Schlaumeiern und schweigen: Hab ich recht oder hab ich recht?
Hierzulande hat sich so etwas wie Rechthabenwollen eingebürgert – das vermeidet Denken. Es sollte vielmehr ein Recht auf Nichtrechthabenwollen geben.
O b Sie’s glauben oder nicht: Ich rede nicht gern über mich selbst. Besonders peinlich bin ich mir, wenn ich recht habe. Das hat einerseits damit zu tun, dass mir auch im richtigen Leben kaum jemand so auf die Nerven geht wie Rechthaber*innen. Rechthaben ist sogar dann unsympathisch, wenn man wirklich recht hat.
Eigentlich glaube ich nicht an so etwas wie „nationale Eigenschaften“, aber bei der Rechthaberei bin ich mir nicht so sicher. Es gibt verschiedene Arten, in denen sich das Rechthaben manifestieren kann. Ereignisse können in etwa so eintreten, wie jemand sie vorhergesagt hat. Siehste!
In der Medizin gibt es den nicht unumstrittenen Satz: Wer heilt, hat recht. Vor allem aber ist Rechthaben einfach mal eine Behauptung. Der Papa, die Partei oder die Bibel haben „immer recht“. Vielleicht hat ja jede Rechthaberei den Keim zu einer solchen Anmaßung in sich. Jedenfalls scheint es eine dialektische Beziehung zwischen dem subjektiv Rechthaber und einem idealen Gesamtrechthaber zu geben. Das Volk hat immer recht. Die Wissenschaft hat immer recht. Die Natur hat immer recht. An irgendwas muss man sich schließlich halten, weil man sonst nie sagen könnte: So ist es!
ist freier Autor und hat zahlreiche Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Trump & Co“ beim Bertz Verlag, Januar 2025.
Andrerseits ist Rechthabenwollen die langweiligste und ärschigste Legitimation fürs Denken überhaupt. Wenn man bloß denkt, um recht zu haben, kann man es auch gleich sein lassen. Für jeden Gedanken, der irgendwie öffentlich oder halböffentlich geäußert wird, gibt es mittlerweile nur noch zwei Rechtfertigungen: das Rechthaben und das Nützlichsein. Gedanken, denen man nicht so ohne weiteres die Stempel recht haben oder nützlich sein verpassen oder verweigern kann, sind nichts wert.

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Dabei würde, meiner bescheidenen Meinung nach, Kultur erst damit beginnen, dass man auch denken kann, ohne dass einem das Rechthaben und das Nützlichsein im Nacken sitzt. Ich fordere das Recht auf ein glückliches und aktives Nichtrechthabenwollen! Und ein kritisches Denken, das nicht als mechanische Problemlösunganleitung dienen muss.
Aber wohin mit der eigenen Rechthaberphobie? Schließlich ist ein nebliger Wischiwaschi-Liberalismus oder gar purer Opportunismus (recht hat, wer die Macht hat, recht hat, was mir nutzt, recht hat, wer wiederum mir recht gibt) genau so eklig, und der pure Differentialismus („Es ist kompliziert“) hilft auch nicht immer weiter. Zwischen meinem Denken und den Herausforderungen der Welt muss es also eine andere Beziehung geben.
Man kann das eine „Haltung“ nennen. Sie drückt aus, was man, diesseits des Rechthabens, von der Welt verlangt: Gerechtigkeit, Frieden, Respekt, Freiheit. Und man kann einer solchen Haltung auch einen Namen geben: humanistisch, demokratisch, pazifistisch, sozialistisch, feministisch (oder andersherum nationalistisch, patriarchalisch, völkisch, autoritär …). Der Stoff, aus dem im Zweifelsfall wieder Ideologien werden (Ideologie ist der Faschismus des Rechthabens).
Im besten Fall aber ist es ein reflektiertes, transparentes und geteiltes Wissen um die Notwendigkeit, der Welt nicht nur Nutzen und Macht, sondern auch Werte und Ziele abzuverlangen. Einschließlich des Wissens, dass Werte und Ziele weder totale noch ewige Gültigkeit verlangen dürfen. Das Rechthaben zerfällt in zwei Aspekte: in die inhaltliche (sachlich richtig bzw. hegemonial zustimmungsfähig) und in die formale (das Recht bzw. die Macht, zu sprechen).
Oft haben Menschen recht, die von den Umständen her gar kein Recht haben, überhaupt etwas zu sagen. Andere haben die Macht, dass man ihnen recht gibt, auch wenn sie den größten Blödsinn erzählen. Wenn einem also das Rechthaben unangenehm ist, dann hat das wahrscheinlich auch etwas mit Machtspielen zu tun. Mit einer Haltung zu versuchen, etwas (vorläufig) Richtiges zu denken, ist dagegen nur möglich, wenn es in einem offenen Diskursraum geschieht.
Viel wichtiger als das Rechthaben in der Hoffnung auf richtiges Denken ist daher die Anregung. Wenn man nicht recht haben will, setzt man vielleicht Gedanken und Dialoge in Bewegung, macht Denken und Sprechen transparent, lädt zu demokratischer Teilhabe ein.
Der Rechthaber ist ein Kommunikationstyrann, aber eben auch ein Ausbeuter. Er verkauft den Menschen ihre Angst vor der Freiheit. Er nimmt, schlimmer noch, den Menschen die Lust am Denken.
Dabei weiß natürlich kein Schwein, was Denken überhaupt ist. Wenn wir es Arbeit nennen, dann sollte man nicht vergessen, gegen den Puritanismus zu rebellieren, der daraus nur Zwang und Pflicht macht. Denken, was auch immer das im Einzelnen ist, wäre im Idealfall vor allem ein lustvoller Vorgang.
Die Lust am Denken verloren
Das Problem unserer Kultur scheint mir: Man hat die Lust am Denken verloren. Was natürlich kein Wunder ist. Wenn man von Krieg, Klimakatastrophe, Neofaschismus und Hyperkapitalismus umgeben ist, kann einem die Lust am Denken schon mal vergehen. Aber vielleicht ist es ja auch umgekehrt: Eine Menge unserer Probleme kommen daher, dass den Leuten, die vor lauter Angst in Rechthaberei und Nützlichkeit oder in Wischiwaschi und Opportunismus geflüchtet sind, die Lust am Denken vergangen ist.
In den meisten der großen Konflikte, in denen wir uns bewegen müssen, gibt es gewiss Schuldige, die man benennen kann, es gibt Opfer, auf deren Seite man sich stellen muss, und es gibt Ursachen und Bedingungen, die es zu analysieren gilt. Aber all das führt nicht zu einem Recht auf die Reduktion des Denkens aufs Rechthaben.
Denken mag vielleicht unter den aktuellen Umständen nicht mehr so viel Spaß machen, wie es in den privilegierten Zeiten vordem versprach, es muss sich vielmehr in manchmal erschreckenden Widersprüchen einrichten, in Zwickmühlen von Vernunft und Moral, in Gegensätzen zwischen dem, was notwendig und was erhofft ist. Freies, offenes und demokratisches Denken ist unter den Bedingungen des Kulturkampfs Schwerstarbeit. Aber es lohnt sich. Hab ich nicht recht?
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