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Jörn Kabisch – Anders Essen #Söderisst

Der bayerische Ministerpräsident hat sich selbst zum Foodblogger erhoben. Ist das bedenkenswert, vielleicht sogar museumswürdig? Die Polemik eines Wirts.

Jede Gelegenheit scheint der Politiker Markus Söder zum Essen und dessen Inszenierung zu nutzen. Hier ein Schulterblick Foto: picture alliance/dpa | Leonie Asendorpf

taz FUTURZWEI | Wer hätte gedacht, dass er es auch noch zum prominentesten Foodblogger Deutschlands bringen wird.

Seit über drei Jahren berichtet Markus Söder unter #söderisst in den sozialen Medien über seine Essgewohnheiten. Oft sind das Schmankerl aus bayerischen Bierzelten, der bayerische Ministerpräsident kartografiert aber auch das deutsche Imbisswesen, meist hat er dabei umhülltes Fleisch auf dem Teller – entweder paniert und frittiert oder in einen Wurstdarm gepresst.

Ab und zu legt er eine „gesunde“ Mahlzeit ein. Das bedeutet dann Hühnchen oder Fisch mit etwas Salat.

Männer-Diät, „Kulturoffenheit“ und Anti-Veganismus

Eine ziemliche Männer-Diät also, die auch dem Gemüse auf dem Teller Platz lässt, allerdings sollte man es mit dem Grünzeug nicht zu bunt treiben.

Nichts scheut der Marggus nämlich so wie den Veganismusverdacht. Um trotzdem Kultur­offenheit zu präsentieren, betreibt er ein niedliches kleines Multikulti-Eck.

„#söderisst gerne Türkische Küche“ postet er regelmäßig unter Fotos von Hackfleisch am Spieß. Die kulturelle Aneignung des Döner kennt dabei keine rote Linie.

Bild: Anja Weber
Jörn Kabisch

Jörn Kabisch war viele Jahre Redakteur bei der taz und betreibt heute mit seiner Frau Katharina das Gasthaus zum Schwan am Fuße des Steigerwaldes. Schwancastell.de

Im jüngsten Landtagswahlkampf 2023 verteilte die CSU weiße T-Shirts mit rotem Söder-Kebab-Logo. Der Ministerpräsident, der auf einen knallharten Migrationskurs eingeschwenkt war, forderte gleichzeitig eine Dönerpreisbremse.

Bis dahin hätte man noch meinen können, Söder habe sich das Thema Food ausgesucht, um eine etwas unbedarfte, private Seite von sich zu zeigen. Kaum jemand in der deutschen Politik ist so bemüht, ein schillerndes Bild von sich zu zeichnen wie der Mittelfranke.

Homestories vermeidet er dabei soweit möglich. Eigentlich eine clevere Idee, „Söder privat“ dem geschätzten Publikum wohldosiert auf der Currywurstpappe zu präsentieren, aber dann auch ziemlich durchsichtig.

Denn so verwackelt und amateurhaft die Fotos da auf Instagram erscheinen, naiv ist die ganze Sache nicht, sondern ­– siehe Söder-Kebab – von einer politischen Agenda angetrieben.

Politische Inszenierungen

Man muss sich dafür bewusst machen, warum Menschen überhaupt öffentlich thematisieren und ausstellen, was sie zu sich nehmen. Ernährungstagebücher in den sozialen Medien folgen, hat der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder einmal sehr treffend festgestellt, immer dem Prinzip der Selbst­optimierung, in körperlicher, gesundheitlicher oder kultureller Hinsicht, meist sogar einem opaken Mischmasch dieser Aspekte. Und das gilt eben auch für Markus Söder.

Schon jetzt sollte das Deutsche Historische Museum (DHM) darüber nachdenken, sich sein kulinarisches Foto­tagebuch für die eigene Sammlung zu sichern, so wie Joschka Fischers Turnschuhe oder Günter Schabowskis Notizzettel – als letztem großen Monument für den fleischgewordenen Unantastbarkeitsanspruch einer fossilen, toxischen und (leider noch ein Adjektiv, trotz Redundanzgefahr) narzisstischen Männlichkeit.

Was ich damit meine? Neulich, auf Besuch in Neu-Delhi, griff Söder mal zu Tee und Brot. Er hatte sich den Magen ­verdorben, welchem Indientourist ist das nicht schon passiert. Aber die Episode ist auch nur die bestätigende Ausnahme von der Erzählung vom All-you-can-eat-Wesen.

Er braucht keine Selbstoptimierung, er ist superoptimiert. Denn es ist faszinierend, was der Ministerpräsident sich alles schafft einzuverleiben, ohne sich disziplinieren zu müssen. Notorisch postet Söder Fotos von sich im Bierzelt, immer mit einer Maß Bier, Teller voll mit Schweinsbraten, Schnitzel und Bratwürsten.

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Muss schon ein Knochenjob sein, das bayerische Landes­vater-Dasein, wenn man dafür essen muss wie ein Feld­arbeiter, mag sich der eine denken. Bei manch anderem könnte Bewunderung für die ungemeine Konstitutiondes 1,94-Meter-Mannes aufkommen, der Nahrung offenbar so gut verwertet, dass ihm darüber noch kein Ranzen gewachsen ist.

Er geht noch immer als schlank durch. Wäre Söder eine Frau, hätte der Vergleich von Statur und Diät schon längst zu Fragen geführt, ob Marga eine Schilddrüsenüberfunktion hat.

Ein Ausnahmemensch also, aber auch ein Ausnahme­politiker. Denn der Berufsstand hat in letzter Zeit mit ­großem Gesundheitsbewusstsein von sich selbst gesprochen: Es wird nicht mehr viel geraucht oder getrunken, viele Politiker achten auf ihre Ernährung, treiben Ausgleichssport in einem stressigen Alltag, in dem kaum Freizeit bleibt.

Von der vergangenen Ampelkoalitionen fallen mir dazu vor allem die Hauptprotagonisten ein: Olaf Scholz (Rudergerät), Annalena Baerbock (Trampolin) und Robert Habeck (Joggen).

„Auto-toxische“ Männlichkeit im Museum?

Das hat ein Söder nicht nötig. Auch dass die auf Fleisch konzentrierte Ernährung, die er da protegiert, in den letzten Jahrzehnten starker Mitverursacher für den Anstieg von Herzkreislauf-Krankheiten in der Bevölkerung ist, ficht ihn nicht an.

Der nicht-weibliche Teil ist davon übrigens weit mehr betroffen, das zum Thema (auto-)toxische Männlichkeit. Dass seine Fleisch-Diät überhaupt erst durch ein Landwirtschaftsmodell möglich ist, in dem wegen der Ausbeutung fossiler Rohstoffe (Dünger und Kraftstoff) ein Ernteüberschuss produziert werden kann, durch den neben dem Menschen auch Milliarden Nutztiere auf der Welt ernährt werden können, interessiert den Ministerpräsidenten nicht. So, damit sollte ich die Adjektive von oben zur Genüge abgearbeitet haben.

Bleibt nur noch eins: Söder trinkt nicht oder nur wenig. Das wussten Sie sicher auch schon. Er hat das schon mehrmals ganz freimütig bekannt. Also, sehen wir uns mal an, wie leer die Maßkrüge sind.

Und wie angegessen die Teller, die er da in die Kamera hält. #söderisstundtrinktdasnicht, der Hashtag passte darunter auch. Da scheint eine historische Einordnung zwingend notwendig. DHM, bitte übernehmen Sie.

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