Görlitzer Park in Berlin: Tear down this Zaun
Der schwarz-rote Berliner Senat hat mit dem Zaunbau um den Görlitzer Park begonnen. Das steht exemplarisch für die Abschottungspolitik der Union.
D er Hummus muss Sprengstoff enthalten haben. Anders ist die Szenerie kaum zu erklären. Dienstagmorgen vorm Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: 30 Personen sitzen auf Picknickdecken, quatschen entspannt, rauchen, essen. Umzingelt werden sie von über 80 Polizist*innen und 10 Einsatzfahrzeugen. Es werden Platzverweise erteilt und Personalien aufgenommen. Um Sicherheit geht es längst nicht mehr. Es geht um Machtdemonstration.
Nach langen Verzögerungen hatte Anfang der Woche der Zaunbau um den Görli, wie die Grünanlage in Berlin genannt wird, begonnen. Die Pläne des schwarz-roten Senats, den Park einzuzäunen und nachts zu schließen, stoßen auf Widerstand. Die Frühstücksaktion war Teil des Protests. Bereits am Vorabend waren über 1.000 Zaungegner*innen mit Töpfen und Trommeln durch den umliegenden Wrangelkiez gezogen.
Der Zaun soll Kriminalität und Drogenhandel in „Deutschlands gefährlichstem Drogenpark“ (danke, Bild-Zeitung) eindämmen. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gibt sich als Macher, der im unbändigen Kreuzberg endlich durchgreift. Das Senatsvorhaben, den Görli als „kriminalitätsbelasteten Ort“ dauerhaft per Video zu überwachen sowie das seit Februar geltende Messerverbot fügen sich nahtlos in diese Inszenierung ein.
Zaungegner*innen werfen dem Senat eine „populistische pseudodemokratische Shitshow“ vor. Für sie steht fest: Die CDU will dem linken Friedrichshain-Kreuzberg ihre Law-and-Order-Politik aufzwingen. Anwohner*innen seien nicht einbezogen und der Bezirk übergangen worden.
Ein Gericht winkt den Zaun durch
Dieser hatte sich gegen den Zaun ausgesprochen. Das Verwaltungsgericht entschied jedoch: Der Zaun darf auch gegen den Willen des Bezirksamts gebaut werden. Ob das die beste Grundlage für eine konstruktive Zusammenarbeit ist? Nebensache. Die CDU hat gewonnen. 1:0, take that, links-grün versifftes Kreuzberg!
Wegners Plan ist populistisch anschlussfähig. Dass das Konzept nicht nachhaltig ist, scheint zweitrangig. Anwohner*innen befürchten nun eine Verlagerung der Probleme in die umliegenden Kieze. Zu Recht – in Zürich führte ein Zaun rund um den Platzspitz („Needle Park“) in den 1980er Jahren zu genau diesem Effekt.
Zaungegner*innen fordern deshalb: Statt über 2 Millionen Euro in den Zaun zu pumpen, brauche es mehr Geld für Sozialarbeit, Drogenkonsum- und Aufenthaltsräume, Suchthilfeprogramme für Konsument*innen sowie Ausstiegsprogramme für Dealer.
Das klingt bloß nicht so nach harter Hand wie Messerverbot, Videoüberwachung und Zaun. CDU-Rechtsaußen Kurt Wansner hat da einfachere Lösungen parat: Drogendealer im Görli müssten „härter bestraft und gegebenenfalls auch abgeschoben“ werden.
Klingt vertraut? Ist es auch. Was die CDU in Berlin vormacht, propagiert Merz auf Bundesebene. Der Görli ist ein Mikrokosmos der Law-and-Order-Unions-Politik: autoritär statt dialogisch, stigmatisierend statt integrierend, symbolpolitisch statt nachhaltig.
Der Zaun emotionalisiert auch über die Landesgrenzen hinweg, weil im Kern grundlegende gesellschaftliche Fragen berührt werden: Wie steht es um die Mitbestimmung in unseren Städten, und wie begegnen Politik und Verwaltung marginalisierten Gruppen?
Die Zeichen stehen auf Abschottung. Während Wegner den Görli einzäunt, setzt Merz im ganzen Land auf Abschreckung. Doch der Widerstand formiert sich: Aktivist*innen kündigten an, den Zaun immer wieder einzureißen. Kreuzberg bleibt standhaft.
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