piwik no script img

Israel am Shoah-GedenktagUnübersehbare Spaltung

Felix Wellisch
Kommentar von Felix Wellisch

Auch wenn die israelische Führungsriege am Shoah-Gedenktag geeint zusammenkamen. Das Land und seine Politiker sind restlos zerstritten.

Weiter unversöhnlich und umstritten: Benjamin Netanjahu Foto: Leo Correa/AP/dpa

S elten hat man die israelische Führung so geeint gesehen wie bei der Zeremonie zum Gedenktag an die Schoah. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem saßen am Mittwochabend erklärte politische Gegner nebeneinander: Regierungschef Benjamin Netanjahu, Inlandsgeheimdienstchef Ronen Bar, der Rechtsextremist und Finanzminister Bezalel ­Smotrich und der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Jizchak Amit. Und doch war die Spaltung unübersehbar: Präsident Jizchak Herzog nutzte die Erinnerung an den Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten für eine deutliche Mahnung an die Führungselite: „Die Geschichte wird jenen nicht vergeben, die Israel von innen zerstören.“

Das Land ist eineinhalb Jahre nach dem Terrorüberfall der Hamas restlos zerstritten – über das weitere Vorgehen in Gaza, wo noch immer 59 Geiseln festgehalten werden; über den Frontalangriff der Regierung auf die demokratischen Institutionen; über die Legitimität des bis zum Hals in Korruptionsermittlungen steckenden Premiers.

Netanjahu jedoch schlug Herzogs Mahnung umgehend in den Wind: Israel sei „entschlossen, die Monster der Hamas zu vernichten“, erklärte er. Doch ebendiese Politik der militärischen Härte ohne klares Ziel spaltet das Land im Inneren und isoliert es international. Das zeigen Umfragen ebenso wie die beispiellos hohe Zahl an Reservisten, die nicht mehr zum Armeedienst erscheinen. Der global zunehmende Antisemitismus und die wachsende Abschottung Israels verunsichern viele Israelis. Netanjahus Worte machen wenig Hoffnung auf einen Kurswechsel: „Wenn wir alleine stehen müssen, werden wir alleine ­stehen“, sagte er.

Doch wer alleine steht, sollte sich zumindest einig sein. Stattdessen schwindet das Vertrauen in die Regierung, in Medien und Gerichte – auf beiden Seiten – und wird bewusst untergraben. Selbst die Sicherheitsbehörden, die eigentlich ganz andere Prioritäten haben sollten, werden in politische Grabenkämpfe hineingezogen. Der Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft ist tief beschädigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Es muss erwähnt werden, dass es in Israel auch sehr viele Menschen gibt, die sich nicht nur um die Geiseln sorgen, sondern auch um die Menschen in Gaza. Viele Israelis sind es leid, die Last eines Bergs von Toten zu tragen. Stimmen wie Adi Ronen Argov und Alon-Lee Green stehen für eine progressive, humanistische und internationalistische Haltung, die sich dem Kurs der Regierung klar entgegenstellt. Eine Gesellschaft mit solchen Menschen wird zwangsläufig gespalten, wenn der Staat an einem genozidalen Kurs festhält.