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„Ich wollte die coole, unabhängige Mutter sein“

Die Kampagne „100.000 Mütter“ demonstriert zum Muttertag für eine Gesellschaft, die Care-Arbeit ins Zentrum stellt. Denn tradierte Rollenbilder mit ihren Erwartungen und ungleiche Machtverhältnisse machen Müttern bis heute das Leben schwer. Drei Frauen erzählen

Paulina Czienskowski Foto: William Minke

Protokolle Lilly Schröder

„Für mich ist Muttersein eine konstante Überstimulation, ein durchgängiges Überschreiten meiner eigenen Grenzen. Ich schlafe nachts nicht mehr wie früher und für Dinge, die mir Energie geben – soziale Interaktionen, Hobbies oder Arbeit – bleibt viel weniger Zeit. Es ist der gleichzeitige Verlust von Teilen meiner Identität, begleitet von einem Pflichtgefühl, Scham und Sprachlosigkeit.

Vor allem die ersten zwei Jahre haben sich angefühlt wie ein pubertärer Zustand: Man verliert die Kontrolle über die Situation, aber man muss immer die Kontrolle bewahren, weil das Kind vollständig auf einen angewiesen ist. Es ist ein Zustand, mit dem man nicht in eine kapitalistisch organisierte Gesellschaft passt, weil man nicht leistungsfähig genug scheint für dieses System. Das ging für mich mit einem Gefühl der Mangelhaftigkeit einher.

Mein Eindruck ist, dass es für Mütter kaum Möglichkeiten gibt, ohne Scham und Schuld über ihre Erfahrungen zu sprechen. Dass man so wenig über Mutterschaft weiß, ist wohl kein Zufall. Das gesellschaftliche Desinteresse am Leben von Müttern, sorgetragenden und pflegenden Personen ist zutiefst patriarchal und dient dazu die hierarchisch organisierte Kernfamilie zu erhalten.

Erst mit der Geburt meines Kindes ist mir bewusst geworden, wie groß mein Desinteresse und meine innere Ablehnung gegenüber Mutterschaft war und wieviel misogynes Denken ich verinnerlicht hatte. Ständig habe ich mich versucht von anderen Müttern abzugrenzen, wollte nicht wie sie sein, nicht so auf das Kind fixiert. Ich wollte die coole, unabhängige Mutter sein, nicht die, die sich an Regeln hält. Daraus spricht der Wille nach Emanzipation und Autonomie – aber auch internalisierte Misogynie, weil es bedeutet ein bestimmtes Bild von Weiblichkeit abzuwerten. Dahinter steckte unter anderem die Angst, ein häusliches Leben zu führen.

Die Emanzipation der Frau ist natürlich etwas tolles, gleichzeitig kann sie für viele Mütter aber auch zu einer neuen Form der Erschöpfung führen und einem Gefühl, nicht genug zu sein. Neulich sagte eine Freundin zu mir, sie schäme sich laut zu sagen, dass es ihr ausreiche ‚einfach nur Mutter‘ zu sein.

Mein Partner und ich teilen uns die Care-Arbeit fünfzig-fünfzig. Und zwar wirklich. Trotzdem ist mein Körper und meine Psyche stärker gefordert als die meines Partners. Warum? Weil ich als Frau in dieser Gesellschaft lebe. An mich werden andere Erwartungen gestellt, auch meine eigenen an mich, auch wenn ich mich dagegen wehre.

Meine Gedanken zu Mutterschaft habe ich in meinem Roman ‚Dem Mond geht es gut‘ literarisiert. Auch da sprachen anfangs Scham und internalisierte Misogynie aus mir. Ich hatte Angst, mich als Autorin zu diskreditieren, wenn ich über Mutterschaft schreibe, denn das Narrativ im Literarturbetrieb lautet: Darüber wurde schon genug geschrieben.“

Paulina Czienskowski, 36,

Schriftstellerin

„Man ist als Mutter häufig ziemlich isoliert“

„Ich habe mich als Mutter sehr allein gelassen gefühlt. Als ich in den Mutterschutz ging, war ich voller Vorfreude – ein ganzes Jahr nur eine Sache machen: Baby! Doch schnell habe ich Druck verspürt. Medial wird suggeriert, dass man ein Baby bekommt und sich danach vollkommen darauf konzentriert – als würden mit der Elternzeit alle anderen Verpflichtungen pausiert.

Das ist nicht der Fall. Meine Mutter, die pflegebedürftig ist, brauchte mich trotzdem. Sie ist in der Zeit sehr krank geworden. Es hat mich sehr herausgefordert, dass die Care-Arbeit nicht nur für mich und mein Kind, sondern auch für meine Mutter reichen musste. Als die Elternzeit dann vorbei war, habe ich für mein Kind keinen Kita-Platz bekommen und habe erst nach 6 Monaten eine Tagesmutter gefunden. Ich habe kein Elterngeld mehr bekommen, also musste ich Geld verdienen. Das war eine extreme Doppelbelastung.

Nach der Elternzeit habe ich wieder angefangen, Vollzeit zu arbeiten. Kurze Zeit später kam Corona und der Lockdown, die meisten meiner Einnahmen sind weggebrochen und ich stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich habe sehr viel gearbeitet, um mir eine Nanny leisten zu können. Sie hat zwei Tage die Woche das Kind betreut und von der Kita abgeholt, die anderen Tage haben mein Mann und ich uns das aufgeteilt. Für mich war das die beste Entscheidung. Aber dass ich mein Kind von einer Nanny von der Kita abholen lasse, wurde kritisch beäugt. Als es Probleme gab, wurde mir gesagt: Vielleicht sollte er häufiger von der Mutter abgeholt werden.

Es war alles sehr anstrengend, dabei hatte ich gute Ausgangsvoraussetzungen. Mein Partner stand mir immer zur Seite, mental und finanziell. Die Care-Arbeit haben wir uns nachts immer geteilt. Er hat in der ersten Hälfte der Nacht geschlafen und ich war bei dem Kleinen, ab 3 Uhr morgens hat er übernommen. Das ging aber nur, weil ich nicht abgepumpt habe. Mir war wichtig, dass mein Partner das Kind ohne mein Zutun füttern kann. Aber der Kinderarzt war sehr irritiert, dass ich meinem Kind nicht meine Milch gebe.

Mich stört, dass Mütter ständig für die Entscheidungen, die sie für ihr Kind treffen, bewertet werden. Das geht bei der Entbindung und der Frage „Wie hast du entbunden?“ los. Da schwingt immer mit: War es „natürlich“ oder nicht? Hast du es dir „einfach“ gemacht? Danach geht’s weiter: Es wird bewertet, wie eine Mutter stillt, wann und wie viel sie arbeitet, wie das Kind betreut wird.

100.000 Mütter

Die Kampagne „100.000 Mütter“ geht am Samstag, einen Tag vor dem „Muttertag“, auf die Straße, um für bessere politische und gesellschaftliche Bedingungen für Mütter zu demonstrieren. Los geht es um 12 Uhr im Monbijou-Park. Mehr Infos: hunderttausendmuetter.de/ (taz)

Ich hätte mich mehr gesehen gefühlt, wenn das Thema der doppelten Carte-Arbeit von Müttern präsenter wäre – auch in der Ausgestaltung des Lebens. Man ist als Mutter häufig ziemlich isoliert. Es braucht eine radikale Veränderung struktureller Bedingungen, damit es nicht mehr überwiegend Frauen sind, die Care-Arbeit leisten. Dafür müssen Frauen in entscheidungsrelevante Positionen kommen.“

Mary Ivić, 41, ist Organisations beraterin für Schulen und

aktiv in bei „100.000 Mütter“

„Das Bild der ­normativen Familie wird überall ­reproduziert“

„Ich wollte eigentlich nie Kinder bekommen. Ich habe eine Erkrankung und hatte Sorge, sie ihnen weiterzuvererben. Und doch habe ich zwei Kinder bekommen. Warum? Weil mir mein Leben lang vermittelt wurde: die heteronormative Kleinfamilie ist das absolute Nonplusultra. Familie wird als private Institution geframed, in der man selbstbestimmt entscheiden kann, wie man leben will.

Mary Ivić Foto: Stadtgören Berlin

Aber das ist ein Trugschluss. Das Bild der normativen Familie wird überall reproduziert und es wird institutionell gefördert. Dieses Bild hatte ich so internalisiert, dass ich nie eine Wahlfreiheit hatte. Das macht mich rückblickend so wütend.

Also habe ich lange mit meinen zwei Kindern und meinem Partner nach dem normativen Konzept gelebt. Offiziell haben wir uns die Care-Arbeit fünfzig-fünfzig geteilt. Aber es war in der Umsetzung nie paritätisch. Der ‚Mental Load‘ war bei mir viel größer: Ich hatte alle Arzttermine der Kinder im Kopf, ihre Kleider- und Schuhgrößen und wusste, wer wann wohin musste. Mit meinem Partner konnte ich über das Ungleichgewicht nicht sprechen, wir haben uns viel darüber gestritten.

Es hat wahnsinnig lang gedauert, bis ich aus dieser Konstellation ausbrechen konnte. Ich bin auch deshalb geblieben, weil ich wusste, dass die Reaktionen in meinem Umfeld sehr negativ sein würden, wenn ich mich trenne. Und so war es: Dass ich endlich zu meiner Identität und sexuellen Orientierung stand, wurde nicht als Befreiungsschlag, sondern als Scheitern bewertet – allen voran durch meine Mutter.

Dabei war diese Trennung so empowernd für mich. Ich habe schon seit dem Kindesalter geahnt, dass ich lesbisch bin, aber ich habe es nie geschafft, dazu zu stehen. Mit dem Vater meiner Kinder war ich lange in einer offenen Beziehung und hatte Affären mit Frauen oder Flinta*-Personen, aber ich habe mir selbst immer eingeredet, dass ich nicht mit einer Frau zusammen sein könnte.

Erst jetzt fange ich an, mir das zu aufzubauen, was ich als familiäres Ideal empfinde. Es gibt das schöne Sprichwort ‚Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf‘. Dieses Dorf habe ich mir jetzt ermöglicht. Drei meiner besten Freundinnen wohnen im selben Wohnhaus wie ich. Sie sind für meine Kinder da, passen auf sie auf und kochen ihnen Essen. Das ist jetzt meine Familie, mein erweitertes Dorf.

Annik Freuer Foto: privat

Der Vater meiner Kinder hat eine neue Partnerin. Sie wird von der Gesellschaft selbstverständlich als Elternperson angenommen, aber meine Freundinnen nicht. Warum? Ich persönlich habe mehr Vertrauen darin, dass diese engen Freun­d*in­nen­schaf­ten bestehen bleiben, als romantische Beziehungen. Noch komplizierter wird das, wenn sich Menschen entscheiden, zu viert ein Kind zu bekommen. Ich wünsche mir, dass diese starren Gerüste aufgebrochen werden.

Meinen Kindern probiere ich vorzuleben, dass es nicht nur eine Normativität gibt, sondern dass Menschen facettenreich sind und sie sich nicht gesellschaftlichen Erwartungen anpassen müssen. Ich gehe nicht automatisch davon aus, dass meine Kinder cis-normativ oder heterosexuell sind, oder, dass sie später einmal Kinder haben werden. Mir ist wichtig ihnen zu vermitteln: Eure Identität gehört euch. Lasst euch nicht vorschreiben, wer ihr sein sollt. Das kostet sehr viel Energie, aber genau diese Haltung hätte ich mir gewünscht.“

Annik Freuer, 44,

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