Die Wahrheit: Traum von einem Baum
Normalerweise ist Donnerstag der Gedichtetag auf der Wahrheit, aber besondere Feste verlangen nach besonderen Gedichten an besonderen Tagen.
Armer, armer grüner Baum.
Im Advent gilt: aus der Traum.
In den Ständer reingedrückt.
Wachsbesudelt. Sternbestückt.
Deine Nadeln sind der Grund.
Drum wirst du gesäget, und,
was dir sicher nicht gefällt,
zum Vertrocknen aufgestellt.
Armes, armes Weihnachtstier.
Kriegst zu essen nur dafür,
dass du im Dezember dann
felsenfest musst glauben dran.
Armes, armes Federvieh.
Weihnachten erlebst du nie.
Denn der Duft, der zieht durchs Haus,
geht von dir als Leiche aus.
Armes Kindlein, so ein Mist.
Dich fragt keiner, wie das ist.
Liegst da rum. Im Stall. Im Stroh.
Ochs und Esel ham kein Klo.
Vater weiß nicht, wie’s geschah.
Plötzlich warst du eben da.
Hast nicht mal ein Kinderbett.
Nur am Himmel der Komet.
Mutter schaut zur Tür heraus.
Späht nach fremden Männern aus.
Weise aus dem Morgenland
sollen kommen. Allerhand.
Bist schon ziemlich übel dran,
dass du ausgerechnet an
Weihnachten geboren bist.
Armer, armer Jesus Christ.
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