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Nakba-Demo in BerlinNeue Recherche erhärtet Zweifel an Berliner Polizei

Ein Polizist, von Palästina-Demonstrant:innen fast totgeprügelt? Bisher unbekannte Videos unterstreichen, dass diese Darstellung nicht stimmen kann.

Nach der Nakba-Demo im Mai wird gegen unbekannte Gewalttäter ermittelt – vielleicht waren es ja Polizist:innen? Foto: imago

Berlin taz | Es war eine Meldung, die Politik und Presse in helle Aufregung versetzte: Auf der Nakba-Demo in Berlin am 15. Mai sollten De­mons­tran­t:in­nen gezielt einen Polizisten angegriffen, zu Boden gebracht und massiv auf ihn eingetreten haben – so jedenfalls stellte es die Berliner Polizei dar. Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von einem „Angriff auf unseren Rechtsstaat“, viele Medien überschlugen sich mit Hetze, bald ertönten auch die üblichen Forderungen nach mehr Polizeibefugnissen und einer Einschränkung der Demonstrationsfreiheit.

Dass die Darstellung der Polizei so nicht stimmen konnte, berichtete die taz bereits im Mai. Nun hat eine Recherche des gemeinnützigen Vereins Forensis, die von NDR und Süddeutscher Zeitung publiziert wurde, diesen Verdacht erneut erhärtet. Der Recherche liegen bisher unveröffentlichte Videoaufnahmen zugrunde, die die fraglichen Szenen aus der Vogelperspektive und nahezu lückenlos zeigen. NDR und SZ haben die Rohaufnahmen des bei Forensis zu findenden Videos verifiziert.

Erneut ist in den Aufnahmen der später verletzte Polizist mit der Dienstnummer BE24111 zu sehen, wie er sich mit Kol­le­g:in­nen unter Gewaltanwendung in die Menge begibt, um einen Demonstranten festzunehmen. Als der Polizist den Festgenommenen auf dem Boden fixiert, schubst ein zweiter Polizist einen weiteren Demonstranten auf den fraglichen Polizisten.

Kurz darauf steht dieser wieder und schlägt auf den Kopf eines umherstehenden Protestierenden. Als sich die Po­li­zis­t:in­nen aus der Menge entfernen, hält sich der fragliche Polizist plötzlich die Hand, mit der er eben noch zugeschlagen hat. Dann sackt er zusammen. Ein gezielter Angriff auf die Polizei ist zu keinem Zeitpunkt zu sehen.

Versammlungsfreiheit soll eingeschränkt werden

Eine Sprecherin der Polizei sagte der taz, die neuen Aufnahmen seien der Polizei bekannt. Inwiefern auch gegen den Polizisten ermittelt wird, der bereits zuvor beim Einprügeln auf De­mons­tran­t:in­nen gefilmt wurde, wollte die Sprecherin aber nicht sagen. Die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin würden „in alle Richtungen“ geführt.

Auch Pressesprecher Sebastian Büchner von der Generalstaatsanwaltschaft kennt die neuen Aufnahmen. „Wir führen ein offenes Ermittlungsverfahren, in dem es nicht darum geht, die Mitteilung der Polizei zu bestätigen“, sagte er der taz. „Wenn sich Verdachtsmomente gegen die Polizei ergeben, werden wir dem nachgehen.“ Eingestellt worden sei das zunächst gegen unbekannte De­mons­tran­t:in­nen eingeleitete Verfahren wegen eines besonders schweren Falls von Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung aber noch nicht.

Die Debatte um die Einschränkung der Versammlungsfreiheit geht in Berlin derweil munter weiter. Die schwarz-rote Koalition plant eine starke Ausweitung von Polizeibefugnissen. Zudem wollen SPD und CDU den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ wieder in das Versammlungsgesetz aufzunehmen. Kri­ti­ke­r:in­nen befürchten, dass mit dem juristisch sehr vagen Begriff nicht nur Versammlungen verboten oder eingeschränkt werden könnten, die eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, sondern auch solche, die gesellschaftlich schlicht nicht gerne gesehen werden – also zum Beispiel palästinasolidarische Proteste.

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8 Kommentare

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  • Ja, und Recherchen der Experten von Forensic Architecture haben sich in Berlin Polizisten gegenseitig verletzthaben um es auf Palästina Demonstranten zu schieben. So behauptet es zumindestens Feret Kocak von der Linke.Glaube ich sofort wwen das Experten sagen

    x.com/der_neukoell...943614996123922818

  • Lügen um sich beim umsypathischsten Bürgermeister aller Zeiten wichtig machen zu können das hilft bei der nächsten Beförderung. Ekelhaft.

  • Finde ich gut, dass 'in alle Richtungen' ermittelt wird. Hoffe, das ist dann auch wirklich so. Man sollte nicht vergessen, dass diese Demo zu einem Zeitpunkt stattfand, als die öffentliche Stimmung auf Grund vieler neuer Entwicklungen (GHF-Pläne, Totalblockade, div Bombardierungen, Riviera etc) weiter in Richtung Palestinener drehte.

    Was aber eine richtige Frechheit ist, dass die Medien diesen neuen Blickwinkel auf die Dinge veröffentlichen müssen, und die Politik diese die Demonstranten entlastenden Infos zurückhalt, munter aber weiter an der Einschränkung der Versammlungs - und Meinungsfreiheit rumbastelt.

  • Wenn sich Cops in voller Kampfausrüstung wie Berserker um sich prügelnd in Menschenmengen schieben, um sich einzelne Demonstrierende herauszugreifen, es dabei zu nicht mehr kontrollierbaren und chaotischen Handgreiflichkeiten kommt, muss es nicht verwundern, wenn es dabei zu Verletzungen kommt - auch bei den eingesetzten Polizeibeamten.



    Als steuerzahlender Bürger erwarte ich von unserer Staatsgewalt - und es geht NICHT darum, ob ich die Anliegen solcher Demonstrationen bzw. die von Demonstrationsteilnehmern ausgehende Gewalt gutheiße -, dass die Polizei solche verheerenden Auftritte/Prügelexzesse vermeidet, wie wir sie in den Videos sehen konnten - die deutsche Polizei ist KEINE paramilitärische Miliz in einem Unrechtsstaat.



    Wo bleiben die Qualifikationen in Deeskalation?

  • Jaaaaa, stärkt mein Vertrauen in unsere Freunde und Helfer jetzt nicht gerade.....

  • Sieht natürlich maximal behämmert aus, wenn die Politik selber (neben natürlich der Polizeigewerkschaft) das Thema so breit tritt und jetzt zurück rudern muss. Man könnte fast meinen, hinter der Agenda "Polizisten zu schützen" verbergen sich andere politische Motive...



    Meine Lieblingsstelle: "Inwiefern auch gegen den Polizisten ermittelt wird, der bereits zuvor beim Einprügeln auf De­mons­tran­t:in­nen gefilmt wurde, wollte die Sprecherin aber nicht sagen." währenddessen läuft das Verfahren gegen den unbekannten Demonstranten erstmal weiter...



    Es ist echt so geil. Ein Polizist bricht sich beim Aktivisti verprügeln die Hand und kriegt noch Rückendeckung von der Justiz. Vermutlich hat der fiese Demonstrant mit seinem Schädel einfach zu hart gegen die Faust des Polizisten ausgeteilt.

  • Bei Demonstrationen, die auch mal Rechte von Palästinensern beleuchten wollen, gab es wiederholt eine seltsame Überhärte.

    Der Hamas-Anschlag war Terror, kein Zweifel. Aber was sich Behörden und teils die Einsatzkräfte individuell da hierzulande leisteten, war kein Prachtstück.



    Wer Antisemitismus bekämpfen will, bekämpft Antisemitismus. Nötig wäre es.



    Er/sie fängt nicht an, unhaltbare Rechtsverletzungen der israelischen Regierung zu decken.

  • Quel surprise! Die Aussage der Staatsanwaltschaft lässt sich etwas schmunzeln…