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Kölner StichwahlStolz in der Niederlage

Berivan Aymaz wollte in Köln die erste grüne OB einer Millionenstadt werden – und scheitert knapp. Bei der Wahlparty gibt es dafür verschiedene Erklärungen.

Trotz Niederlage: Berivan Aymaz sieht mit Stolz auf den Wahlkampf zurück Foto: Henning Kaiser/dpa

Köln taz | Als Berivan Aymaz kurz nach 18 Uhr den großen Saal der Kölner Festhalle Gürzenich betritt, brandet Applaus auf. „Berivan, Berivan!“, rufen Parteimitglieder und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen lautstark. Immer wieder wird Aymaz in Umarmungen gezogen, spricht mit Gästen, lächelt, hört zu. Ihr Ziel liegt jedoch zunächst am anderen Ende des Raumes: ihre Mutter. Nach einer Umarmung, Wangenküssen und ein paar Tränen, die hastig fortgewischt werden, setzt Aymaz ihren Rundgang durch den Saal fort.

Zu diesem Zeitpunkt sind noch keine Wahlergebnisse bekannt. Die Stimmung ist optimistisch. Es wird gelacht, getrunken und diskutiert. Aymaz bewegt sich durch die Menge, tritt jedoch nicht direkt ans Mikrofon. Erst rund anderthalb Stunden später steht die Grünen-Politikerin schließlich auf der Bühne – zu dem Zeitpunkt ist klar: Berivan Aymaz hat die Stichwahl zur Kölner Oberbürgermeisterin verloren. „Heute ist nicht der Abend, an dem wir den Sieg feiern. Aber es ist ein Abend, an dem wir verdammt stolz sein können“, beginnt sie ihre Rede.

Ein Wahlsieg von Berivan Aymaz wäre ein bedeutender Erfolg für die Grünen gewesen: Sie hätte nicht nur die erste grüne Oberbürgermeisterin einer deutschen Millionenstadt werden können, sondern auch die erste mit Migrationsgeschichte. Die 53-Jährige wurde in der osttürkischen Provinz Bingöl geboren und lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland. Sie ist derzeit Vizepräsidentin des nordrhein-westfälischen Landtags und gilt innerhalb ihrer Partei als Vertreterin des linken Flügels.

Vor zwei Wochen hatten die Grünen die Kommunalwahl in Köln mit 28 Prozent der Stimmen klar gewonnen. In der Stichwahl trat ihre Kandidatin Berivan Aymaz gegen den SPD-Bewerber Torsten Burmester an, dessen Partei im ersten Wahlgang lediglich 21 Prozent erreicht hatte. Angesichts dieses Vorsprungs hofften viele der Gäste am Wahlabend auf einen klaren Sieg für Aymaz.

Beide Kan­di­da­t:in­nen setzten auf Wohnraumpolitik

Burmester, 58, blickt auf eine lange Karriere in der Verwaltung und Sportpolitik zurück. In den 1990er-Jahren arbeitete er eng mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammen, zuletzt stand er von 2022 bis 2024 an der Spitze des Deutschen Olympischen Sportbundes. Mit seinem Wahlsieg stellen die Sozialdemokraten erstmals seit rund einem Jahrzehnt wieder den Oberbürgermeister in Köln. Die bisherige Amtsinhaberin Henriette Reker (parteilos) war nicht erneut angetreten.

Die Themen im Wahlkampf: besserer Nahverkehr, mehr Klimaschutz und mehr Sicherheit im öffentlichen Raum. Im Zentrum standen für beide Kan­di­da­t:in­nen jedoch vor allem bezahlbare Wohnungen. Sowohl Berivan Aymaz als auch Torsten Burmester machten das Thema Wohnraumpolitik zum Kern ihrer Kampagnen.

Aymaz kündigte eine „Offensive für sozialen Wohnraum“ an – unter anderem durch die verstärkte Nutzung von Erbbaurecht und die Förderung von Wohnungsbaugenossenschaften. Burmester hingegen setzt auf eine neue städtische Wohnungsgesellschaft und versprach, jährlich 6.000 neue Wohnungen zu schaffen.

Ja zu Grünflächen, Nein zum Tunnel

Deutliche Unterschiede zeigten sich bei zwei umstrittenen Großprojekten in Köl­n: Ay­maz lehnt die Bebauung der Sportplätze auf der Gleueler Wiese ab – Burmester befürwortet sie. Auch beim geplanten Stadtbahn-Tunnel in der Innenstadt gehen die Positionen auseinander: Während Burmester sich für den Tunnel ausspricht, stellt sich Aymaz klar dagegen.

Für die Wählerin Birgit Hallerbach war vor allem der Umgang mit den Kölner Grünflächen ein Grund, Berivan Aymaz ihre Stimme zu geben. „Es macht keinen Sinn, dass das überhaupt zur Diskussion steht. Das ist eine Eliten-Förderung – und dafür wird Natur aufgegeben“, sagt sie mit Blick auf die geplante Bebauung der Gleueler Wiese. Am frühen Abend hofft sie noch, dass „die Außenbezirke die richtige Wahl treffen“.

Wahlempfehlungen der CDU und AfD für Burmester

Als die ersten Ergebnisse über die Handybildschirme in der Festhalle flimmern, liegt SPD-Kandidat Torsten Burmester mit fast 20 Prozent vorne. Dennoch bleibt die Stimmung zunächst hoffnungsvoll. „Ich habe mir angewöhnt, nicht mehr zu scrollen“, sagt Sven Lehmann, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Köln. Denn: Zuerst werden traditionell die Stimmen aus den Außenbezirken ausgezählt – die Ergebnisse aus der Innenstadt folgen später. Dort hofft Lehmann auf ein anderes Bild. Auch andere Parteimitglieder und Unterstützerinnen setzen auf die Stimmen aus der Innenstadt. Aus den Vierteln, in denen viele Studierende, Aka­de­mi­ke­r:in­nen und Gutverdienende wohnen.

Zwischenzeitlich holen die Grünen tatsächlich auf, liegen nur ein paar Prozentpunkte hinter dem SPD-Kandidaten. Doch am Ende bleibt es dabei: Torsten Burmester gewinnt die Wahl mit 53,5 Prozent der Stimmen, Berivan Aymaz kommt auf 46,5 Prozent.

„Ich bin traurig“, sagt Süreyya Yükse. „Alle reden von Integration, aber wenn es ernst wird, will sie keiner wählen.“ Yükse spielt auf die rassistischen Anfeindungen im Wahlkampf an. Dass es eine Kandidatin mit Migrationsgeschichte so weit geschafft habe, mache vielen Mut, sagt sie, aber: „Wir haben doch alle die Stimmen gehört.“

Der knapp ausgeschiedene CDU-Kandidat hatte im Vorfeld der Stichwahl zur Unterstützung von Torsten Burmester aufgerufen. Ebenso wie die AfD, die vor allem eine Wahl von Berivan Aymaz verhindern wollte. Burmester selbst hatte deutlich gemacht, dass er auf die Unterstützung der AfD gern verzichte. Einige Gäste auf der Wahlparty hatten gehofft, dass gerade die AfD-Empfehlung Wäh­le­r:in­nen eher in Richtung Aymaz bewegen würde. Andere sehen in der breiten Unterstützung von CDU bis AfD einen der Gründe für die Niederlage von Aymaz.

Gemischte Erfolge am Wahlabend

Nicht nur in Köln, sondern auch in anderen NRW-Großstädten traten grüne Kan­di­da­t:in­nen bei den Stichwahlen um das Oberbürgermeisteramt an. In Düsseldorf konnte CDU-Amtsinhaber Stephan Keller seine Position verteidigen. Er setzte sich gegen die grüne Herausforderin Clara Gerlach durch und bleibt weitere fünf Jahre im Amt. Auch in Bonn mussten die Grünen eine Niederlage einstecken: Dort verlor die bisherige Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne) gegen den CDU-Kandidaten Guido Déus. Einen Erfolg verbuchten die Grünen dagegen in Münster. Erstmals stellt die Partei dort den Oberbürgermeister. Tilman Fuchs setzte sich in der Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten durch.

Erstmals seit fast 80 Jahren wird Dortmund nicht mehr von der SPD regiert. CDU-Kandidat Alexander Kalouti gewann mit rund 53 Prozent der Stimmen gegen den amtierenden Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD), der auf 47 Prozent kam. Seit dem Herbst 1947 hatte durchgängig ein Sozialdemokrat an der Spitze des Dortmunder Rathauses gestanden.

Die AfD schaffte es in gleich drei Großstädten – Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen – in die Stichwahl. In allen Fällen unterlagen ihre Kandidaten jedoch deutlich.

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