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Geflüchtete aus AfghanistanAufnahme versprochen, doch Berlin zögert

Trotz deutscher Zusage sitzen rund 2.300 Afghaninnen und Afghanen in Pakistan fest. Nun könnten wenige von ihnen bald ausreisen.

Geflüchteter Afghane in Islamabad: zwischen der Angst vor Abschiebung und der Hoffnung auf Ausreise nach Deutschland Foto: Nabila Lalee/dpa

Berlin taz | Nachdem die schwarz-rote Bundesregierung die Sicherheitsüberprüfungen stoppte, haben die pakistanischen Behörden im August Hunderte Afghaninnen und Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage in Pakistan verhaftet und mehr als 200 von ihnen nach Afghanistan abgeschoben.

Dabei drohen ihnen unter der Regierung der Taliban Folter und Hinrichtung. Bei den Mädchen und Frauen auch Vergewaltigung und Zwangsehe. Nach Intervention der Bundesregierung haben die pakistanischen Behörden nun jedoch die Abschiebungen vorerst gestoppt. Allerdings zunächst nur bis September.

In Pakistan warten derzeit noch immer rund 2.300 Afghaninnen und Afghanen auf ihre Ausreise in die Bundesrepublik. Darunter sind nach Angaben der Initiative Kabul Luftbrücke rund 1.700 Frauen und Kinder. Laut Bundesinnenministerium ist das entsprechende Personal vor Ort, um die Aufnahmeverfahren nun doch noch fortzuführen. „Die verschiedenen Prüfverfahren laufen wieder an“, teilte das Ministerium mit.

Immer wieder müs­sen Betroffene Klagen einreichen, um ihren Anspruch geltend zu machen

Nach Einschätzung der Kabul Luftbrücke könnten bereits in der kommenden Woche die ersten Ausreisen in Richtung Deutschland starten. Allerdings nur, so betont die Initiative, weil Gerichte und Anwältinnen und Anwälte massiven Druck ausgeübt haben. Die Berliner Rechtsanwältin Maria Kalin, die mehrere Betroffene in Pakistan betreut, berichtet, dass das Auswärtige Amt sie darüber informiert habe, dass ein Paar aus ihrem Mandantenkreis bei der ersten Evakuierung dabei sein werde. Auch andere Anwältinnen und Anwälte seien über die Evakuierung ihre Mandantinnen und Mandanten informiert worden. „Die Geflüchteten haben eine verbindliche Zusage. Würde Deutschland sie nicht aufnehmen, wäre das nicht rechtsstaatlich“, sagt Kalin.

Organisationen fordern sofortige Ausreisen

Die Aufnahme basiert auf vier Programmen, die nach der Machtübernahme der Taliban 2021 geschaffen wurden. Das größte ist das Bundesaufnahmeprogramm (BAP), mit dem besonders gefährdete Personen wie Frauen und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger nach Deutschland gebracht werden sollten. Doch seit dem Regierungswechsel im Mai stockt das Verfahren. Die deutsche Botschaft in Islamabad führte keine Sicherheitsüberprüfungen mehr durch.

Immer wieder müssen Betroffene Einzelklagen einreichen, um ihren Anspruch geltend zu machen. Mindestens 20 Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin stellten klar, dass die Aufnahmezusagen bindend sind. Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte diese Linie. „Sollen wir jetzt bei allen Fällen klagen?“, fragt Eva Beyer von der Kabul Luftbrücke. Die Bundesregierung würde Fristen bis zum letzten Moment ausreizen und so die Aufnahmen weiter hinauszögern: „Das ist ein klares Spiel auf Zeit“, sagt Beyer.

Dutzende Organisationen, darunter Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und Medico International, fordern in einem offenen Brief an Außenminister Johann Wadephul (CDU) und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sofortige Ausreisen, anstatt durch Verzögerungstaktik weiter Menschenleben zu gefährden. „Handeln Sie jetzt, bevor es für viele Betroffene zu spät ist“, heißt es in dem Schreiben. Initiator des Briefs ist der Deutsche Anwaltsverein. Auch die Kabul Luftbrücke übergab am Sonntag beim Tag der offenen Tür im Auswärtigen Amt eine Petition mit mehr als 100.000 Unterschriften. Sie fordert die Bundesregierung zur umgehenden Umsetzung der bereits erfolgten Aufnahmezusagen auf.

Ob konkrete Flüge geplant sind, lässt die Bundesregierung bislang jedoch noch offen. Wadephul erklärte am Wochenende lediglich, Deutschland werde sich an die rechtsverbindlichen Zusagen halten. Er habe mit seinem pakistanischen Amtskollegen telefoniert, zudem sei eine Task Force nach Islamabad entsandt worden. Die Prüfverfahren würden fortgeführt.

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