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FahrassistenzsystemeWo Au­to­fah­re­r:in­nen genervt den Aus-Knopf suchen

Assistenzsysteme sollen Autofahrende dabei unterstützen, weniger Unfälle zu bauen. Doch die neue Technik hat einen Haken.

Assistenzsysteme: Wer zu schnell ist, bekommt ein Warnpiepsen oder wird gebremst Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

D ie EU hat ein Herz für Autofahrer:innen. Oder sie ist auf die Lobby der Industrie reingefallen, das kann man so oder so sehen. Jedenfalls: Fahrassistenzsysteme. Also die Software, die seit dem vergangenen Sommer in jedem Neuwagen eingebaut sein muss und den Menschen am Steuer dabei helfen soll, keine oder zumindest deutlich weniger Unfälle zu bauen.

Denn Spur halten, einparken, Tempolimits beachten, nicht übermüdet fahren – was Fahr­schü­le­r:in­nen so lernen, das schleift sich anscheinend bei vielen mit der zunehmenden Zahl an autogefahrenen Jahren ab. Hier gilt nach Tempo 120 jetzt 100? Och, ausrollen lassen geht doch noch. Blinker setzen beim Spurwechsel oder Abbiegen? Macht doch kaum jemand.

Aus Verkehrssicherheitsperspektive ist das natürlich Mist. Deshalb gibt es die Assistenzsysteme, die in solchen Fällen eingreifen. Wer zu schnell ist, bekommt ein Warnpiepsen oder wird gebremst. Schert jemand ohne Blinken aus, lenkt die Assistenz häufig automatisch zurück.

Schon klar, dass vielen Au­to­fah­re­r:in­nen derartige Eingriffe gar nicht schmecken werden. In Deutschland halten sich noch mehr Menschen für großartige Autofahrer (gendern wir hier mal nicht) als für großartige Trainer der Männerfußballnationalmannschaft. In Onlineforen gibt es lange Threads von Menschen, die auf der Suche nach Automodellen mit möglichst wenig einmischenden Assistenten sind. Die EU hat dem Ärger daher vorgesorgt. Und ein Entgegenkommen ermöglicht: Die Hersteller können erlauben, dass die Fah­re­r:in­nen die Systeme abschalten.

Beim nächsten Start des Fahrzeugs sind sie zwar automatisch wieder an. Aber immerhin: Systeme, die lebensrettend sein sollen, sind ausschaltbar! Grüße an dieser Stelle an die Menschen, die damals die Sicherheitsgurtpflicht für Autos oder die Helmpflicht für Menschen auf Motorrädern und Mofas beschlossen hatten. Das hätte man ja auch anders machen können. Pflicht ja, aber bei jedem Losfahren kann man sich wieder dagegen entscheiden. Denn: Gurt und Helm, das kann ja auch ganz schön nerven.

Wo der Aus-Knopf fehlt

Wer dagegen vergeblich einen Aus-Knopf sucht: Kund:innen, die ohne Kenntnis der bevorstehenden akustischen Umweltverschmutzung einen Wasserkocher, Kühlschrank, Ofen, Kaffeevollautomaten oder ein anderes dieser unzähligen Geräte gekauft haben, die ständig durch Piep-Geräusche darauf aufmerksam machen müssen, dass sie noch da sind.

Manchmal hat man Glück und die Bedienungsanleitung sieht eine Tastenkombination fürs Ausschalten vor, bei der drei bis vier Hände nötig sind, um alle Tasten gleichzeitig zu erreichen. Aber dann bloß nicht mal den Stecker rausziehen beim Saubermachen. Sonst ist das Piepkonzert wieder an.

Vielleicht könnte das ja ein Vorbild sein für eine Novelle der abschaltbaren Fahrassistenten. Nur wer es schafft, gleichzeitig den Schulterblick zu präsentieren, den Blinker zu setzen und drei Fragen zum Thema Mindestabstand, Fahrradstraßen und Kurzparken korrekt zu beantworten, bekommt die Option zum Ausschalten.

Womöglich wird so der ein oder andere von seiner Hybris, sicher Autofahren zu können, befreit. Und ist nicht ab und an auch ein Bundestrainer-Job frei?

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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16 Kommentare

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  • Verpflichtend alle 10 Jahre eine Handvoll Fahrstunden (besonders Theorie!) mit Prüfung für jeden, der seinen Führerschein behalten will, wäre evtl. nützlicher.



    Kollege hat sich neulich beschwert, dass er geblitzt wurde, obwohl er ja eine Blitzer-App hätte. Die hat ihn nicht gewarnt, so eine Schweinerei! Der Blitzer-Wagen war (für ihn jedenfalls) viel zu gut versteckt, so eine Schweinerei!



    Meinen Hinweis, dass er sich ja auch einfach standardmäßig ans Tempolimit halten könnte, hat er komplett ignoriert.



    So etwa einmal im Jahr erwischt's einen Kollegen (das sind zumindest diejenigen, die hinterher motzen), aber einsichtig ist da keiner. Denen würde so eine Zwangsbremse wohl Geld sparen.

  • Zu Assistenzsystem ist mein Erster Gedanke die iRobot Tunnel Szene wo ein Roboter (NS5 für die Nerds) die Windschutzscheibe einschlägt mit den Worten "Sie haben einen Unfall".

    Aber meiner Ansicht nach ist die Hierarchie ganz klar Mensch > Maschine. Ein Mensch sollte zu jedem Moment die Möglichkeit haben einen Assistenten zu deaktivieren. Schlichtweg weil Assistenten Fehlverhalten aufweisen können oder die Situation des Menschen nicht bedacht wurde. Wenn ein Mensch diese Möglichkeit missbraucht, ist das ein Problem von uns Menschen.

    Klare Fälle bei welchen die Abschaltung eines Assistenten Leben gerettet hätten, waren die Boing 737 MAX Abstürze durch MCAS.

  • Die EU-verordnete Spurhalteassistenz (Neutrum) sagt mir bei Abweichungen: bitte in der Mitte der Fahrspur bleiben.



    Wie verträgt sich das mit den pluralen, national mal vorgeschriebenen, genau so oft mal freiwilligen Regelungen zur Bildung einer Rettungsgasse ?



    Bei Futurama sagen die Roboter da dreimal “unlogisch” und ihr Kopf explodiert.

  • Ja, die EU hat sie eingeführt. Der Artikel ist demnach auch EU und Deutschland zentriert. Gefühlt, ohne weitere Recherche, hingen die aber hintendran. Mittelklasseautos in den USA hatten längst alle möglichen Systeme, als man hier, ein bisschen übertrieben, noch den Richtungswechsel mit der Hand oder den ausklappenden Blinkern beim VW Käfer anzeigte.



    Nichts desto trotz haben die Kommentare recht - die elektronischen Systeme sind manchmal nützlich, zb Geschwindigkeitregelung oder auch Abstandhalten, aber oft überflüssig und weit von einer Automatisierung entfernt. Sie erfassen einfach nicht alle Umstände. Dafür ist aber jeder Fehler oder Reparatur in der Elektronik teuer und erfordert immer einen größerenTeileaustausch.



    Und all die Daten liegen vor. Es dauert nicht mehr lange bis sie flächendeckend auf das Individuum zurückgeführt werden und Bonus und Malussysteme verpflichtend werden.

  • Also ich kenne auch Frauen die von den Assistenten genervt sind und diese ausschalten.

  • Warum sollte es einem im Auto besser gehen als ein einer automatischn Ladenkasse oder einem Geldautomaten oder einen QR-gestützen Parkscheinautomaten oder im Webportal einer Behörde ?

    Oder auch bei einer "menschlichen" Hotline ?

    Auch bei diesen Systemem wir man gegängelt und landet oft genug in einer Endlosschleife a la "das habe ich nicht verstanden. Sagen sie "Hilfe" wenn sie nicht weiterkommen"

  • Ich lasse jetzt mal alle umweltpolitischen Diskussionen außen vor… seit 2014 fahren wir einen Defender, primär auf dem Land und in unserer Kleinstadt. Wir fahren seither um ein Vielfaches entspannter als zuvor mit einem sehr schnellen Ford Mondeo. Wir fahren auf der Autobahn max. 110, wir überholen kaum mehr, weil es sich einfach nicht lohnt und der nächste Stau schon quasi sichtbar ist. Muß man pünktlich wo sein, fahren wir ein paar Minuten eher los und bei sonstigen Fahrten kommen wir an, wenn wir eben ankommen, scheiß der Hund drauf! Wir kommen generell viel entspannter an, auch bei langen Fahrten ins Baltikum oder sonstwohin.



    Und das wirklich einzige, was bei diesem Auto piepst, ist der Warnton, wenn der Tank zur Neige geht. Und das ist sehr gut so. Wir haben beschlossen, dieses Auto zu fahren, bis wir abtreten und es dann den Nachkommen weiterzugeben. Ich will niemals ein Auto fahren müssen, welches auf Basis irgendwelcher Algorithmen über meinen gesunden Menschenverstand dominiert. Das soll mal alles schön in Amerika bleiben :-)

    • @wurstwasser:

      Wohl deshalb werden die gebrauchten Defender immer teurer …

  • Spurhalteassistent auf französischen Autobahnen, an Stellen, an denen die Fahrbahnmarkierung zweier zusammenlaufender Spuren endet, die Spur aber erst allmählich schmaler wird: Er versucht jedes Mal, mit Gewalt nach rechts zu lenken. Ließe ich das zu, fände ich mich wahlweise auf der Standspur wieder oder würde mit einem auf der zweiten Spur fahrenden Fahrzeug zusammenstoßen. Auf die sich nicht verengende Spur zu wechseln, ist nicht immer eine Option, auch weil die zusammenlaufende Spur oft genug der Abzweig ist, der in die gewünschte Richtung führt. Baustellen, das kann ich bestätigen, verwirren ihn immer wieder, wie auch noch vorhandene Reste von Baustellenmarkierungen. Er verliert die Orientierung.

    Der Müdigkeitsassistent zeigt mir regelmäßig eine Kaffeetasse an, wenn mein Kopf sich nicht in der von ihm erwarteten Position befindet. Das kann viele Gründe haben, nur einer davon ist wirklich Müdigkeit. Das macht immer wieder Freude, wenn ich fit und ausgeschlafen in meinen Wagen steige und nach wenigen Minuten mit einem lauten "Bing!!!!" und einer Kaffeetasse von meinem Wagen aufgefordert werde, doch lieber eine Pause zu machen...

  • Fahrassistenzsysteme sind bei weitem nicht sicher genug, um zu mehr Sicherheit zu führen. Mein "intelligentes", hochmodernes Navi erkennt nicht mal Baustellen. Wenn mich eine Fahrassistenz da aktiv versucht, reinzulenken, ist das ziemlich gefährlich. Ebenso die Abbremsungen: Diese sind in vielen Situationen ganz gut, aber z.B. bei Überholmanövern, bei denen man kurzfristig die Maximalgeschwindigkeit überschreiten kann, die Bremse reinzuhauen, macht den Straßenverkehr nicht sicherer. Der Vergleich zu Sicherheitsgurten hinkt deshalb.

  • Das Problem mit den Assistenzsystemen ist vor allem, daß die Überwachung der Fahrsituation bedeutend schlechter ist als das aktive Eingreifen imd Autofahren.

    Z.B. in Baustellen erkennt das System häufig nicht, welche Fahrbahnmarkierung gilt. Und nutzt gelegentlich Tempolimits auf einer neben der Fahrbahn liegenden Ausfahrt für abrupte Bremsmanöver. Und wenn man auf Landstraße den Tempomat anschaltet, bremst das System das Fahrzeug plötzlich ab, wenn jemand auf dem Linksabbieger steht. Damit rechnet ein Fahrer nicht. Und muß er auch nicht. Denn der sieht ja, daß er sich auf einer einspurigen Straße mit gelegentlichen Linksabbiegern befindet und nicht auf der Autobahn mit Rechtsüberholverbot.

    So lange die Verkehrsüberwachungssysteme so schlecht sind, wird durch ungerechtfertigtes Eingreifen ins Fahren keine Verkehrssicherheit verbessert. Im Gegenteil: Plötzliche Bremsmanöver oder Schlingern in der Baustelle können Unfälle verursachen.

    Vielleicht sollten die Autohersteller erst einmal per Prüfung belegen, daß sie Verkehrssituationen richtig beurteilen, bevor Assistenzsysteme eingreifen dürfen.

  • Fahrassistenzsysteme wären eine tolle Sache, wenn sie denn weniger Fehler machen würden als die menschlichen Fahrer. Durfte ich kürzlich auf einer längeren Fahrt erleben. Der Spurhalteassistent wollte mich zweimal mit 100+ km/h in eine aktive Baustelle steuern. Der Grund war, dass er offenbar von den vielen Fahrbahnmarkierungen verwirrt war und dann den originalen weißen mitten in den Stapel Betonpoller folgen wollte, statt den gelben, die die aktuelle Verkehrsführung anzeigen. Ist schon ein Drecksgefühl, wenn das Lenkrad sich nicht drehen lässt, wenn man es braucht. Ja, man muss nur kräftiger lenken, dann gibt es auf, aber das hätte schlimm enden können und man hätte es vermutlich auf menschliches Versagen geschoben. Ein paar hundert Kilometer weiter das gleiche Spiel, aber diesmal war ich vorbereitet.



    Im stockenden Verkehr kam das dann auch mehrfach vor. Ja, da ist ein Auto recht nah auf der Nebenspur, auf die ich will, aber wir fahren Schrittgeschwindigkeit...



    Ich bin tech savvy, würde aber niemals einer Automatik vertrauen, die man nicht abschalten kann. Menschen machen sporadisch Fehler, aber Systeme machen systematische Fehler.

    • @Hefra1957:

      Richtig!



      Funktioniert prima auf Teststrecken, die ideale Straßensituationen simulieren, aber was ist mit den erwähnten schlecht markierten Baustellen, parallel fließendem Stadtverkehr ohne Rechtsüberholverbot, enger Straßenführung etc. pp.?



      Und was passiert, wenn die Fahrenden einfach noch nicht dran gewöhnt sind? Sich erschrecken, NICHT korrigieren und dann in die Betonbegrenzung semmeln?



      Haftung?

      Und wie "fernsteuerungssicher" sind die Systeme? Wie leicht lässt oder ließe sich das System systematisch manipulieren?

    • @Hefra1957:

      well put

  • Und was hat Gurt und Helm mit diesem Hightechmüll zu tun.



    Den Mindesabstand kann man einfach messen. In dem man nach dem der Vordermann eine Stelle durchfahren hat langsam bis 3 zählt.



    Ist man dann schon an der Stelle vorbei ist der Abstand zu kurz.



    Und natürlich kann man den Blinker setzten und danach den Schulterblick.

    • @J. G.:

      Man kann, aber viele sind sogar dazu zu faul (oder zu rücksichtslos). Oder es wird geblinkt, aber erst wenn man schon den Fahrstreifen überquert; das Blinken begleitet den Spurwechsel dann nur anstelle ihn anzukündigen.