Gesellschaftliche Spaltung in Israel: Zoff um Geschlechtertrennung

Männer hier, Frauen da: So wollten orthodoxe Juden in Tel Aviv öffentlich beten. Das trat einen Streit um Religion im öffentlichen Raum los.

Zwei religiöse Männer unterwegs auf den leeren Straßen

In Israel wird auch an Jom Kippur über Religion im öffentlichen Raum gestritten Foto: Debbie Hill/imago

Jerusalem taz | Der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur steht für gewöhnlich für Versöhnung. Trotzdem sind in Israel dieses Jahr Teilnehmer öffentlicher Gebete und Gegendemonstranten aneinandergeraten. Die jüdisch-orthodoxe Organisation Rosch Jehudi wollten entgegen einer Entscheidung von Israels Oberstem Gericht sowie der Stadtverwaltung von Tel Aviv am Sonntag- und Montagabend ein geschlechtergetrenntes Gebet auf dem zentralen Dizengoff-Platz durchführen. Gegendemonstranten verhinderten die Veranstaltung.

„Als wir ankamen, war die Lage schon angespannt“, erzählt Eran Neuman, einer der Gegendemonstranten vom Sonntag. Die Organisatoren hätten versucht, Sichtbarrieren zwischen Männern und Frauen aufzubauen, Gegendemonstranten hinderten sie daran.

„Sie haben so viele Orte und Synagogen, an denen sie nach ihren Wünschen beten können, aber im öffentlichen Raum sollen sie sich an die Regeln halten“, sagt Neuman, der mit seinem Mann und zwei Kindern in Tel Aviv lebt. „Sie akzeptieren meine Familie nicht, manche ihrer Rabbis sind gegen Homosexuelle. Ich möchte nicht, dass sie allen anderen im öffentlichen Raum ihre Regeln aufzwingen.“

Am Sonntag kam es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen, die Polizei nahm einen Gegendemonstranten fest. Ähnliche Szenen wiederholten sich am Montag in Tel Aviv und Berichten zufolge auch in anderen Städten.

Krise hält seit Jahresbeginn an

Die Vorfälle spiegeln die Krise wider, in der sich das Land seit Anfang des Jahres befindet. Ausgelöst durch die geplante Schwächung der Justiz durch die in Teilen rechtsextreme und religiöse Regierung, finden seit mehr als neun Monaten wöchentlich Massendemonstrationen statt. Dabei geht es auch um den seit lange schwelenden Streit um die Rolle von Religion im öffentlichen Raum.

Der Oberste Gerichtshof hatte am Freitag eine Petition abgelehnt, die forderte, Geschlechtertrennung bei dem Gebet zu erlauben. In ihrer Entscheidung schrieben die Richter, Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum sei „mit verbotener Diskriminierung, fehlender Gleichberechtigung und dem Ausschluss von Frauen“ verbunden.

Wer wegen seiner religiösen Überzeugungen nur in getrennten Räumen beten könne, dem stünden in Tel Aviv hunderte Synagogen zur Verfügung. Rosch Jehudi, eine orthodoxe Thoraschule, teilte mit, die Veranstaltung dennoch durchzuführen.

Netanjahu spricht von „Linksextremisten“

Die Organisatoren der Gegendemonstration kündigten daraufhin an, „die Entscheidung des Gerichts mit unseren Körpern zu verteidigen“. Damit spielten sie auch auf eine anstehende, viel weitreichendere Entscheidung an: In einem historischen Urteil müssen die Richter in den kommenden Monaten über einen ersten, bereits verabschiedeten Teil der Justizreform entscheiden. Dabei geht es um ein Gesetz, das das Oberste Gericht selbst in seinen Kompetenzen beschneidet. Regierungschef Benjamin Netanjahu und der Großteil seiner Minister haben bisher offengelassen, ob sie eine Aufhebung des Gesetzes anerkennen würden.

Reaktionen führender Politiker auf die Auseinandersetzungen um das öffentliche Gebet zeigen, wie gespalten Israels jüdische Bevölkerung ist. Netanjahu kritisierte die Organisatoren der Proteste am Montag auf X als „Linksextremisten“. Sie hätten am heiligsten Feiertag „gegen Juden während des Gebets randaliert“.

Oppositionsführer Jair Lapid warf ihm vor, zu hetzen, statt seiner Aufgabe gerecht zu werden und die Situation zu beruhigen. Jom Kippur sei immer „ein Tag der Rücksichtnahme gewesen“, schrieb Lapid auf X. „Wer getrennt beten wollte, ging in die Synagoge. Wer gemeinsam beten wollte, betete draußen. Niemand versuchte, den anderen sein Judentum aufzuzwingen.“

Der Konflikt könnte noch nicht ausgestanden sein: Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, warf den Demonstranten vor, sie wollten „das Judentum aus dem öffentlichen Raum vertreiben“. Für diesen Donnerstagabend kündigte er ein öffentliches Gebet auf dem Dizengoff-Platz an.

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