Glasflaschen sind verboten. Im Statthaus Böcklerpark gibt es das Maifest. Die Polizei ist mit 5.500 bis 6.000 Polizisten im Einsatz. (dpa, taz)

von Plutonia Plarre

Schmal und zerbrechlich sieht er aus, als er die Wohnungstür öffnet. Aus seinen Haaren, die früher blond waren, ist die Farbe gewichen, ansonsten ist er kaum gealtert. Durch die Brille, die kaschiert, dass er auf dem linken Auge blind ist, mustert er die Besucherin. Die Visite war nicht angekündigt. Aber Armin S. wirkt kein bisschen überrascht. Allzu gegenwärtig ist das Datum. 30 Jahre ist es her, dass der Bolle-Supermarkt in Kreuzberg in Flammen aufging.

Die Plünderung und der Brand des Geschäfts sind zum Sinnbild für die Revolte am 1. Mai 1987 geworden. Jahrelang hatte sich die Legende gehalten, Autonome hätten den Laden bei den Straßenkämpfen in Schutt und Asche gelegt. In Wirklichkeit war es das Werk eines unpolitischen Pyromanen: Armin S.

Der Mann, der als einzigartiger Feuerteufel in die Geschichte eingegangen ist, ist heute 57 Jahre alt. Mehr als 700 Brände hat er zwischen 1977 und 1990 in halb Europa gelegt. In Süddeutschland und Berlin, wo drei Menschen durch ihn zu Tode gekommen sind, war er besonders aktiv. Die Polizei wäre S. möglicherweise nie auf die Spur gekommen, hätte der gelernte Tischler seine Festnahme nicht provoziert.

Manchmal habe er in Selbstmordabsicht bis zu den Knien in den Flammen gestanden, sagte S. dazu später. „Ich brauchte Hilfe.“ Im Sommer 1990 zündete er nahe des alten Kontrollpunkts Dreilinden einen BVG-Unterstand an und wartete auf die Polizei.

Bei der Kripo legte er eine Lebensbeichte ab. Der Prozess vor dem Landgericht endete damit, dass ihn die Richter für schuldunfähig erklärten und in den Maßregelvollzug einwiesen. Pyromanie aufgrund einer chronischen Verhaltensstörung, so die psychiatrische Diagnose. Unterbringungen im Maßregelvollzug sind nicht befristet. Nur wenn Gutachter und Gericht zu der Auffassung kommen, von dem Patienten gehe keine Gefahr mehr aus, gibt es Schritt für Schritt Vollzugslockerungen.

Bereitwillig lässt Armin S. die Reporterin herein. Wo er in Berlin wohnt, bittet er nicht zu schreiben. Es ist das dritte Mal, dass man sich trifft. Die erste Begegnung war 1997. Damals befand sich S. noch hinter den Mauern der forensischen Psychiatrie in Wittenau. 2007 gab er der taz erneut ein Interview. Da durfte er den Maßregelvollzug bereits tagsüber verlassen. Er hatte eine kleine Wohnung und Arbeit in einer Druckerei. Aber jeden Abend musste er wieder rein.

Nun, weitere zehn Jahre später, ist Armin S. frei. Ende 2015 wurde er entlassen. Bis 2020 steht er unter Bewährung und Führungsaufsicht. Dazu gehört auch, dass die Polizei sofort bei ihm aufkreuzt, wenn es in der Nähe brennt.

Ein sexueller Kick beim Anblick der Flammen und ein Hass auf seine Familie hätten ihn zu den Taten getrieben, hatte S. früher erzählt. Mit 17 hatte der als achtes von neun Kindern in Baden-Württemberg Geborene begonnen, Brände zu legen. Seine Kindheit beschrieb er als Hölle. Der Vater, ein stets betrunkener Maurer, habe die Familie tyrannisiert. Die Mutter schleppte, wenn der Alte nicht da war, ständig neue Liebhaber ins Haus.

Er sei viereinhalb Jahre alt gewesen, als ihm der betrunkene Vater eine zerbrochene Bierflasche ins Auge gestoßen habe, erzählte S. Das Jugendamt nahm die Kinder aus der Familie und steckte sie ins Heim.

In einer Scheune bei Augsburg legte S. das erste Mal Feuer. Da war er Lehrling. Als die Flammen hoch schlugen, spürte er, dass ihn das erregte. Der Hühnerstall der Oma, Boote, Bauernhöfe, Häuser – überall, wo er sich als Gelegenheitsarbeiter verdingte, zündelte er. In einer Kneipe wartete er auf die Sirene der Feuerwehr und mischte sich unter die Schaulustigen.

1980 zog S. nach Berlin. Zunächst geschah nichts, weil er zu Hause mit Brandbeschleunigern herum experimentierte. Dann legte er in der Großstadt los – schlimmer denn je. Im historischen Blockhaus Nikolskoe, das 1984 abbrannte, starb ein Angestellter. Bei einem Feuer in der Reichenberger Straße 153 kamen 1988 ein Paar und drei Katzen um. Er steckte Tankstellen an, das Reetdach des U-Bahnhofs Dahlem Dorf ging auf sein Konto, selbst bei der Feuerwehr Neukölln legte er Feuer.

Besonders oft schritt er in Kreuzberg zur Tat – und segelte immer wieder auf politischem Ticket mit. So legte er am 28. Mai 1987 im Bilka-Kaufhaus am Kottbusser Damm Feuer. Wie beim Bolle-Brand wurden Linke hinter der Tat vermutet und ein Zusammenhang mit dem Selbstmord von Norbert Kubat gesehen. Der 29-jährige Kreuzberger hatte sich zwei Tage zuvor in U-Haft erhängt, nachdem er bei der Randale am 1. Mai festgenommen worden war. Allerdings machte der professionelle Molotowcocktail die Ermittler stutzig. Er passte so gar nicht zu den Autonomen. „Das war nicht so ein Einfacher mit Lappen und Diesel in der Flasche“, so damals ein Brandexperte.

Ende 1987 verübte S. einen Brandanschlag auf einen Kita-Neubau auf dem Gelände des besetzten Kinderbauernhofs an der Aldalbertstraße. Wieder kamen Linksradikale in Verdacht. „Der revolutionäre Kampf wird immer absurder“, konstatierte die Kreuzberger SPD seinerzeit.

Viel später erzählte S. der taz, er sei kein politischer Mensch. Rein zufällig sei er am 1. Mai 1987 am Görlitzer Bahnhof in die Randale geraten. Nachdem Bolle geplündert war, hätten Leute vom schwarzen Block Molotowcocktails in den Laden geschmissen. „Ich habe mir gedacht, so funktioniert das nicht. Denen werde ich zeigen, wie man das macht.“ Er habe die Flaschen aus seinem Rucksack geholt und gerufen: „Vorsicht, das brennt gleich ohne Lunte.“

Das Gerede von der sozialen Revolte halte er für einen Mythos. „Nach allem, was ich mitbekommen habe, ging es den Leuten nur ums Plündern und Bullenjagen.“ Selbst vor kleinen Läden sei nicht halt gemacht worden. Am Ende hätten sich die Leute die geklauten Sachen gegenseitig abgenommen.

Die dritte Begegnung mit Armin S. einige Tage vor dem 1. Mai 2017 dauert nur kurz. Er sei froh, alles hinter sich zu haben. Mehr möchte er dazu nicht mehr sagen.