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Agrarökonom zu EU-Landwirtschaftspolitik„Wir brauchen keine Agrar­subventionen gegen Hunger“

Die Reform der EU-Zahlungen drohe der Umwelt zu schaden, sagt Agrarökonom Sebastian Lakner. Bauerngewinne stünden im Fokus – ohne stichhaltigen Grund.

Die EU steht vor einer Neuregelung der Agrarsubventionen – das könnte auch die Eigentümer dieses Feldes in Niedersachsen betreffen Foto: blickwinkel/imago
Jost Maurin

Interview von

Jost Maurin

taz: Herr Lakner, die Europäische Union wird die jährlich rund 42 Milliarden Euro Agrarsubventionen ab 2028 neu verteilen. Die EU-Kommission will sich dabei vor allem auf günstige Lebensmittel und stabile Einkommen für Landwirte konzentrieren. Eine gute Idee?

Sebastian Lakner: Diese Ziele standen bereits 1957 in den Römischen Verträgen, aus denen die EU hervorgegangen ist. Damals waren sie zeitgemäß, weil wir viele sehr arme Betriebe in der Landwirtschaft hatten und Nahrungsmittel knapp waren. Aber das hat sich geändert. Dass diese Ziele jetzt wieder so wichtig werden, ist kein glanzvolles Comeback. Es gibt überhaupt keinen Nachweis zum Beispiel dafür, dass landwirtschaftliche Haushalte ärmer sind als Haushalte anderer Berufsgruppen.

Bild: privat
Im Interview: Sebastian Lakner

51, leitet die Professur für Agrarökonomie an der Universität Rostock. Er hat gerade bei Springer-Gabler sein Buch „Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU – Vergangenheit, Reformen und Gegenwart“ veröffentlicht.

taz: Statistiken zeigen, dass die Gewinne in der Landwirtschaft oft niedriger sind als in vergleichbaren Branchen.

Lakner: Der Betriebsgewinn hat nur begrenzte Aussagekraft, weil manchmal Betriebe aus steuerlichen Gründen geteilt werden in einen Betrieb mit hohem Gewinn und einen mit niedrigem. Außerdem haben viele Betriebsleiter einen Partner, der woanders arbeitet, zum Beispiel als Lehrer. Zahlreiche Höfe haben auch eigene Firmen mit Biogas- oder Solaranlagen. Man müsste auch gucken, wie viel Vermögen landwirtschaftliche Haushalte im Vergleich zu anderen haben. So eine Statistik liegt uns bis heute nicht vor.

taz: Stimmt es, dass die EU-Bauern Agrarsubventionen brauchen, weil sie mit Billigproduzenten wie der Ukraine oder Brasilien konkurrieren?

Lakner: Auch dafür gibt es keinen Beleg. Eine Untersuchung des bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstituts zeigt: Deutsche Bauern bräuchten nur eine zweistellige statt wie heute eine dreistellige Prämie pro Hektar und Jahr, um niedrigere Standards gegenüber der Ukraine auszugleichen. Und auch nur unter der unrealistischen Hypothese, dass dort nicht kontrolliert wird. Ich würde auch davon abraten, diese Debatte en detail zu führen, weil: Vielleicht stellt sich dann im einen oder anderen Teilmarkt heraus, dass die EU auch nicht so gut kontrolliert oder Lücken in ihrer Gesetzgebung hat.

taz: Warum halten Sie es für veraltet, das Ziel Ernährungssicherheit so hoch zu hängen?

Lakner: Bei vielen Agrarrohstoffen haben wir einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent. Das heißt: Wir produzieren in vielen Bereichen mehr, als wir als Gesellschaft konsumieren, so dass wir zum Beispiel Fleisch exportieren können.

taz: Aber nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 wurden viele Lebensmittel plötzlich sehr viel teurer. Wegen des Klimawandels werden gute Ernten auch unzuverlässiger. Ist die globale Versorgungslage doch nicht mehr so sicher?

Lakner: Ja, aber mehr Versorgungssicherheit erreiche ich nicht mit Direktzahlungen, die pro Hektar Fläche berechnet werden. Wir brauchen keine Agrarsubventionen gegen Hunger. Hier muss ich eher darüber sprechen: 60 Prozent der deutschen Äcker werden für die Produktion von tierischen Futtermitteln genutzt, so dass man mit dieser Fläche weniger Menschen ernähren kann, als wenn dort zum Beispiel Brotgetreide wächst. Oder: Brauchen wir in dem Umfang die ineffizienten Biokraftstoffe, die auch Fläche wegnehmen? Da geht die EU-Kommission überhaupt nicht ran.

taz: Die EU hat derzeit genug Lebensmittel, aber haben wir als großer Lebensmittelproduzent nicht auch eine Verantwortung für andere Weltregionen, in denen es Hunger gibt?

Lakner: Natürlich. Wir sollten durch eine regelmäßige Produktion zu einem stabilen Gleichgewicht auf dem Weltmarkt beitragen. Aber: Wir konsumieren relativ zu anderen Weltregionen viel Fleisch und das nimmt wichtige Produktionsfläche weg. Wem die Welternährungslage wichtig ist, sollte seine eigenen Konsummuster hinterfragen und sich für offene Weltmärkte einsetzen, denn die sind zunächst eine Rückversicherung gegen Versorgungsengpässe.

taz: Warum ist es so problematisch, dass die Kommission die Ihrer Meinung nach veralteten Ziele Einkommensstützung für Bauern und Versorgungssicherheit so weit in den Vordergrund rückt?

Lakner: Das führt dazu, dass vor allem die Themen nachhaltige Agrarproduktion, Klima, Biodiversität und Tierwohl vernachlässigt werden. Dazu trägt auch das unsägliche Narrativ des „Bürokratieabbaus“ bei, worunter man leider oft den Abbau von etablierten Umweltregeln verstehen muss.

taz: Warum sollte sich die EU stärker um diese Umweltprobleme kümmern?

Lakner: Sowohl der Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft als auch die Treibhausgasemissionen sind maßgeblich durch die Landwirtschaft mitverursacht. Es geht hier nicht darum, zum 22. Mal irgendwelche Schulddebatten zu führen, sondern um die Frage: Wie unterstützen wir die Landwirtschaft bei diesen Aufgaben? Eine Reihe von Betrieben sorgen schon heute für Artenerhalt oder reduzieren ihre Treibhausgase. Die Agrarpolitik sollte solche zukunftsfähigen Betriebe bei ihren Anstrengungen und bei der Erbringung gesellschaftlich erwünschter Umweltleistungen finanziell unterstützen. Da lässt der neue Vorschlag der EU-Kommission sehr viel offen.

taz: Wie sollte sich die EU-Agrarpolitik ändern?

Lakner: Als Erstes muss die EU den Mitgliedsländern Mindestausgaben für die Umweltziele in der Agrarpolitik vorschreiben. Das hat sie bisher getan, so dass dafür auf EU-Ebene 25 Prozent und in Deutschland 33 Prozent der Mittel fließen. Wenn die EU künftig keine Untergrenze mehr vorgibt, wird dieser Anteil wahrscheinlich sinken. Auch, weil die Kommission einen hohen Anteil für die Direktzahlungen reservieren will, so dass für die Umweltziele weniger übrigbleibt.

taz: Und sonst?

Lakner: Zweitens darf die EU nicht von den Mitgliedstaaten verlangen, dass sie einen höheren Anteil der Kosten von Agrarumweltmaßnahmen tragen müssen als bisher. Wenn ein Bundesland zum Beispiel Blühstreifen auf Äckern subventionieren will, musste es bisher 15 Prozent selbst bezahlen. Der Kommissionsvorschlag verdoppelt diesen Eigenanteil. Drittens brauchen wir ambitionierte Grundregeln, die Landwirte im Umweltbereich erfüllen müssen, um Direktzahlungen zu bekommen. Was die Kommission da vorschlägt, ist ein erheblicher Rückschritt.

taz: Sollte die EU mehr Umweltleistungen von den Landwirten verlangen?

Lakner: Die Kommission sagt in der Umweltpolitik: Weg von den Regulierungen, hin zu Anreizen, doch dieser Spruch ist ein schlechter Scherz: Der Vorschlag der Kommission schafft zwar die Regulierung weitgehend ab, aber für die Anreize bleibt am Ende kein Budget übrig. Wir brauchen dagegen einen guten Mix. Gemeinsame Grundregeln für die gesamte EU sind eine wichtige Grundlage für den gemeinsamen Markt, die hat die Kommission leider stark verwässert. So hat sie die Regeln für verpflichtende Brachen oder den klimaschädlichen Umbruch von Grünland zu Ackerland gelockert. Wir sollten auf einem einheitlichen Spielfeld in der EU bestehen. Und: Wenn wir ambitionierte Ziele zum Beispiel beim Erhalt der Biodiversität wollen, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Geld für die Agrarumweltpolitik.

taz: Die EU-Kommission schlägt zudem vor, die Direktzahlungen für sehr große Betriebe zu begrenzen. Wird das kommen?

Lakner: Ich vermute, dass dies wie so oft im Laufe des Reformprozesses rausgenommen wird. Seit 1992 schlägt die Kommission bei jeder Reform eine Kappung der Zahlungen pro Betrieb vor, und selten kommt irgendwas wirklich Substanzielles in die Gesetze.

taz: Wie wichtig ist diese Reform im historischen Vergleich?

Lakner: Im Moment steht eine Menge auf dem Spiel. Wie ich in meinem Buch zeige, war es sehr mühevoll, die Gemeinsame Agrarpolitik seit 1992 umweltfreundlicher zu gestalten. Eigentlich waren wir auf einem ganz guten Weg. Mit dem Vorschlag der Kommission wird dieser Fortschritt infrage gestellt.

taz: Hätte das auch negative Folgen für die Landwirte?

Lakner: Ja. In den Naturschutzgebieten gibt es jede Menge Betriebe, die Biodiversität bereitstellen, zum Beispiel, indem sie Rinder, Schafe oder Ziegen auf der Weide halten. Diese Betriebe haben laut Agrarbericht der Bundesregierung regelmäßig die geringsten Gewinne. Wenn die EU-Agrarpolitik diesen Betrieben kein attraktives Subventionsangebot macht, verhungern sie am langen Arm und steigen aus. Wir verlieren so die Biodiversität an diesen extensiven Standorten. Dann ist das Signal an den Agrarsektor: Die Betriebe, die sich zukunftsfähig aufgestellt haben, sind am Ende selbst schuld und werden bestraft durch eine fehlgeleitete Agrarpolitik.

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14 Kommentare

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  • Die EU wurde entworfen für die Gewinnmaximierung von Industrie und den (industriellen) Bauern. Das ist genau das, was sie tut. Von Sinnhaftigkeit für die Bevölkerung oder Umweltschutz war nie die Rede.

    • @buddhafragt:

      Industrielle Bauern 1957 ?? Zu dieser Zeit gab es noch Landwirte die mit Pferden gearbeitet haben, die Technisierung der Landwirtschaft hat damals erst Fahrt aufgenommen. Die Sinnhaftigkeit für die Bevölkerung bestand darin das die Menschen, die damals noch Hungersnöte kannten, plötzlich Versorgungssicherheit hatten. Die Sinnhaftigkeit für die Bevölkerung ist, die damals noch weit über die Hälfte ihres Lohnes für Lebensmittel ausgaben, sukzessive immer weniger, heute ca. 10%, ausgeben müssen. Wenn man das alles addiert haben die Verbraucher sicherlich das bessere Geschäft mit dieser Regelung gemacht als die Landwirte.

  • 👏Endlich ein Bericht der es auf den Punkt bringt.



    Ich kann das jeden Tag beobachten. In den Wiesen gibt es keine Blüten und Insekten mehr, mindestens 5 mal düngen und dann bis zur Bachkante für ein bisschen mehr Gras. So wird unsere und auch die Lebensgrundlage der Bauern zerstört, mit üppiger Unterstützung der EU.



    Ganz ehrlich, ich kenne keinen armen Landwirt. Jeder hat mindestens Häuser oder Mietwohnungen, was aber meistens geheim gehalten wird.



    Ist ja auch in Ordnung. Jeder soll angemessen sein Geld verdienen. Bloß ich bin das ständige Gejammere leid.



    So jetzt könnt ihr euren Shitstorm loswerden und euch empören😡

    • @Norbert Schönert:

      Tut mir leid, aber für einen Shitstorm steht da leider zu wenig drin.



      Wenn Sie nur reiche Bauern kennen, ist das anekdotisch natürlich möglich, aber sicherlich nicht repräsentativ.



      Aber wenn Sie gesehen haben, dass die Wiese „mindestens 5 mal“ gedüngt wurde, haben Sie das sicherlich nicht innerhalb eines Jahres gesehen.



      Und Gejammer kommt von allen Seiten. Landwirte jammen natürlich auch, aber sie sind auch sehr häufig überzogener Kritik ausgesetzt die teilweise fachlich unbegründet ist. Es ist eben auch noch ein Unterschied ob man davon leben muss wie man wirtschaftet oder ob man von außen zuschaut und Anforderungen stellt, die zwar theoretisch machbar sind, aber nicht in die Preise einkalkuliert werden können weil niemand am Ende dafür bezahlen möchte.

  • Gruselig, dieser Rollback auf EU-Ebene. Danke für das Interview.

  • So, so, die Landwirte produzieren also die falschen Produkte, zu viel Fleisch, zu wenig Getreide/Gemüse. Ist es nicht das Konsumverhalten der Verbraucher das vorgibt was erzeugt/ gekauft wird ? Bestes Beispiel für fehlgeleitete Politik ist hier Bio, 30% der Landwirte sollen Biologisch Arbeiten, aber nicht mal 10% der Verbraucher kaufen Bio Produkte.



    Aber ist es überhaupt gewollt das Landwirte nicht mehr auf Ausgleichzahlungen angewiesen sind ? Eben nicht, nur unter dieser Abhängigkeit hat man die Landwirte unter (totaler) Kontrolle.

    • @Günter Witte:

      Das Problem und die Perversion ist, das durch die EU Subventionen Fleisch billiger ist als zb Tomaten! Wie kann das sein? Wenn ich also nicht viel Geld habe, ist das billigste Lebensmittel meistens Fleisch. Da kann man nicht vom Willen des Verbrauchers reden.

      • @buddhafragt:

        Hier geht es um FLÄCHENPRÄMIEN, und auf der Fläche ist es dann egal ob Futter für Tiere oder Gemüse angebaut wird. Es gibt keine extra Förderung der EU für Fleischerzeugung. Was einen unterschied machen kann ist das der Handel ganz oft Fleisch- Milchprodukte als Lockmittel verramscht, um die Menschen in seinen Laden zu locken und dann bei andere Produkten abzockt.

  • Das Grundproblem ist wie bei den niedergelassenen Ärzten: Bauern wollen Unternehmer sein und sich möglichst wenig reinreden lassen. Aber gleichzeitig pochen sie auf garantierten staatlichen Schutz zur eigenen Alimentierung.

    • @vieldenker:

      Interessanter Vergleich, Bauern und Ärzte haben auch sehr starke Abnehmer ihrer Leistungen. Die Arzte die Gesundheitskassen und die Landwirte den Agrargroßhandel und Großschlachtereien.

      • @Klaus-Jürgen Reinke:

        Nun ja, die Landwirte haben sich ja häufig die Großabnehmer durch eigene (ehemalige) Genossenschaften selbst geschaffen. Die Ärzte arbeiten auch mit eigenen berufsständischen Monopoliorganisationen. Nennt sich kassenärztliche Vereinigung.

  • Wenn jemand Besitz hat oder einen Ehepartner der in einen anderen Beruf arbeitet muss nicht ausreichend entlohnt werden, gilt das nur für Landwirte oder für alle Bürger in Deutschland ?

    • @Günter Witte:

      Ich bin auch selbständig. Interessiert niemanden ob ich ausreichend entlohnt werde und Subventionen erhalte ich auch nicht.

      • @Andreas J:

        Aber ihnen hat auch niemand, wie der Landwirtschaft, vorgeschrieben : du bekommst weniger für deine Arbeit, damit deine Erzeugnisse für den Verbraucher billig bleiben, dafür bekommst du von uns ( EU ) Ausgleichszahlungen. Jetzt, wo man die Landwirte in dieses Abhängigkeitsmodel gedrängt hat, diese als Schuldige hinzustellen ist unterste Schublade.