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Buch über GazaGiftige Dröhnung

Pankaj Mishra blendet in seinem Gaza-Buch mit furchterregender Konsequenz alles aus, was der postkolonialen Lesart des Konflikts widerspricht.

Autor Pankaj Mishra Foto: Stephan Rumpf/SZ Photo/picture alliance

Es gibt Bücher, von denen fühlt man sich vergiftet, wenn man sie liest. Pankaj Mishras „Die Welt nach Gaza“ ist so eins.

Laut Werbung des S. Fischer Verlags handelt es sich um eine „kritische Analyse des Gaza-Krieges von einem der großen, international anerkannten Intellektuellen“ unserer Zeit und dieser legt schon im Prolog in dankenswerter Klarheit offen, wohin die kritische Analysereise gehen soll.

Mishra möchte, wie ein braver Schüler in den ausgelatschten Pfaden postkolonialistisch links-progressiver Israel- und Westkritik trampelnd, Deutungsrahmen verschieben, in denen sich das grauenhaft brutale Kriegsgeschehen im Gazastreifen bewegt. Für ihn steht nicht das genozidale Massaker, mit dem die Hamas am 7. Oktober mordend, vergewaltigend, verstümmelnd und entführend jüdisches Leben jenseits der Grenzen Gazas auszulöschen suchte, am Ausgangspunkt, mit diesem Kriegsgeschehen zu Rande zu kommen.

Was er hier stattdessen ganz zu sich selbst kommen sieht, sei das von zionistisch-rassistischem Expansionsdrang und Vernichtungswillen getriebene siedlerkolonialistische Regime namens Israel, das spätestens seit 1967 daran arbeite, die Palästinenser völkerzumorden.

Die gut dokumentierten Gräueltaten der Gotteskrieger beschweigt er

Die typisch weiß-westliche „Obsession“

Das Giftige dieses Langessays liegt weniger in dem Versuch, Deutungsrahmen zu verschieben, sondern darin, dass Mishra sich weigert, das eigene Weltbild und Wirklichkeitsverständnis im Lichte von dazu nicht passenden Fakten zur kritischen Disposition zu stellen. Die gut dokumentierten Gräueltaten der Gotteskrieger beschweigt er oder stellt sie als Fake News dar. Dass sich im Terror der Hamas genauso wie in der Geschichte des Nahostkonflikts ein islamisch gewandeter Antisemitismus Geltung verschaffen könnte, der nicht davon lassen mag, Israel und den Juden weltweit das Existenzrecht abzusprechen, ist Pankaj Mishra keinen Gedanken wert.

Vielmehr hält er es für eine typisch weiß-westliche „Obsession“, die Hamas und jeden Antisemitismus, so er nicht von rechts kommt, überhaupt zu problematisieren. Denn nicht der Antisemitismus treibt nach Mishras Ansicht die Hamas an, sondern der edle Kampf um die Befreiung der Palästinenser vom kolonialistischen Joch Israels.

Man kriegt es beim Lesen dieses in dröhnend-apokalyptischer Sprache daherdonnernden Traktats mit der Angst zu tun und findet sich unmittelbar zurückversetzt in die doppelte Schocksituation, in die man am 7. Oktober 2023 geriet. Denn dem Schock über das von der Hamas begangenen Massaker selbst, folgte der Schock angesichts der Jubelfeiern, die sich in die Straßen der westlichen Migrationsmetropolen ergossen. Darauf folgte der Schock angesichts eines postkolonialistisch links-aktivistischen und/oder islamistisch imprägniert antisemitischen Mobs, für den der 7. Oktober offenbar wie ein Befreiungs­signal wirkte, um dies- und jenseits der Akademien, in den Räumen von Kunst und Kultur und in den berüchtigten sozialmedialen Welten Jagd auf Juden zu machen.

Mishra liefert mit „Die Welt nach Gaza“ den ideologischen Unterbau, dem antisemitischen Treiben postkolonialen Aktivistentums die Absolution zu erteilen.

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14 Kommentare

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  • Offenbar hat jede Zeit nicht nur ihren eigenen Fas, sondern auch ihren eigenen Antisemitismus.

    Zurzeit sagt er: "Hallo, ich bin der Dekolonialismus."

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Danke vielmals für diese Einschätzung. Im Vorfelde der Leipziger Buchmesse habe ich das Werk mit Langmut absolviert. Wohl in der Hoffnung, einen Funken Differenziertheit zu entdecken. Vergeblich. Denn das Buch entpuppt sich Seite für Seite als ein tendenziöser Traktat.

    Mishras Mantra, Israel sei ein lilienweißer Apartheidstaat, speist zwar das Narrativ unzähliger Campus-Chaoten und Internet-Intifadisten, scheitert jedoch kläglich an einer Mauer voller Fakten. Der Autor vertritt vermeintlich den Dekolonialismus, klammert jedoch den Transsahara-Sklavenhandel, der 1.500 Jahre lang ein Grundpfeiler des islamischen Imperialismus war, krampfhaft aus.

    Eine derart ideologische Verblendung erklärt, warum die Free-Palestine-Bewegung den drakonischen Illiberalismus der Hamas, z.B. Misogyne und Queerfeindlichkeit, leugnet.

    Zudem ignoriert Misha eine weiteres grundlegendes Problem: Kaum eine Waffe im konventionellen Arsenal Israels ist so gefährlich wie die Schulbücher, die von der UNRWA veröffentlicht werden. Denn diese dämonisieren Juden, leugnen das Existenzrecht Israels und sorgen somit von Kindesbeinen an für immer mehr Kanonenfütter in einem Krieg, den Palästina niemals gewinnen kann.

  • Hört sich nach einem typischen Pankaj Mishra Buch an.

  • Ich kenne den Essay nicht und will gerne glauben, daß er ausblendet, was seiner Sicht widerspricht. #Aber was tut die Rezensentin? Sie blendet nicht nur 50.000 tote Männer, Frauen und Kinder aus, und vieles andere mehr. Sie kann sich eine andere Sicht der Dinge als die ihre nur als "antisemitisch" vorstellen.

  • Frau Eva Berger, ihnen möchte ich empfehlen sich noch eingehender mit dem Gazakrieg und den gesamten Komplex des Palästinakonflikts zu beschäftigen. Sie werden dann vielleicht erkennen, dass, bei aller berechtigter Kritik, die postkoloniale Lesart des Konfliktes den Tatsachen und Fakten noch immer gerechter wird als die Stereotype zionistische Propaganda vom arabischen, beziehungsweise palestinensischem Antisemitismus als Ursache für den Terror und Wiederstand palästinensischer Gruppen. Um das festzustellen, reicht eigentlich auch schon der Blick auf die sich aktuell fortsetzende Vertreibung und Vernichtung palästinensischen Lebens in Gaza und im Westjordanland durch Israel. Als eine Rezension bietet Ihr Text wirklich keinerlei Substanz. Verstörend eine solche total einseitige und unterkomplexe Rezension in der TAZ zu finden.

  • Keine sehr überzeugende Kritik. Klingt nach schierer Entrüstung, weil jemand wagt, eigene Dogmen in Frage zu stellen. Bereitschaft, sie zu hinterfragen, klingt anders. Mishra blendet den unmenschlichen Vernichtungswillen der Hamas aus und schiebt alles auf westlichen Rassismus, die Rezensentin blendet die Vorgeschichte aus und schiebt alles auf muslimischen Antisemitismus. Dabei böte das, was die Autorin als "Vergiftung" beschreibt, eine gute Gelegenheit dazu, eigene Dogmen mal aus radikal anderer Sicht zu betrachten und zu überdenken, auch wenn man sie nicht komplett aufgeben will. Insbesondere auch mal darüber nachzudenken, wie diese dogmatisch-ideologische Sicht auf den Konflikt den Realitätssinn verdunkelt, gerade wenn man sie auf der anderen Seite gespiegelt sieht: Das Gift kommt von beiden Seiten.



    Aber was soll es bringen, der sehr einseitig propalästinensischen Interpretation Mishras eine sehr einseitig proisraelische Empörung entgegenzusetzen, die genauso mit ideologischen Versatzstücken arbeitet und entscheidendeAspekte ausblendet wie Mishras Lesart? Dialogunfähigkeit auf beiden Seiten, und genau das ist ja auch das eigentliche Dilemma des Konflikts.

  • Pankaj Mishra hat ein faktenbasiertes Buch über die Entwicklung in Palästina bis zu 7/11 geschrieben und das, wie in seinen anderen herausragenden Büchern, eher aus der Sicht des globalen Südens und seinen Erfahrungen mit dem westlichen Kolonialismus. Er verlässt den hierzulande vorherrschenden Meinungskorridor der Gleichsetzung von Antizionismus, Israelkritik und Antisemitismus. Das gut recherchierte Buch zeigt auch indirekt auf, warum die deutsche Politik uns mit seiner einseitigen Sichtweise mittlerweile in großen Teilen der Welt isoliert hat. Israel war auch nie der arme David, der sich gegen alle verteidigen musste, sondern eigentlich immer der hochgerüstete Goliath, der seit 1936, verstärkt nach der Staatsgründung 1948, ein klares Ziel verfolgt. Etwas mehr objektive Schlüsse aus der verifizierbaren Geschichte der Region würde man auch der Autorin wünschen.

  • Es ist einfach nur traurig, wenn Intellektuelle ihren Intellekt der ideologischen Idiotie unterordnen. Wenn selbst so ein vielgerühmter Denker nicht über den eigenen doofen Dorfzaun schauen mag, bevor er die vermeintliche Welt da draußen mit eigenen Worten schwärzt, dann weiß ich auch nicht, warum solche Machwerke überhaupt noch von einem deutschen Verlag verlegt werden sollten.

  • Es gibt Rezensionen, nach deren Lektüre man sich fragt, ob man dasselbe Buch gelesen hat. Ich habe jedenfalls Zweifel, ob diese wütende Polemik Mishras differenzierter Darstellung gerecht wird. Aber vielleicht macht EB genau den Fehler, den sie Mishras vorwirft: Sie ist auf einen Deutungsrahmen fixiert, in dem der NO-Konflikt am 7.10 beginnt und Hamas allein vom Antisemitismus getrieben ist - als hätte es davor keine Besatzung gegeben, über deren brutale Realität etliche Menschenrechtsorganisationen seit Jahrberichten. Das ist bequem, wenn man über die Mitverantwortung Israels nicht nachdenken möchte - man begibt sich damit aber in ein gefährliches Fahrwasser. Es ist ja kein Zufall, dass Vertreter rechtsextremer Parteien zu einer Antisemitismus -Konferenz nach Israel eingeladen wurden: man teilt das rassistische Weltbild vom Kampf der Zivilisation (als gäbe es diese nur in ihrer westlichen Form) gegen den Islam. Dass man dann in der Linken bzw. im Post/Antikolonialismus seinen primären Feind sieht, ist konsequent. Nur sollte man sich fragen, ob dass wirklich die Konsequenz ist, die man ziehen sollte.

  • Hört sich nach "Ich bin heiliger als du und darf deshalb alles" an. War allerdings noch in keiner Gesellschaft ein Befreiungsinstrument. Wird auch nix.

  • "Denn dem Schock über das von der Hamas begangenen Massaker selbst, folgte der Schock angesichts der Jubelfeiern, die sich in die Straßen der westlichen Migrationsmetropolen ergossen."



    Nachvollziehbar, dass Frau Berger von diesen Ereignissen schockiert wurde, ich denke so ging es den meisten Menschen. Dass in ihrem Text kein Anzeichen von Schockierung über die menschenverachtende, mordende Antwort Israels darauf zu finden ist, diese nicht einmal erwähnt wird, schockiert mich wiederum. Es mag mit dem fehlenden Willen zu tun haben "das eigene Weltbild und Wirklichkeitsverständnis im Lichte von dazu nicht passenden Fakten zur kritischen Disposition zu stellen." Die gut dokumentierten Gräueltaten der IDF, vor und nach dem 7.10., beschweigt sie.

  • Ja, Pankaj Mishra gehört nicht zu den Differenzierenden, allein die Menge seiner Bücher spricht eher dagegen. Die vorliegende Besprechung zeugt allerdings auch nicht von der Bereitschaft, "das eigene Weltbild und Wirklichkeitsverständnis im Lichte von dazu nicht passenden Fakten zur kritischen Disposition zu stellen." Israel ist nicht und wahr nie ausschließlich das nette, sympathische Kibbuz-Experiment, schön mit Techno und Surfen für die, die nicht ganz so sozial visionär drauf sind. Die Besatzung hat sich tief in das gesellschaftliche und politische Gewebe Israels gefressen und es vergiftet (neben den üblichen Giften wie Neoliberalismus).



    Und dass der 07.10. nicht "aus dem Kalten" kam, sondern eine völlig überzogene und illegitime Reaktion auf mehrere Entwicklungen war, sollte nicht vergessen werden: a) die Unterdrückungsmechanismen der Besatzung, b) die Tendenz arabischer Staaten ohne die Palästinenser*innen Verträge mit Israel zu schließen, c) innerpalästinensische Konkurrenzverhältnisse (Hamas, PA, PFPL, Islamischer Dschihad). Das alles verschwindet hinter einem dekontextualisierten/ahistorischen, letztlich kulturrassistisch gedachten "muslimischen Antisemitismus".

  • Es gibt Zeitungsartikel, von denen fühlt man sich vergiftet, wenn man sie liest…

  • Danke für diesen Text.