Türkische Politik in Nahost: Erdoğans Inszenierung
Der türkische Präsident gibt sich dieser Tage als Mittler zwischen USA und Iran. Bei einem großen Krieg hätte er viel zu verlieren.
Demnach sei Erdoğan praktisch unablässig am Telefon, um mit US-Präsident Donald Trump, dem iranischen Präsidenten Massud Peseschkian und Russlands Wladimir Putin über ein Ende des Krieges zwischen Israel und dem Iran zu sprechen. Ziel der türkischen Diplomatie sei es, die USA und den Iran dazu zu bewegen, doch noch ganz schnell einen Atomdeal zu machen, um so den Krieg zu beenden.
Mit wem der türkische Präsident nicht spricht, ist Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Beide vermitteln zu mindestens nach außen den Eindruck, sich innig zu hassen. „Hitler“, „Terrorist“, „Mörder“ „Wahnsinniger“ sind die Attribute, mit denen sich die beiden gegenseitig überziehen.
Das geht schon seit Jahren so, aber insbesondere, seit Netanjahu als Reaktion auf das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 den Gazastreifen mit einem Vernichtungskrieg überzieht, ist Erdoğan in Rage. Aktuell ist es aber eher die Sorge um eine Ausweitung des Krieges gegen den Iran, die Erdoğan zum Telefonhörer greifen lässt.
Wirtschaftliche Interessen der Türkei
Ein länger anhaltender Krieg zwischen Israel und dem Iran könnten die ersten vorsichtigen Erfolge jahrelanger wirtschaftlicher Konsolidierungsmaßnahmen schlagartig wieder zunichtemachen. Ein höherer Ölpreis wäre Gift für die Türkei. Tausende iranischer Flüchtlinge, die sich bereits jetzt von Teheran aus Richtung türkischer Grenze auf den Weg machen, würden die ersten Erfolge bei der Rückführung syrischer Flüchtlinge gleich wieder egalisieren und die Anzahl von Flüchtlingen in der Türkei konstant hochhalten.
Zwar möchte die Türkei so wenig wie die meisten anderen Länder im Nahen Osten, dass Iran eine Atommacht wird, aber gleichzeitig hat Erdoğan überhaupt kein Interesse daran, dass dieses Ziel durch einen militärischen Sieg Israels über den Iran erreicht wird. Deshalb Erdoğans Drängen bei Trump, den Krieg möglichst schnell mit einem Deal mit dem geschwächten Iran zu beenden. Andernfalls, so die Befürchtung in Ankara, könnte ein militärischer Erfolg in Iran Netanjahu endgültig zu Kopf steigen. Wäre die Türkei dann Israels nächstes Kriegsziel?
In einem „National Security Journal“ aus den Reihen der US-amerikanischen Rechten behauptet der Autor Michael Rubin vom American Enterprise Institute, Erdoğan verfolge gegenüber Israel im Prinzip dieselben Ziele wie die iranischen Mullahs und würde ebenfalls an einem geheimen Atomprogramm arbeiten. Wenn der Westen nicht dagegen vorginge, könnte es in absehbarer Zeit zu einem Krieg zwischen Israel und der Türkei kommen.
Das klingt zwar weit hergeholt, schließlich ist die Türkei Nato-Mitglied und US-Präsident Trump zählt beide Länder zu seinen Verbündeten. Doch selbst Präsident Erdoğan verunsicherte seine Landsleute bei einer Rede im letzten Jahr am 1. Oktober mit der Mahnung, die Türkei müsse sich gegen einen israelischen Angriff wappnen.
Unterschiedliche Ziele in Syrien
Die Brandrede Erdoğans erfolgte, nachdem Israel im September den Großangriff auf die Hisbollah im Libanon gestartet hatte. Wörtlich sagte Erdoğan: „Die im Heiligen Land wahnsinnig gewordene israelische Regierung wird mit ihrem religiösen Fanatismus nach Palästina und dem Libanon womöglich auf unser Vaterland zielen“.
Was damals allgemein für Kopfschütteln sorgte, wäre nach einer kompletten militärischen Niederlage Irans nicht mehr ganz so abwegig. Die Türkei bliebe im Nahen Osten die einzige Militärmacht, die Israel noch ernsthaft etwas entgegensetzen könnte. Und beide Länder haben jenseits aller rhetorischer Hahnenkämpfe einen ernsthaften Interessenkonflikt in Syrien.
Während Netanjahu in Syrien die neue islamistische Führung als Bedrohung sieht und ohne Skrupel die gesamte militärische Hinterlassenschaft des Assad-Regimes zusammenbomben lässt, ist die Türkei mit der neuen Regierung eng verbündet und will beim Aufbau einer neuen syrischen Armee helfen. Syrien ist potentiell für die Türkei auch wirtschaftlich enorm wichtig.
Noch gibt es hinter den Kulissen den Versuch, einen Interessenausgleich zwischen Israel und der Türkei in Syrien herzustellen. Doch das kann schnell kippen.
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