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Digitale Rechte in EuropaDatenschützt euch doch selbst

Die EU plant eine umfassende Deregulierung ihrer Internet-Gesetzgebung. Kritiker fürchten einen massiven Rückschritt für digitale Grundrechte.

Wohin geht es mit dem Datenschutz? Die EU will ihre Internet-Gesetzgebung zurechtstutzen Foto: Erik Von Weber/getty images
Eric Bonse

Aus Brüssel

Eric Bonse

Die EU will ihre Internet-Gesetzgebung zurechtstutzen und wichtige Neuerungen wie den „AI Act“ zur sogenannten künstlichen Intelligenz aufschieben. Ziel sei es, Bürokratie abzubauen und die Regelungen zu vereinfachen, heißt es aus der EU-Kommission in Brüssel. Dort entsteht der „Digital-Omnibus“, ein Gesetzespaket, das mehrere Änderungen in einem Rechtsakt bündelt. Der Entwurf soll am kommenden Mittwoch vorliegen.

Kritiker warnen dagegen vor einem Anschlag auf den Datenschutz und die digitalen Grundrechte. Brüssel knicke vor der US-Regierung in Washington ein, fürchten sie. Es drohe der „größte Rückschritt bei digitalen Grundrechten in der Geschichte der EU“, warnt der österreichische Jurist und Datenschutzaktivist Max Schrems.

US-Präsident Donald Trump versucht seit Monaten, die EU-Regeln zu knacken. Dabei arbeitet er eng mit Elon Musk und anderen Internet-Milliardären zusammen. Sie stören sich am „Brussels Effect“ – dem Umstand, dass die Digitalgesetze aus Brüssel weltweit wirken und die kommerzielle Verwertung der Daten aus Europa einschränken.

Nun soll dieser Schutz gelockert werden. Betroffen sind die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) von 2016, der erst ein Jahr alte „AI Act“ sowie das Digitale-Dienste-Gesetz (DSA), das große Plattformen reguliert. Auch andere Vorschriften sollen überprüft und aufgeweicht werden.

Das geht aus Entwürfen für den „Digital-Omnibus“ hervor, die Grüne und Sozialdemokraten im Europaparlament analysiert haben. Die Sozialdemokraten haben sogar einen Brandbrief an die zuständige EU-Kommissarin Henna Virkkunen veröffentlicht. Darin warnen sie vor einer Deregulierung in fünf zentralen Bereichen.

– Datenschutzgrundverordnung: Die EU-Kommission plant offenbar, das Schutzniveau für persönliche Daten zu senken und den Geltungsbereich der DSGVO einzuschränken. „Wir sind tief besorgt über die Erosion der Grundprinzipien“, schreiben die Sozialdemokraten. Die Definition persönlicher Daten dürfe nicht verwässert werden.

– Data Act und Data Governance Act: Hier geht es um jene Daten, die von Unternehmen genutzt werden dürfen. Die Grenze zwischen privaten und kommerziellen Daten könnte verwischt werden, fürchten die Europaabgeordneten, darunter auch Birgit Sippel (SPD).

– Cybersicherheit: Nach Angaben aus dem Parlament droht auch hier eine Lockerung der Regeln für die Unternehmen.

– Digitaler Ausweis und elektronische Identifizierung: Weniger strikte Regeln könnten die Sicherheit und das Vertrauen der Benutzer beeinträchtigen, heißt es.

– Künstliche Intelligenz und AI Act: Die neuen Regeln für riskante KI-Anwendungen sollen im Juni 2026 in Kraft treten. Ihre Umsetzung könnte jedoch für ein Jahr ausgesetzt werden, berichtet die Financial Times. Die Sozialdemokraten warnen vor Rechtsunsicherheit. Ein Anhalten der Uhr des Gesetzgebers („stop the clock“) würde die Bürger ungeschützt neuen Gefahren aussetzen.

Ob die Bedenken der Abgeordneten Gehör finden, bleibt unklar. Der „Digital-Omnibus“ sei noch nicht fertig, und alle Vorschläge könnten sich ändern, heißt es aus der EU-Kommission. Zuletzt hat die Behörde, die von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geleitet wird, wenig Rücksicht auf Kritik genommen.

So wurden die EU-Regeln zur Nachhaltigkeit, darunter das europäische Lieferkettengesetz, massiv aufgeweicht. Auf die Sozialdemokraten nahm von der Leyen ebenso wenig Rücksicht wie Manfred Weber (CSU), der Chef der größten Parlamentsfraktion. Weber kündigte an, „mit der Brechstange“ gegen Bürokratie vorzugehen.

Rückendeckung bekommt er aus der Bundesregierung – jedenfalls von CDU-Kanzler Friedrich Merz. Ähnlich wie der französische Präsident Emmanuel Macron will der Bundeskanzler die digitalen Regeln der EU „entschlacken“, um der Industrie entgegenzukommen und Europa wettbewerbsfähiger zu machen. „Digitale Souveränität“ heißt für sie auch Deregulierung. Europäische KI-Firmen wie ASML, SAP und Mistral forderten bereits im Sommer eine Lockerung des „AI Act“. Merz und von der Leyen wollen dem nun nachkommen.

Derweil warnt die Zivilgesellschaft in einem offenen Brief vor einem Kahlschlag bei den digitalen Rechten. Was als „technische Straffung“ präsentiert werde, sei „in Wirklichkeit ein Versuch, heimlich Europas stärkste Schutzmaßnahmen gegen digitale Bedrohungen abzubauen“.

Zu den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen gehören Organisationen aus ganz Europa, darunter European Digital Rights (EDRi), Amnesty International und Access Now. Aus Deutschland haben unter anderem der Chaos Computer Club, Algorithm-Watch, die Digitale Gesellschaft und der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten unterzeichnet.

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3 Kommentare

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  • Man muss sich schon fragen, was ein Datenschutz bringt, der Bürger und Unternehmen umfassend durch bürokratische Vorgaben gängelt. Aber anderseits das Datensammeln durch Techkonzerne eigentlich überhaupt nicht effektiv reguliert oder einschränkt.

  • Es gibt schon Gründe, warum Gesetze auf keinen Fall weit genug gehen dürfen, um meine Daten tatsächlich zu schützen. Die kommerzielle Verwertung ist dabei zwar sehr lästig aber meine kleinste Sorge. Welchen Zweck erfüllen die Zwänge zu "smarten" Zählern? Wenn ich Zwischenwerte wissen möchte, gehe ich hin und lese die ab. Dafür brauche ich keine Stasi in der Cloud. Die Energieversorger, beide Wärme und Strom, brauchen das nicht. Für deren Planung und Regelung reichen Daten auf Straßenebene, Häuser oder gar einzelne Wohnungen sind irrelevant. Für sie sind diese aufgezwungenen Erfassungen nur Aufwand, Kosten und lästige Mehrarbeit. Wer also hat ein Interesse daran, eventuell bei Bedarf auf meinen detaillierten Lebenswandel im Viertelstundentakt zuzugreifen, und gleichzeitig die Macht zur Gesetzgebung? Grundrechte sind nicht ohne Grund ausnahmslos als Abwehrrechte gegen den Staat erdacht und formuliert worden.

  • "Zu den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen gehören Organisationen aus ganz Europa, darunter European Digital Rights (EDRi), Amnesty International und Access Now. Aus Deutschland haben unter anderem der Chaos Computer Club, Algorithm-Watch, die Digitale Gesellschaft und der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten unterzeichnet."

    Sehr wichtig wird es sein, dass all diese Organisationen die Nutzer:innen umfassend und detailliert aufklären, was mit ihren Daten passiert und wie die Aufforderung aus dem Titel für die Einzelnen umzusetzen ist. Dass die EU standhält und politische Regeln uns weiterhin schützen, ist nicht anzunehmen, und das Bewusstsein vieler Menschen - auch von Digital Natives - für digitale Risiken und Strategien des Selbstschutzes ist erschreckend gering.