piwik no script img

Folgen der US-SicherheitsstrategieEuropa in der Mangel

Die Vereinigten Staaten verabschieden sich vom westlichen Liberalismus. Was steht in der neuen US-Sicherheitsstrategie und wie reagiert Europa?

Die Europäische Union steht so ziemlich allein da Foto: Jan A. Staiger

Wer am Donnerstagnachmittag Nato-Generalsekretär Mark Rutte zuhörte, durfte live erleben, wie die Aufregung um die Nationale Sicherheitsstrategie der USA im Zaum gehalten werden soll. Bei seinem Besuch in Berlin zeigte Rutte keine Spur davon, dass die USA am 4. Dezember ganz offiziell die Scheidung von Europa eingereicht hatten mit ihrem neuen Sicherheitspapier. Keine Rede war davon, dass Trump und Co überstaatliche Organisationen wie die EU, die Nato, die Weltbank und die UN für überflüssig halten, gar störend in ihrem Weltbild.

Stattdessen wiederholte Rutte bei der Veranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz das Mantra: Die transatlantische Brücke hält. Die Amerikaner, insbesondere Trump, bemühten sich um Frieden in der Ukraine, in der Welt. Das Zauberwort: Commitment, Verpflichtung. Natürlich müssten die europäischen Staaten ihre Beiträge zu Aufrüstung und Verteidigung weiter erhöhen, in der Nato, auf nationaler Ebene. Aber sonst? Dem aggressiven wie überheblichen Tonfall bloß nicht zu viel Bedeutung beimessen. Alles in Ordnung. Weitermachen.

Dabei hat es das Papier vom 4. Dezember in sich. Auf 33 Seiten propagiert die Regierung Trump, wie sie sich die neue Weltordnung vorstellt, verpackt in sicherheitspolitische Leitlinien. Die USA sollen sich wieder auf ihre Kerninteressen fokussieren, so wie Trump sie versteht. Die Regierung der Vereinigten Staaten blickt verächtlich auf die liberalen EU-Eliten, also die Regierungen und Institutionen, und unterstützt gar rechte bis rechtsextreme Parteien auf dem Alten Kontinent.

Und so nimmt Europa in dem Papier auch nur Rang drei der Prioritätenliste ein. Während Rutte und auch der deutsche Außenminister Johann Wadephul weiter auf Partnerschaft setzen, scheint dies auf auf der anderen Seite des Atlantiks nicht mehr der Fall zu sein. Eine Überraschung für die deutsche und europäische Öffentlichkeit? Nicht wirklich. Eher ein Moment der radikalen Ehrlichkeit. Viele fühlten sich nach der Veröffentlichung des Papiers zu Recht an jene Rede erinnert, die J. D. Vance im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hatte. Darin bekräftigte der Vizepräsident einerseits die schon seit Obama vertraute US-Forderung, europäische Staaten müssten mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

America first ist die Hauptlinie

Aber dann der Schockmoment. Er holte zum Rundumschlag gegen die EU und den politischen Status quo aus. Vance unterstellte den Europäern Defizite bei Meinungsfreiheit und Demokratie, und bezichtigte sie, ihre Gesellschaften durch „Masseneinwanderung“ zu zerstören. Schon damals war die Empörung groß. Nicht nur in Europa, sondern auch unter Demokraten in den USA.

Jetzt finden sich in der Sicherheitsstrategie die Hauptpunkte dieser Vance-Rede wieder. Damals, vor rund acht Monaten, redeten sich etliche europäische Regierungschefs die Aussagen des US-Vizepräsidenten noch schön und suchten nach Interpretationen zur Selbstberuhigung. Vance sei in der Regierung eben ein Vertreter des extrem nationalistischen Lagers der MAGA-Bewegung, aber es gebe ja auch noch Gegengewichte. Mit dem neuen Dokument greift ein solches Schönreden nun nicht mehr: „America first“ ist die Hauptlinie der US-Regierung, die Handschrift der neokonservativen US-Transatlantiker fehlt fast gänzlich.

Im Gegenteil: In der Präambel der Sicherheitsstrategie rechnet die US-Regierung ab mit den heimischen „außenpolitischen Eliten“, die sich eingeredet hätten, „dass eine dauerhafte amerikanische Herrschaft über die ganze Welt im besten Interesse unseres Landes liege“. Das Papier ist eine eindeutige Botschaft an die geopolitischen Weltmächte – und an die heimische Wählerschaft. Dafür spricht die enthaltene Abrechnung mit den US-Vertretern supranationaler Organisationen, aber auch die fast schon obsessive Betonung der eigenen wirtschaftlichen und militärischen Stärke.

Der Hauptfokus des Papiers liegt auf der westlichen Hemisphäre, und dort besonders auf Lateinamerika. Dort will die Trump-Regierung Migration und Drogenschmuggel eindämmen, Letzteres „wo nötig“ auch mit Gewalt. Das liest sich wie eine Rechtfertigung der Angriffe auf angebliche Drogenboote in der Karibik, die in den letzten Monaten wohl 87 Menschen das Leben gekostet haben. Die Strategie spricht hier von einem „Trump-Zusatz“ zur Monroe-Doktrin. Diese Doktrin wurde 1823 ausgerufen vom damaligen US-Präsidenten James Monroe, der künftig jede weitere Einmischung europäischer Mächte in der westlichen Hemisphäre mit Waffengewalt beantworten wollte. Trump reklamiert Lateinamerika also für sich – während in Wirklichkeit China dort immer mehr Fuß fasst und sich mittlerweile zum Haupthandelspartner Lateinamerikas aufgeschwungen hat.

Gute Handelsbeziehungen mit China

Asien – und dabei vor allem China – folgt dann auf Platz zwei der Prioritätenliste. Im Unterschied zur Sicherheitsstrategie aus Trumps erster Amtszeit wird die asiatische Großmacht nicht mehr als systemischer, antidemokratischer Rivale beschrieben, sondern nur noch als ökonomischer. Ziel der US-Regierung ist es nun, gute Handelsbeziehungen mit China zu bewahren, aber sich auf „nichtempfindliche“ Sektoren zu fokussieren – offenbar will man sich bei wirtschaftlich relevanten Rohstoffen unabhängiger machen. Durch Abschreckung soll ein Krieg im Indopazifik vermieden werden.

Und Europa? Steht laut US-Administration kurz vor dem Zusammenbruch, nahezu apokalyptisch ist die Wortwahl. Die Rede vom zivilisatorischen Verfall Europas ist ein beliebtes Motiv der US-Rechten: Das weiße, christliche Europa wird demnach durch „Massenmigration“ aus Ländern des Globalen Südens zerstört. Verantwortlich für den Niedergang sind nach dieser Lesart die technokratischen Eliten in den Hauptstädten sowie in Brüssel. Trumps Leute wollen deshalb ihre politischen Alliierten fördern – patriotische europäische Parteien. Also Akteure wie die AfD in Deutschland.

Wolfgang Ischinger, der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, ist einer der wenigen, der öffentlich und ohne Scheu zugibt, dass die Haltung der Amerikaner keine große Überraschung ist für Experten. Er plädiert für eine Reaktion mit erhobenem Haupt, die jetzt von den Europäern folgen sollte. Aber vor allem für eine gemeinsame Strategie und Haltung. Also einen Gegenbeweis für das Trump’sche Bild von europäischer Schwerfälligkeit und Schwäche.

Wie wird die Zukunft Europas aussehen? Foto: Jan A. Staiger

Wie also reagieren? Erstens: dagegenhalten. EU-Ratspräsident António Costa wies umgehend jegliche Einmischung der USA in die politischen Belange der EU-Staaten zurück. Wohl wissend, dass die US-Unterstützung für die selbsternannten „Wahrer der Meinungsfreiheit“ aus dem rechten Spektrum so etwas wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk sind. Laut dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler geht es Trump nicht allein darum, europäische Länder rechter zu machen, sie nach dem MAGA-Bild zu formen, wie dessen Chefideologe Steve Bannon einmal verkündete.

Gefälle enorm groß innerhalb Europas

Trump gehe es vielmehr um die Schwächung oder Auflösung der EU. „Die Europäische Union ist für Trump unangenehm, weil er dann auf Augenhöhe verhandeln muss. Er möchte lieber mit kleineren einzelnen Nationalstaaten verhandeln“, sagte Münkler im ZDF. Da hilft nur, an die Errungenschaften der EU zu erinnern und an ihnen festzuhalten: eine wertebasierte Ordnung in allen Mitgliedstaaten, stabile Ökonomien, die Macht der Diplomatie. Alles Aspekte, die die EU als Organisation attraktiv machen. Doch bislang sieht man nicht, dass diese Strategie mit Verve gespielt wird.

Vielmehr greift Reaktion zwei: EU-Vertreter:innen springen auf den Zug auf, die Forderungen nach mehr Unabhängigkeit von den USA vor allem in Rüstungsfragen zu erfüllen. Das US-Papier, in dem Russland nicht mehr als Feind der USA auftaucht, platzierten die Amerikaner nämlich geschickt in einer heiklen Phase der russischen Vollinvasion in der Ukraine. Die Europäer sitzen bei den Verhandlungen zwischen den USA und Russland nicht mit am Tisch. Zugleich wird mehr Geld gebraucht, um die Ukraine weiterhin mit Waffen zu beliefern, die aus den USA kommen.

Das Gefälle der finanziellen Zusagen ist innerhalb Europas enorm. Wie schwierig es ist, zu einer Einigung zu kommen, zeigt der Streit um die Nutzung eingefrorener russischer Vermögen in EU-Mitgliedsstaaten. Wie am Donnerstagabend bekannt wurde, will Deutschland gemeinsam mit anderen Ländern eine Mehrheitsentscheidung erzwingen und so das russische Geld für die Ukraine verwenden. Entscheidend wird der EU-Gipfel in Brüssel Ende kommender Woche. War es das dann mit Strategie zwei, wenn es zu keiner Einigung kommt? Auf Nato-Ebene versuchte es Generalsekretär Rutte in seiner Grundsatzrede in Berlin mit einer drastischen Warnung: „Wir sind das nächste Ziel Russlands.“ Zu viele glaubten, es gebe noch Zeit aufzurüsten. Aber: „Jetzt ist die Zeit gekommen.“

Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei, preschte andernorts mit einer seiner Lieblingsideen vor: einer europäischen Nato. Das würde im Kern erst einmal bedeuten, dass die EU-Staaten ihre Beiträge zu den Verteidigungsausgaben enorm erhöhen und so den US-Forderungen nachkommen. Ventiliert wird nun auch wieder ein Konzept, das bis auf das Jahr Jahr 1950 zurückgeht – nämlich die Aufstellung einer europäischen Armee, um militärisch unabhängiger zu sein. Für Letzteres fehlen aber die Grundlagen: Wer entscheidet, wann es zu einem Einsatz kommt? Wie soll eine solche Armee überhaupt aufgestellt sein und wie wird sie finanziert? Ganz zu schweigen davon, ob die Staaten überhaupt bereit wären, die eigenen Militärstreitkräfte auf EU-Ebene zusammenzuführen, wie es ein britischer Diplomat formuliert.

USA forcieren Spaltung

Kanzler Friedrich Merz übte zwar scharfe Kritik an der US-Strategie und verbat sich eine Einmischung, „wenn es um die Rettung unserer Demokratie“ geht. Aber er propagierte auch ein drittes Szenario. „Ihr braucht auf der Welt auch Partner. Einer dieser Partner kann Europa sein. Und wenn ihr mit Europa nichts anfangen könnt, dann macht wenigstens Deutschland zu eurem Partner.“ Also auf bilaterale Kooperationen setzen und die bürokratische EU beiseite lassen? Keine gute Idee. Denn damit würde Trumps Teile-und-herrsche-Strategie aufgehen.

Die USA forcieren eine Spaltung. Zwar nicht offensiv im offiziellen Dokument, aber wie das US-Portal Defense One berichtet, wurde in einer früheren Fassung der Sicherheitsstrategie explizit eine engere Zusammenarbeit mit EU-skeptischen oder -feindlichen Regierungen genannt. Konkret mit Österreich, Ungarn, Italien und Polen. Diese Auswahl überrascht nicht. Ist doch der ungarische Regierungschef Viktor Orbán ein guter Freund der MAGA-Bewegung, Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin, hatte die seltene Ehre, in Trumps Luxusressort Mar-a-Lago zu weilen.

Und auch in Österreich und Polen dürfte die Umarmungsstrategie der USA verfangen. Die US-Regierung bestreitet die Existenz einer Alternativversion des offiziellen Dokuments. Fakt ist, es gibt Fliehkräfte innerhalb der EU. Sie im Zaum zu halten, wird eine der großen Aufgaben sein. Für den Selbsterhalt der EU.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Der verständliche Reflex ist: Wegducken!



    Wenn wir die neue geostrategische Ausrichtung ignorieren,



    "wird es schon nicht so schlimm werden".



    Im Artikel schwingt die überkommene linke Position mit, Verteidigung sei rechts.



    Leider haben sich die Zeiten geändert.



    Der "große Bruder" heißt jetzt Trump.



    Statt einem verlässlichen Partner haben wir das Gegenteil.



    Dass Trump bereits Nato-Mitglieder wie Kanada und Grönland



    ( Dänemark) in der Existenz bedroht hat, haben wir schnell abgeschüttelt.



    Die aggressive Wirtschaftspolitik Trumps wird wie selbstverständlich hingenommen.



    Dass Trump China nicht mehr als "systemischer, antidemokratischer Rivale" beschreibt, ist angesichts der Tatsache, dass der US Präsident nicht mehr für die Demokratie steht, letztlich wenig überraschend.



    Wir haben jetzt "schriftlich", was zuvor bereits live erlebt wurde.



    Wer glaubt, militärische Unabhängigkeit sei weiterhin unnötig, verkennt die Realität. Eine "Neuorganisation" ist unnötig, Trump wird schon noch aus der Nato austreten.



    Die EU steht schwach da und systematische Bremsen werden von Orban und Konsorten zerstörerisch bespielt.



    Wir müssen beginnen die DemokratInnen zu versammeln, statt uns auszubremsen.