+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Abhörfall bestätigt
Das Verteidigungsministerium räumt ein, dass eine russische Bespitzelung vertraulicher Gespräche stattfand. Paris will von Spannungen mit Berlin nichts wissen.
Kanzler Scholz: „eine sehr ernste Angelegenheit“
Das Bundesverteidigungsministerium hat einen Abhörfall bei der Luftwaffe bestätigt. „Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden“, sagte eine Ministeriumssprecherin am Samstag. Zum Inhalt des Gesprächs machte das Ministerium keine Angaben, der Vorgang werde weiter geprüft, sagte die Sprecherin.
„Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen“, sagte die Sprecherin weiter.
Seit Freitag kursiert im Internet ein rund 38 Minuten langer Mitschnitt, in dem ein Gespräch zwischen vier deutschen Bundeswehroffizieren zu hören sein soll. Verbreitet wurde die Aufnahme von der Chefredakteurin des früher als Russia Today bekannten russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, im Onlinedienst Telegram. Der Mitschnitt ist undatiert, nach Simonjans Angaben fand die virtuelle Telefonkonferenz am 19. Februar statt.
In dem Gespräch geht es um einen möglichen Einsatz von deutschen Taurus-Marschflugkörpern, die eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben, durch ukrainische Streitkräfte und deren mögliche Auswirkungen. Die Ukraine fordert seit Monaten die Lieferung des Taurus-Waffensystems, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber trotz Kritik auch aus den Reihen der Koalitionspartner ausschließt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor eine „zügige“ Aufklärung angekündigt. „Das, was dort berichtet wird, ist eine sehr ernste Angelegenheit, und deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt“, sagte Scholz am Samstag in Rom. Die Regierung in Moskau forderte ihrerseits „Erklärungen von Deutschland“.(afp)
Séjourné betont Gesprächswillen
Trotz unterschiedlicher Positionen bei der Unterstützung der Ukraine sieht der französische Außenminister Stéphane Séjourné keine Kluft zwischen Frankreich und Deutschland. „Es gibt keinen deutsch-französischen Konflikt, wir sind uns bei 80 Prozent der Themen einig“, sagte Séjourné am Samstag im Interview der französischen Zeitung Le Monde. Er habe mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) gesprochen, die er am Dienstag in Paris treffe. „Es besteht der Wille, miteinander zu sprechen.“
Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zur Abwehr des russischen Angriffskriegs weiterhin kategorisch ausschließt, hat Frankreich vergleichbare SCALP-Raketen Kiew bereits zur Verfügung gestellt und die Lieferung weiterer Exemplare angekündigt. Auf die Ankündigung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am vergangenen Montag bei einem Treffen zahlreicher Staats- und Regierungschefs, dass er den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschließe, kam prompt eine Absage aus Berlin. Einen Einsatz von Bodentruppen werde es aus deutscher Sicht nicht geben, sagte Scholz.
„Ich sage es ganz ehrlich: Alles, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeschlossen haben, haben wir aufgrund der Situation sechs Monate später getan“, sagte Séjourné. Deutschland und Frankreich unterstützten die Ukraine unterschiedlich intensiv, zum Beispiel bei den Raketen. „Das ist kein Drama, denn wir haben das gleiche Ziel, die Ukraine zu unterstützen.“ Nötig sei aber mehr Kohärenz beim europäischen Vorgehen. „Wenn man zwei Wochen vor dem Treffen den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius sagen hört, dass wir uns in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich im Krieg mit Russland befinden werden, dann muss man unserer Meinung nach die Konsequenzen daraus ziehen.“ Die Debatte müsse nun in Europa geführt werden.
Macron habe die Teilnehmer der Ukraine-Hilfskonferenz in Paris nicht überrumpelt, sagte der Außenminister. „Sie wussten sehr wohl, was auf der Tagesordnung stand und dass es nicht darum ging, kämpfende Bodentruppen zu entsenden.“ Es gehe darum, das Kräfteverhältnis mit Moskau umzukehren. „Es ist notwendig, diese Debatte unter uns zu führen, auch wenn es noch keinen Konsens gibt.“ Im Wesentlichen hätten alle die gleiche Analyse der Situation und die gleichen Ziele, Russland scheitern zu lassen.
Für Irritationen hatte Bundeskanzler Scholz mit der Andeutung gemacht, Großbritannien oder Frankreich hätten Soldaten in der Ukraine zur Programmierung ihrer gelieferten Marschflugkörper, was Deutschland so nicht machen könne. Zur Frage einer Präsenz französischer Soldaten in der Ukraine sagte der Außenminister nun: „Im Moment gibt es keine militärische Präsenz, sondern nur Unterstützung in Form von Material und Waffen.“ (dpa)
Bundeswehr überwacht Luftraum über dem Baltikum
Die Bundeswehr wird in den kommenden neun Monaten erneut den Luftraum über den baltischen Nato-Staaten Estland, Lettland und Litauen überwachen. Im Beisein von Lettlands Verteidigungsminister Andris Spruds und Luftwaffen-Generalinspekteur Ingo Gerhartz übernahm ein Geschwader der Luftwaffe am Samstag das Kommando auf der lettischen Luftwaffenbasis Lielvarde, von der aus deutschen Piloten erstmalig das „Air Policing Baltikum“ übernehmen. Für den Einsatz werden bis Ende November bis zu sechs „Eurofighter“ und etwa 200 Soldaten auf dem gut 60 Kilometer südöstlich der lettischen Hauptstadt Riga gelegenen Militärflugplatz stationiert.
Seit dem Beitritt der baltischen Staaten zum Bündnis vor 20 Jahren verlegen Nato-Staaten regelmäßig Flugzeuge als sichtbares Zeichen der Bündnissolidarität in die Region. Lettlands Verteidigungsminister sagte, dass die Mission angesichts Russlands Krieg gegen die Ukraine zusätzliche Bedeutung gewonnen habe. „Wir sind Deutschland dankbar, dass es diese Mission und die Führung der Mission übernommen hat“, so Spruds weiter.
Estland, Lettland und Litauen besitzen keine eigenen Kampfjets. Die Nato-Verbündeten sichern deshalb bereits seit 2004 im Wechsel den baltischen Luftraum. Deutschland hat die Aufgabe wiederholt übernommen. Anfangs fanden die Patrouillenflüge mit Phantom F-4F vom litauischen Flugplatz Siauliai statt. Von 2014 bis 2023 war der Militärflugplatz Ämari in Estland der Stützpunkt für die deutschen Eurofighter. Wegen dessen Renovierung wird das „Nato Air Policing Baltikum“ nun erstmals von Lettland aus durchgeführt werden.
Ihren ersten Einsatz von Lielvarde aus hatte die Luftwaffe bereits am Freitag. Nach Angaben von Oberstleutnant Swen Jacob mussten die deutschen Piloten aufsteigen, um zwei ohne Flugplan fliegende russische Militärflugzeuge im internationalen Luftraum über der Ostsee zu identifizieren. Ein vermehrtes Flugaufkommen erwartet der deutsche Einsatzkontingentführer aber nicht. „Tatsächlich ist es über die letzten Jahre selbst seit Beginn des Ukraine-Krieges weder mehr noch besonders weniger geworden“, sagte Jacob. (dpa)
London: Russland lässt Aufklärungsflugzeuge am Boden
Nach dem zweiten Abschuss eines russischen Aufklärungsflugzeugs vom Typ Berijew A-50 innerhalb kurzer Zeit bleiben die Maschinen nach britischen Informationen vorerst am Boden. Dies werde vermutlich andauern, bis die Gründe für den Verlust geklärt sowie die Gefahr durch die ukrainische Flugabwehr für die Flugzeuge verringert werden könne, teilte das britische Verteidigungsministerium am Samstag mit.
„Der Verlust dieser Fähigkeit zur täglichen Führung und Kontrolle der russischen Luftoperationen führt höchstwahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung des Situationsbewusstseins der Flugbesatzungen“, hieß es in London weiter. „Dies ist eine Fähigkeitslücke, die sich Russland im umkämpften Luftraum der Ost- und Südukraine kaum leisten kann.“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vor einer Woche gesagt, der Abschuss des Aufklärungsflugzeugs über Südrussland sei das Ergebnis der „Zusammenarbeit mit Partnern“ gewesen. Bereits Mitte Januar hatte die Ukraine eines der Frühwarnaufklärungsflugzeuge abgeschossen, die mit teurer Elektronik gespickt und mit speziell ausgebildeten Experten besetzt sind.
Um die von den A-50 hinterlassene Lücke zu schließen, werde Russland vermutlich andere Flugzeuge alternativ nutzen und mehr Risiko eingehen müssen, um die notwendige Luftunterstützung für die Bodentruppen in der Ukraine zu bieten, teilte das britische Ministerium weiter mit. Sobald die Maschinen wieder eingesetzt werden, werde sich die Belastung von Material und Personal verstärken, da die Flotte überlastet sei. Womöglich werde Russland versuchen, ausgemusterte A-50-Teile wieder zu benutzen.
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor gut zwei Jahren täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London Desinformation vor. (dpa)
Selenskyj: Westen soll mehr Abwehrsysteme liefern
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Westen aufgefordert, seinem von Russland angegriffenen Land mehr Luftabwehrsysteme zu liefern. Russland bekämpfe weiterhin Zivilisten, erklärte Selenskyj am Samstag in Onlinenetzwerken. „Wir brauchen mehr Luftverteidigung von unseren Partnern. Wir müssen den ukrainischen Luftschild stärken, um unsere Bevölkerung besser vor russischem Terror zu schützen. Mehr Luftabwehrsysteme und mehr Raketen für Luftabwehrsysteme retten Leben.“ (afp)
Zwei Gebäude in Sankt Petersburg beschädigt
In Sankt Petersburg werden zwei Gebäude beschädigt, die Bewohner werden evakuiert. Anwohner schildern eine laute Explosion, Fenster seien zu Bruch gegangen. Der Gouverneur der Großstadt, Alexander Beglow, berichtet von einem Zwischenfall im Bezirk Krasnogwardeiski ohne Details zu nennen. Es habe keine Verletzten gegeben. „Zuerst hörte ich ein Pfeifen, weil ich gerade das Fenster geöffnet hatte. Dann einen Knall, eine Flamme und eine Wohnung voller Rauch. Das Fenster flog heraus“, sagt die Anrainerin Elena der Nachrichtenagentur Reuters. Russische Medien melden, dass der Vorfall durch eine ukrainische Drohne verursacht worden sein könnte. (rtr)
Vier Tote nach Drohnenangriffen auf Odessa
Bei einem neuen russischen Drohnenangriff auf die ukrainische Schwarzmeer-Stadt Odessa sind nach Angaben von Behörden mindestens vier Menschen ums Leben gekommen und acht weitere verletzt worden. Bei dem Angriff am Samstag wurde ein Teil eines neunstöckigen Wohnhauses zerstört – laut Behörden insgesamt 18 Wohnungen. Unter den Verletzten seien auch ein drei Jahre altes Kind und eine schwangere Frau, teilte der Gouverneur des Gebiets Odessa, Oleh Kiper, am Morgen mit.
Weitere Menschen könnten sich noch unter den Trümmern befinden. Zunächst war am Morgen von zwei Toten die Rede gewesen. Später wurden noch zwei Leichen aus den Trümmern gezogen, darunter die eines drei Jahre alten Kindes. Die Behörden veröffentlichten auch Bilder davon.
Auch auf Videos der Behörden waren schwere Zerstörungen und ein Trümmerfeld zu sehen. Helfer waren im Einsatz. Auch in der Region Charkiw im Osten der Ukraine starb bei einem Drohnenangriff ein Mensch. Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte den Angriff und sprach den Angehörigen sein Beileid aus.
Nach Angaben der ukrainischen Flugabwehr wurden in der Nacht zum Samstag sieben von acht Drohnen allein in Odessa abgeschossen. Russland greift die Metropole im Schwarzen Meer in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Angriffskrieg immer wieder auch mit Raketen an.
„Russland tötet Zivilisten“, schrieb der Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, bei Telegram. „Wir brauchen Hilfe, das zu beenden.“ Die Ukraine fordert vom Westen seit Monaten deutlich mehr Unterstützung bei der Luftverteidigung mit zusätzlichen Flugabwehrsystemen, um die Städte noch besser vor den russischen Angriffen zu schützen. Nach Angaben der ukrainischen Flugabwehr wurden in der Nacht zum Samstag insgesamt 14 Drohnen und ein russisches Kampfflugzeug Suchoi vom Typ Su-35 abgeschossen. (dpa)
Ukraine schließt Sicherheitsabkommen mit Niederlande
Die von Russland angegriffene Ukraine hat mit den Niederlanden ein Sicherheitsabkommen unterzeichnet. „Das Dokument sieht zwei Milliarden Euro an Militärhilfe von den Niederlanden in diesem Jahr vor“, verkündete Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag über Telegram. Zur Unterzeichnung war der niederländische Regierungschef Mark Rutte in die ostukrainische Großstadt Charkiw gereist.
Mit dem Vertrag bekommt Kiew von der Führung in Den Haag kurzfristig weitere Unterstützung bei Flugabwehr, Artillerie, gepanzerten Fahrzeugen und weitreichenden Waffen in Aussicht gestellt. Die Ukraine werde auch künftig bei ihrem Streben nach einem Beitritt zur Europäischen Union und zur Nato von den Niederlanden unterstützt, heißt es. Ähnlich wie andere Abkommen zuvor mit Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark und Kanada wurde der Vertrag auf zehn Jahre geschlossen.
Selenskyj und Rutte besichtigten am Rande der Unterzeichnung mehrere durch russischen Beschuss beschädigte Wohnhäuser und das bereits im März 2022 durch einen Raketenschlag getroffene Gebäude der Gebietsverwaltung.
Der ukrainische Präsident bedankte sich anschließend auch in seiner täglichen Videobotschaft für das neue Rüstungspaket. „Heute gibt es ein neues Paket an militärischer Hilfe von den Niederlanden für unsere Soldaten“, sagte Selenskyj. Die Videoaufnahme machte der ukrainische Präsident in der von Russlands Angriffskrieg schwer gezeichneten Millionenstadt Charkiw. (dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland