Wahlverhalten junger Frauen und Männer: Rechte Jungs auf links drehen
Junge Frauen und Männer sind politisch gespalten wie nie. Zeit für eine neue Erzählung des gesellschaftlichen Wandels entlang von Geschlechtergrenzen.
U nter den Hunderten von statistischen Analysen der Bundestagswahl war eine, die republikweit Aufsehen erregen sollte. Die jüngsten Wähler*innen waren in dieser Wahl gespalten wie nie zuvor. Mit großem Abstand machten sie ausgerechnet Linkspartei und AfD zu den Gewinnerinnen der Wahl – zwei Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein genauerer Blick in diese Gruppe zeigt dabei, dass die Polarisierung entlang einer Kluft verläuft: der Geschlechtsidentität.
So ging der Erfolg der Linken hauptsächlich auf das Konto junger Frauen und jener der AfD auf das der jungen Männer: 27 Prozent der Männer unter 25 wählten sie – bei den Frauen waren es nur 15 Prozent. Bei der Linkspartei ist der Unterschied noch größer: Ganze 35 Prozent holte sie bei den Frauen unter 25 – bei den Männern dagegen nur 16 Prozent. Antifaschismus ist weiblich, der Rechtsruck männlich.
Diese Tatsache ist nicht neu, aber dass der Gegensatz in keiner Wähler*innengruppe so extrem ist wie in der jüngsten, ist verblüffend. Ein Blick auf die vorherige Bundestagswahl zeigt jedoch: Schon damals wählten die Jüngsten geschlechtsspezifisch – Frauen unter 25 vor allem die Grünen und Männer die FDP. Die Millionendemos von Fridays for Future und der Wille nach einem wirklichen sozialökologischen Wandel wurden 2021 der Wegbereiter für den Wahlerfolg der Grünen.
Die FDP wiederum schrieb sich „Freiheit“ auf die Plakate und holte damit viele junge Menschen ab, die in der Pandemie das Gefühl hatten, zu viel zurückstecken zu müssen. Dazu entwickelte sich im Internet eine regelrechte Szene privilegierter junger Kleinanleger*innen, die ihr Geld und ihre neu gewonnene Zeit in Trading-Apps investierten. Just ihnen machten die Liberalen mit Freibeträgen und Spekulationsfristen ein attraktives Angebot.
bisher Redakteur im taz-Ressort Meinung und jetzt freier Autor. Er schaut am liebsten dorthin, wo Politik auf Gesellschaft trifft: globale und soziale Gerechtigkeit, Klimawandel & Genderdebatten.
Die typische Grünen-Klientel war 2021 weiblich, jung und antifaschistisch. Dass diese mit den Verrenkungen der Ampel-Grünen nicht mitgingen, kann niemanden überraschen. Statt Klimageld und Kindergrundsicherung einzuführen, schaffte die Ampel die Sektorziele für Treibhausgase ab und brachte mit der Reform der europäischen Asylpolitik Ankerzentren, in denen Geflüchtete an Außengrenzen eingesperrt werden.
Als sich Habeck dann auch noch als Königsmacher für einen Prinzen Merz anbot, der der AfD den Hof macht, dürfte die Wahlentscheidung bei vielen jungen Antifaschistinnen gefallen sein. Im Prinzip ist ihr Kreuzchen an derselben Stelle geblieben, aber die Partei wanderte nach rechts. Umso besorgniserregender ist daher die Radikalisierung der AfD-Wähler.
Sie zogen bei dieser Wahl allen anderen Optionen eine Partei vor, die ganz bewusst die Deportation von Millionen Menschen mit migrantischem Hintergrund in den Raum stellte, deren Frontfrau Adolf Hitler einen Kommunisten nannte und die für ein antisoziales, fossiles Wirtschaftsmodell steht. Was geht in den Köpfen junger Männer vor, dass mehr als ein Viertel von ihnen eine solche Politik wählt?
Polarisierung junger Wähler*innen nicht nur in Deutschland
Sicher gab es gewisse Kontinuitäten zwischen 2021 und 2025: Auch die FDP vertritt eine Wirtschaftspolitik nach dem Motto „The winner takes it all“, folgt dem Credo der „Technologieoffenheit“, sabotiert so jede staatliche Klimapolitik und schmeißt sich verzweifelt an den rechtsextremen Milliardär Elon Musk heran.
Doch ein Blick ins Ausland zeigt, dass das Problem größer ist: Nicht nur in Deutschland, auch in den USA, in China, Großbritannien, Tunesien, Polen und in Südkorea klaffen die Ansichten junger Frauen und Männer zunehmend auseinander, wie eine Analyse der Financial Times 2024 zeigte. Die Bundestagswahl war lediglich Ausdruck einer Entwicklung, die sich in Deutschland schon seit etwa 15 Jahren abspielt.
Die AfD weiß, dass sie aus dieser Stimmung Kapital schlagen kann. Auf Tiktok, X und Instagram posten rechte Kräfte zuhauf Material, das explizit männliche Jugendliche und junge Männer ansprechen soll. Unvergessen der romantische Ratschlag vom zeitweiligen AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, auf Tiktok: „Echte Männer sind rechts – dann klappt’s auch mit der Freundin.“ Das ist natürlich Quatsch.
Doch bei Männern, die noch orientierungslos durch die (Spät-)Pubertät stapfen, von ihren Eltern womöglich in ein archaisches Männlichkeitsbild gezwängt wurden und jetzt mit einer Welt im Wandel konfrontiert sind, verfängt eine solche Erzählung. In dieser vulnerablen Lebensphase werden sie von rechten Kräften direkt angesprochen – nicht nur in Kurzvideos und Internetforen, sondern auch in rechten Aktionsgruppen, die in ländlichen Regionen aus der Verunsicherung junger Männer Kapital schlagen.
Die politische Linke scheitert daran, diese Zielgruppe anzusprechen. Nun klingt die Abschaffung des Patriarchats und männlicher Privilegien nicht nach einem Projekt, das unter jungen Männern mehrheitsfähig ist. Damit droht, dass ausgerechnet jene reaktionären Kräfte die Deutungshoheit über die Transformation an sich reißen. Doch gesellschaftlicher Wertewandel ist kein Nullsummenspiel.
Schaffen wir es, Benachteiligungen für FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) abzuschaffen und die ihnen oft auferlegten starren Rollenbilder zu öffnen, eröffnen sich auch cis Männern neue Möglichkeiten. Schon jetzt ist Männlichkeit vielfältiger denn je, was dabei hilft, den Mental Health Gap, die Lücke bei der psychischen Gesundheit zwischen Männern und Frauen, zu verkleinern und emotional intimere Freundschaften zu schließen. Die Abschaffung von Diskriminierungen schafft effektivere Wissenstransfers, Beziehungen auf Augenhöhe und verhindert soziale Spaltung.
Am Ende steht natürlich nicht das Ziel im Mittelpunkt, eine schöne neue Welt für cis Männer zu schaffen. Doch der Wandel bringt Vorteile für alle, auch für cis Männer. Das zu betonen, kann auf der Suche nach demokratischen Mehrheiten auf jeden Fall nicht schaden.
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