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Debatte über transatlantisches VertrauenReeducation – diesmal aber als Farce

Der Aufstieg der Rechten wirft das Verhältnis zwischen Europa und den USA in die Krise. Eine Konferenz lud zu Kritik der „transatlantischen Vernunft“.

Zerbeult, abe fahrtüchtig? Fotograf Christian Werner hat Bilder für die Konferenz beigesteuert: „A Little Rusty“, New York 2004
Leon Holly

Von

Leon Holly aus Berlin

Über das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA lässt sich viel sagen. Es lässt sich sagen, dass es schon mal schlechter darum stand, nämlich als die USA Mitte des vergangenen Jahrhunderts Nazideutschland bekriegten, genauso wie es schon mal besser aussah, nämlich in der gesamten Nachkriegszeit, bis heute. Einen neuen Tiefpunkt markierte jene berühmte Rede, die US-Vizepräsident J. D. Vance im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz hielt. Vance unterstellte den Europäern darin Defizite in der Demokratie und Meinungsfreiheit – während seine Regierung in den USA gerade diese beiden zivilisatorischen Errungenschaften mit der Abrissbirne bearbeitet. Es war die Wiederkehr der Reeducation, aber diesmal als Farce.

Mit Vergangenheit und Gegenwart des transatlantischen Verhältnisses beschäftigte sich von Donnerstag bis Samstag eine Konferenz in Berlin. Es gab Beiträge aus Deutschland, Europa und den USA. „Eine Kritik der transatlantischen Vernunft“ beraumten die Organisatoren an, darunter der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch von der HU Berlin und der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller von der Princeton University.

Unklar blieb, was mit „transatlantischer Vernunft“ gemeint sein soll – und ob sie je geherrscht hat. Der Begriff erinnert jedenfalls an Max Horkheimers Kritik der „instrumentellen Vernunft“, also ein lediglich auf Nützlichkeit und Effizienzmaximierung getrimmtes Handeln, das seine eigenen Zwecke nicht mehr ethisch prüft. Und ja, dieser Anklang mag treffend sein, wenn man etwa die Verflechtungen von Kapital, Industrie und Militär zwischen Washington und Berlin untersucht.

Ambivalentes Identifikationspotenzial

Auf Vernunft reduzieren lässt sich das Verhältnis aber auch nicht. War da nicht auch immer viel Gefühl im Spiel? Viel Bewunderung, Neid und Abscheu? In seinem Vortrag am Donnerstagabend blickte der Kulturkritiker Diedrich Diederichsen auf das 20. Jahrhundert und die Zeit des Kalten Krieges. Er führte an, dass die USA aus deutscher oder europäischer Perspektive nicht nur ein massives Identifikationspotenzial boten, sondern die Möglichkeit der Gegenidentifikation gleich mitlieferten. Wem die USA nicht als Land des Fortschritts und der Freiheit taugten, konnte sich stattdessen zu der Marxistin Angela Davis oder dem Kampf Ho Chi Minhs gegen den US-Imperialismus bekennen. Eine derart „gespaltene Kultur“ gab anderswo nicht, sagte Diederichsen. Wer sich mit Maos China oder Enver Hoxhas Albanien identifizierte, schluckte diese Länder vielmehr als Ganzes.

Andersherum erkannten die Herrscher in Washington während des Kalten Krieges, dass sich die strahlkräftigen Kulturexporte vortrefflich zu Propagandazwecken eigneten. In der jungen Bundesrepublik setzten die USA auf abstrakte Kunst als Werkzeug der Reeducation, so etwa bei den ersten Ausstellungen der Kunstmesse documenta in Kassel in den 1950ern. Damals förderten die US-Regierung und die CIA auf der Ausstellung die Gemälde Jackson Pollocks. Ästhetisch soll Präsident Truman nicht von Pollocks Farbspritzern angetan gewesen sein, sagte die Kunsthistorikerin Birgit Jooss in ihrem Vortrag. Doch der abstrakte Stil eignete sich in Abgrenzung zum Realismus der Nazis wie der Sowjetunion.

Während sich Transatlantiker von den USA abwenden, knüpfen die Rechten neue Bande. J. D. Vance kommt ja auch als Netzwerker nach Europa

Andersherum war Deutschland nach der Nazizeit selbst auf „Imagepflege“ bedacht. In seinem Buch „Absolution?“ hat der Politikwissenschaftler Daniel Marwecki gezeigt, wie die Adenauer-Regierung Beziehungen zum jungen Staat Israel aufbaute, um sich moralisch reinzuwaschen und die Westbindung mit den USA zu zementieren. Der Historiker Jacob Eder schloss mit seinem Vortrag implizit an Marwecki an: Als in den 1970ern und 1980ern ein neues Gedenken an die Shoah einsetzte, sträubten sich konservative Kräfte um Bundeskanzler Helmut Kohl dagegen.

Ein Fallbeispiel: Der Bau des Holocaustmuseums in Washington D.C., dessen Grundstein 1988 gelegt wurde. Kohl und Konsorten, sagte Eder, sahen das Museum als „antideutsches“ Projekt und sorgten sich um den jüdischen Einfluss in den USA, den sie als Grund für den Bau sahen. Ein Angebot der deutschen Regierung, bis zu 50 Millionen Dollar zu spenden, damit das Museum einen größeren Fokus auf den deutschen Widerstand und die guten Beziehungen zu Israel legen mögen, war nicht erfolgreich.

Die zentrale Ironie der heutigen transatlantischen Beziehungstherapie ist aber vielleicht diese: Während sich etablierte Transatlantiker enttäuscht von den USA abwenden, knüpfen die Rechten neue Bande. J. D. Vance kommt ja nicht nur als Provokateur nach Europa, sondern auch als Netzwerker. Umgekehrt hat ein großer Teil der deutschen Rechten ihren traditionellen Antiamerikanismus abgelegt und blickt mit Begeisterung auf die große MAGA-Show. Gegen das Faszinosum USA ist anscheinend kaum jemand wirklich immun. Mit Vernunft hat auch das freilich gar nichts zu tun. Zu kritisieren gibt es mehr denn je.

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