Die Verschrottisierung von Liegestühlen: Die Sache hat jetzt einen Haken
Einst waren Liegestühle einfach aus Holz. Warum werden heutzutage dann hässliche Plastikleisten drangeschraubt? Und was sagt der TÜV dazu?

Es gab sie mal, die einfachen, guten Liegestühle aus Holz mit einer Liegefläche aus dicht gewebtem Stoff. In der Nichtliegestuhlzeit lehnten sie flach zusammengeklappt an der Wand und störten nicht weiter. Kam der Sommer, ließ sich so ein Stuhl einfach aufstellen: Man überlegte kurz, welches die Hinterbeine sind und welches die Vorderbeine, sortierte die frei schwingenden Teile und klappte sie dann so zusammen, dass eine an der Rückenlehne befestigte Querleiste in die Kerben einrastete, die in die hinteren Beine der Liegestühle gefräst waren. Drei Stufen gab es – eine zum halbwegs aufrechten Sitzen, eine zum entspannten Liegen und eine dazwischen.
Es war ein simples, aber perfektes Produkt, nur aus Holz und Stoff. Nichts weiter. Der alte Designgrundsatz Form follows Function in seiner schönsten Form.
Es gibt diese Stühle noch immer, aber sie werden seltener. Denn die meisten derartigen Liegestühle sind nicht länger nur aus Holz und Stoff. Sie sind jetzt mit zwei Hakenelementen aus Plastik ausgestattet, und die sind genau auf den in die Hinterbeine gefrästen Kerben angebracht. Die Plastikhakenleisten vergrößern die Kerben und bieten – oder versprechen das zumindest – noch mehr Halt.
Nun könnte man sagen: Ja, und? Oder: Ist doch super, noch mehr Sicherheit beim gepflegten Faulenzen.
Ein Unding in mehrerlei Hinsicht
Aber, nein: Die aufgeschraubten Plastikleisten sind in mehrerlei Hinsicht ein Unding. Erstens, weil aus Plastik immer irgendwann auch Plastikmüll wird. Zweitens werden die schlichten, schönen Stühle dadurch hässlich. Drittens folgt ihre Markteinführung einer kapitalistischen Logik, die ein Mehr, ein „Noch besser“, ein „Jetzt neu mit …“ verspricht, selbst, wenn die Aufwertung gar keine ist, denn: Viertens kann natürlich auch ein Liegestuhl mit Plastikhaken zusammenbrechen. Jeder Stuhl kann das. Die ins Holz gefrästen Kerben haben als Zusammenbrechschutz völlig ausgereicht.
Und ist denn wirklich schon mal jemand mit dem Stuhl zusammengeklappt, weil die Querstrebe an der Rückenlehne nicht in die eingefrästen Haken eingerastet war? Abgesehen davon: Wäre das so schlimm? Ein Liegestuhl steht ja zumeist auf weichem Grund. Sand. Gras. Vielleicht Kies, aber selbst das wäre zu verschmerzen.
Eine Umfrage im erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis ergab keinen Trend zum hakenlosen Zusammenbrechen. Was nur einige der Befragten anmerkten: Sie hätten sich die Finger beim Auf- und Abbau eingeklemmt. Tja, das tut weh und kann leicht passieren, weil die Beine und die Querstrebe frei schwingen. Aber gerade dagegen helfen diese Plastikhaken ja gar nicht.
Warum gibt es sie also? Bei der Recherche nach Herstellern, die es wissen könnten, fällt auf: Klappliegestühle werden oft als Werbemittel hergestellt. Eine Firma möchte auf sich aufmerksam machen und ordert bei einem Liegestuhlhersteller massenhaft Stühle, deren Stoffsitzflächen mit dem Firmenlogo oder einem Werbeslogan bedruckt sind und dann in Beachclubs, an Stadtstränden – temporär mit mehreren Fuhren Sand, palmenartigen Gewächsen, Trinkbuden und bunten Lämpchen ausgestatteten Freizeitbereichen dort, wo sonst kein Strand ist – oder auch mal auf Stadtplätzen mit tristem Betonpflaster rumstehen, um sommerliche Leichtigkeit zu versprühen. Ohne es zu diesem Zeitpunkt der Recherche schon zu wissen: In der Tatsache, dass die Liegestühle oft als Werbemittel fabriziert werden, liegt schon ein Teil der Antwort.
Ruckartiges Hinsetzen, ungleichmäßige Belastung
Zunächst aber ein Anruf beim TÜV, denn da ruft man ja an, wenn es um Sicherheit und Technik geht.
Dirk Moser-Delarami, Pressesprecher des TÜV Süd in München, gibt bereitwillig Auskunft: „Unserer Ansicht nach“ hätten die Plastikhaken „vor allem eine ergänzende Sicherungsfunktion“, indem sie die Rückenlehne zusätzlich abfingen. Die Kerben allein „reichen theoretisch aus, um die Rückenlehne in Position zu halten“, doch könne die Lehne „bei unsachgemäßem Gebrauch“ – ruckartiges Hinsetzen, ungleichmäßige Belastung – „evtl. aus den Kerben rutschen. Die Haken verhindern dieses unbeabsichtigte Herausspringen“, schreibt Moser-Delarami.
Denkbar sei auch, dass Hersteller, etwa bei gewerblicher Nutzung, Haftungsrisiken vorbeugen und „den Anforderungen von Sicherheitsprüfungen gerecht“ werden wollten. Moser-Delarami schreibt auch, dass Liegestühle ohne Plastikhaken nicht zwangsläufig unsicher seien: „Wenn das Holz in einwandfreiem Zustand ist und die Kerben sauber gefräst sind, funktionieren auch klassische Modelle ohne zusätzliche Haken zuverlässig.“
Kein TÜV-Statement ohne DIN, und so verweist der TÜV-Süd-Sprecher auf die relevanten Prüfgrundlagen, dargelegt in DIN EN 581-1 „Sicherheitsanforderungen für alle Arten von Outdoor-Möbeln“ und in DIN EN 581-2 „für Sitzmöbel im Außenbereich (inkl. Stabilitäts- und Festigkeitsprüfung)“. Damit wird geprüft, ob ein Liegestuhl kippsicher, belastbar und mechanisch sicher konstruiert ist, „z. B. ob es beim Zurücklehnen zu einem plötzlichen Zusammenklappen kommen kann“. Die Plastikhaken könnten helfen, solche Sicherheitsanforderungen besser zu erfüllen. Gefordert werden sie in den Normen aber nicht.
Beim TÜV Rheinland sind sie liegestuhlmäßig schon etwas weiter. Laut Pressesprecher Fabian Dahlem fand „eine normative Vorgabe“ bislang vor allem in Frankreich Anwendung, weil dort durch fehlerhaftes Aufstellen der Stühle gehäuft „Scher- und Quetschstellen“ – Finger ab oder Finger autsch – aufgetreten seien. Derzeit werde deshalb Norm 581-2 in die europäische Normgebung aufgenommen, um die Zahl solcher Unfälle zu reduzieren.
Also, es tut sich was auf dem Markt der Liegestühle. Vorgegeben waren die Haken bislang nicht, aber das wird wohl so kommen.
Zum Lifestyle-Produkt aufgemöbelt und dann abgespeckt
Warum es die Haken trotzdem schon breitflächig gibt, verrät Wiebke Schneider, Junior Content Managerin vom Werbeartikelshop brandible in Dresden, einem der größten Anbieter von Liegestühlen, die als Werbemittel eingesetzt werden, per E-Mail: „Mit der Zeit wurde der Liegestuhl – durch Werbeartikel/Werbetechnik Industrie – zu einem Lifestyle-Produkt. Um Kosten und Gewicht zu sparen, wurde mit der Zeit der Querschnitt des Holzes verändert und ‚abgespeckt‘.“
Das heißt also: Mal wieder ist der Kapitalismus Schuld. Liegestühle sind ihrem eigentlichen Zweck enthoben und dienen als Werbemittel. Damit sie dafür möglichst billig hergestellt werden können, spart man am Werkstoff Holz und sichert sich gegen plötzliches Zusammenbrechen durch aufgeschraubte Plastikhakenleisten ab. Die sehen doof aus und degradieren den Stuhl zum Wegwerfartikel, machen ihn aber eben billiger als früher.
Man kann diese Verschrottisierung der Welt nur im Liegen ertragen – auf einem stabilen Stuhl ganz aus Holz.
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