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Wahlverhalten junger Frauen und MännerRechte Jungs auf links drehen

Kommentar von Jannik Grimmbacher

Junge Frauen und Männer sind politisch gespalten wie nie. Zeit für eine neue Erzählung des gesellschaftlichen Wandels entlang von Geschlechtergrenzen.

Stimmauszählung bei der Bundestagswahl 2025 in Berlin Foto: Christophe Gateau/dpa

U nter den Hunderten von statistischen Analysen der Bundestagswahl war eine, die republikweit Aufsehen erregen sollte. Die jüngsten Wäh­le­r*in­nen waren in dieser Wahl gespalten wie nie zuvor. Mit großem Abstand machten sie ausgerechnet Linkspartei und AfD zu den Gewinnerinnen der Wahl – zwei Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein genauerer Blick in diese Gruppe zeigt dabei, dass die Polarisierung entlang einer Kluft verläuft: der Geschlechtsidentität.

So ging der Erfolg der Linken hauptsächlich auf das Konto junger Frauen und jener der AfD auf das der jungen Männer: 27 Prozent der Männer unter 25 wählten sie – bei den Frauen waren es nur 15 Prozent. Bei der Linkspartei ist der Unterschied noch größer: Ganze 35 Prozent holte sie bei den Frauen unter 25 – bei den Männern dagegen nur 16 Prozent. Antifaschismus ist weiblich, der Rechtsruck männlich.

Diese Tatsache ist nicht neu, aber dass der Gegensatz in keiner Wäh­le­r*in­nen­grup­pe so extrem ist wie in der jüngsten, ist verblüffend. Ein Blick auf die vorherige Bundestagswahl zeigt jedoch: Schon damals wählten die Jüngsten geschlechtsspezifisch – Frauen unter 25 vor allem die Grünen und Männer die FDP. Die Millionendemos von Fridays for Future und der Wille nach einem wirklichen sozialökologischen Wandel wurden 2021 der Wegbereiter für den Wahlerfolg der Grünen.

Die FDP wiederum schrieb sich „Freiheit“ auf die Plakate und holte damit viele junge Menschen ab, die in der Pandemie das Gefühl hatten, zu viel zurückstecken zu müssen. Dazu entwickelte sich im Internet eine regelrechte Szene privilegierter junger Klein­an­le­ge­r*in­nen, die ihr Geld und ihre neu gewonnene Zeit in Trading-Apps investierten. Just ihnen machten die Liberalen mit Freibeträgen und Spekulationsfristen ein attraktives Angebot.

Jannik Grimmbacher

bisher Redakteur im taz-Ressort Meinung und jetzt freier Autor. Er schaut am liebsten dorthin, wo Politik auf Gesellschaft trifft: globale und soziale Gerechtigkeit, Klimawandel & Genderdebatten.

Die typische Grünen-Klientel war 2021 weiblich, jung und antifaschistisch. Dass diese mit den Verrenkungen der Ampel-Grünen nicht mitgingen, kann niemanden überraschen. Statt Klimageld und Kindergrundsicherung einzuführen, schaffte die Ampel die Sektorziele für Treibhausgase ab und brachte mit der Reform der europäischen Asylpolitik Ankerzentren, in denen Geflüchtete an Außengrenzen eingesperrt werden.

Als sich Habeck dann auch noch als Königsmacher für einen Prinzen Merz anbot, der der AfD den Hof macht, dürfte die Wahlentscheidung bei vielen jungen Antifaschistinnen gefallen sein. Im Prinzip ist ihr Kreuzchen an derselben Stelle geblieben, aber die Partei wanderte nach rechts. Umso besorgniserregender ist daher die Radikalisierung der AfD-Wähler.

Sie zogen bei dieser Wahl allen anderen Optionen eine Partei vor, die ganz bewusst die Deportation von Millionen Menschen mit migrantischem Hintergrund in den Raum stellte, deren Frontfrau Adolf Hitler einen Kommunisten nannte und die für ein antisoziales, fossiles Wirtschaftsmodell steht. Was geht in den Köpfen junger Männer vor, dass mehr als ein Viertel von ihnen eine solche Politik wählt?

Polarisierung junger Wäh­le­r*in­nen nicht nur in Deutschland

Sicher gab es gewisse Kontinuitäten zwischen 2021 und 2025: Auch die FDP vertritt eine Wirtschaftspolitik nach dem Motto „The winner takes it all“, folgt dem Credo der „Technologieoffenheit“, sabotiert so jede staatliche Klimapolitik und schmeißt sich verzweifelt an den rechtsextremen Milliardär Elon Musk heran.

Doch ein Blick ins Ausland zeigt, dass das Problem größer ist: Nicht nur in Deutschland, auch in den USA, in China, Großbritannien, Tunesien, Polen und in Südkorea klaffen die Ansichten junger Frauen und Männer zunehmend auseinander, wie eine Analyse der Financial Times 2024 zeigte. Die Bundestagswahl war lediglich Ausdruck einer Entwicklung, die sich in Deutschland schon seit etwa 15 Jahren abspielt.

Rechte Kräfte sprechen männliche Jugendliche und junge Männer in vulnerablen Lebensphasen direkt an

Die AfD weiß, dass sie aus dieser Stimmung Kapital schlagen kann. Auf Tiktok, X und Instagram posten rechte Kräfte zuhauf Material, das explizit männliche Jugendliche und junge Männer ansprechen soll. Unvergessen der romantische Ratschlag vom zeitweiligen AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, auf Tiktok: „Echte Männer sind rechts – dann klappt’s auch mit der Freundin.“ Das ist natürlich Quatsch.

Doch bei Männern, die noch orientierungslos durch die (Spät-)Pubertät stapfen, von ihren Eltern womöglich in ein archaisches Männlichkeitsbild gezwängt wurden und jetzt mit einer Welt im Wandel konfrontiert sind, verfängt eine solche Erzählung. In dieser vulnerablen Lebensphase werden sie von rechten Kräften direkt angesprochen – nicht nur in Kurzvideos und Internetforen, sondern auch in rechten Aktionsgruppen, die in ländlichen Regionen aus der Verunsicherung junger Männer Kapital schlagen.

Die politische Linke scheitert daran, diese Zielgruppe anzusprechen. Nun klingt die Abschaffung des Patriarchats und männlicher Privilegien nicht nach einem Projekt, das unter jungen Männern mehrheitsfähig ist. Damit droht, dass ausgerechnet jene reaktionären Kräfte die Deutungshoheit über die Transformation an sich reißen. Doch gesellschaftlicher Wertewandel ist kein Nullsummenspiel.

Schaffen wir es, Benachteiligungen für FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) abzuschaffen und die ihnen oft auferlegten starren Rollenbilder zu öffnen, eröffnen sich auch cis Männern neue Möglichkeiten. Schon jetzt ist Männlichkeit vielfältiger denn je, was dabei hilft, den Mental Health Gap, die Lücke bei der psychischen Gesundheit zwischen Männern und Frauen, zu verkleinern und emotional intimere Freundschaften zu schließen. Die Abschaffung von Diskriminierungen schafft effektivere Wissenstransfers, Beziehungen auf Augenhöhe und verhindert soziale Spaltung.

Am Ende steht natürlich nicht das Ziel im Mittelpunkt, eine schöne neue Welt für cis Männer zu schaffen. Doch der Wandel bringt Vorteile für alle, auch für cis Männer. Das zu betonen, kann auf der Suche nach demokratischen Mehrheiten auf jeden Fall nicht schaden.

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Redakteur Meinung
Gesellschaft, Klimapolitik & politisches Klima
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10 Kommentare

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  • Es ist halt den meisten Frauen klar, dass Rechts waehlen immer mit der Einschraenkung ihrer Rechte einhergeht, waehrend es fuer Maenner positive Konsequenzen hat.



    Rechts bedeutet: der Mann hat das Sagen. Welche Frau, die einer totalen patriarchalen Hirnwaesche entkommen konnte, will denn diese Zustaende? Frauen haben nach tausenden von Jahren der Unterdrueckung die Schnauze voll davon. Das hindert sie jedoch nicht daran trotzdem zu versuchen, die Welt, die von Maennern zerstoert wurde, noch zu retten.



    Im Gegensatz dazu scheinen junge Maenner schon den Mut zum Weiterleben zu verlieren, wenn mehr Frauen als Maenner das Abitur schaffen. Das passiert, wenn man von der Gesellschaft von Anfang an mehr oder minder subtil suggeriert bekommt, dass man als Mann eine hoehere Wertigkeit hat als eine Frau. Solange sich das nicht aendert, sehe ich schwarz fuer Maenner UND Frauen.

  • Möglicherweise schwingt da die alte Xenophobie des Patriarchats mit. Schon während der Ruhrbesetzung 1923-25 war ein Mobilisierungsargument, dass farbige Soldaten deutsche Mädchen vergewaltigen würden. Nach 45 wurden Frauen, welche sich mit Besatzern einließen, sowohl in Ost als auch West gesellschaftlich stigmatisiert. Um von den Nazis mit ihrer Rassenschande gar nicht erst anzufangen.



    Und in unserer Zeit mit Incelculture, wo ja die eigene soziale Unfähigkeit den Frauen angelastet wird, ist es relativ einfach verunsicherte Jungs/Männer mit der Erzählung, der Ausländer nimmt dir die potentielle Freundin weg, einzufangen.

  • Bevor „Zeit für eine neue Erzählung des gesellschaftlichen Wandels“ ist, sollte man klären, was gesellschaftlicher Wandel überhaupt sein soll, im Gegensatz zu Moden und Trends sein soll. Gesellschaftlicher Wandel bezeichnet die Veränderungen, die eine Gesellschaft über einen längeren Zeitraum erfährt und ist keine Sache für Trend- oder Meinungsforscher.

    Richtet man den Blick auf die Geschlechtergrenzen, dann lässt sich vielleicht Folgendes sagen:



    - Die Grenze zwischen den binären, biologischen Geschlechtern bleibt bestehen und wirkt weiterhin auf das Verständnis sozialer Geschlechterrollen AKA Gender.



    - Die Trennung zwischen diesen Rollen wurde teils kleiner, teils hat sie sich verschoben.



    - Dritte, queere Geschlechter haben mehr Akzeptanz und Sichtbarkeit erfahren. Dadurch ergibt sich eine Notwendigkeit Vorstellungen von Gender neu und differenzierter zu fassen.



    - Die Interpretation von Gender und wie unterschiedliche Gendervorstellungen gesellschaftlich berücksichtigt werden, bleibt dynamisch. Darin bildet sich (i) die Diversifizierung der Gesellschaft nach 1968 ab und (ii) sind Genderfragen heute akzeptierter Teil bei der Suche nach gesellschaftlichen Normorientierungen.

  • Vielleicht ist der FLINTA Begriff auch ein Teil davon, warum junge Männer an den Rechten anderer Geschlechter wenig Interesse haben. Vorher offene Gruppen wurden geschlossen. Männern wird die Schuld an so ziemlich allem gegeben, sie werden nur als Menschen dargestellt, die ein leichtes Leben führen, was in den schweren Zeiten gerade auch nicht der Fall ist. Wie also will man junge Männer für einen Zweck begeistern, bei dem sie nicht willkommen sind und an den Rand gestellt werden?

    Auf der anderen Seite liegt es natürlich in beiden Lagern auch an sozialen Medien.



    Ich vermute aber bei jungen Männern vor allem z.B. Fußballvereine. Ich habe dann mal testweise versucht, männlich vermutete Pöbler, die sich misogyn, fremdenfeindlich oder queerfeindlich geäußert haben, auf Fußball anzusprechen, wer geantwortet hat hatte da Interesse dran oder hatte schon ohne Gespräch Anzeichen auf dem Profil. Ich kam vor allem darauf, weil ein kleiner Fußballverein in der Nähe gerne mal entsprechenden Gesprächsstoff zu haben schien.

  • Das Problem kommt mMn daher, dass junge Männer zuviel (progressive) Moral eingetrichtert bekommen, bevor sie echte Kompetenzerfahrungen machen.

    Zum Beispiel sind Frauenquoten halt ziemlich unattraktiv für junge Männer. Man muss sich selbst zurücknehmen, damit andere es besser haben, noch lange bevor man selbst seinen Platz im Leben gefunden hat (lies: sich selbst ernstgenommen hat). Das Ganze weil einem seit einer Ewigkeit eingetrichtert wird, dass man es als Mann ohnehin viel einfacher hat. Wohlgemerkt, vor dem Hintergrund, dass die Abiturientinnenquote mittlerweile bei über 57% liegt.

    Die Lebensrealität vieler junger Männer ist nunmal, dass sie nicht auf der Gewinnerseite des Lebens stehen. Diese Jungs fühlen sich von linken, progressiven Erzählengen halt überhaupt nicht mehr aufgegriffen. Junge Männer brauchen die Erfahrung, dass man an einer Niederlage wachsen kann, dass man an sich arbeiten und innerhalb dieses Prozesses der Kompetition sich Kompetenzen und einen Platz im Leben aneignen kann. Die progressive Story heutzutage ist: "Nimm dich gefälligst zurück, du bist ein weisser cis-Mann und hast es eh leicht." Not sexy. Not a bit.

  • Männer wählen die AfD, weil sie politischen Wandel wollen. Die Linke möchte mit den rechten Parteien SPD und Grünen regierungsfähig sein, da ist kein Wandel zu erkennen.

    Oben stehender Artikel artikuliert, dass Männer links wählen sollen, damit "alles außer Männern" (Feminismus war mal "Frauenrechte", heute sind Frauen nur noch "mitgemeint"... o tempora, o mores) weniger benachteiligt wird. Als traditionell (Elternhaus, Bildung) linker Mann kriege ich bei der Argumentation Kopfschmerzen.

  • These: Junge Männer sind rebellischer als junge Frauen. In einer linksliberalen Leitkultur rebelliert mann eben, in dem rechts gewählt wird. Je mehr der saturierte Mainstream, also der besserbürgerliche Biosiegelkäufer, ZON und taz-Leser, den rechten Untergang beschwört, um so besser funktioniert der Protest. Sollten eigentlich alte Linke wissen. Was haben unsere Eltern über den Kommunismus geschrien, unser politischer Aktionismus war auch nicht gerade vorzeigedemokratisch. Ich erinnere an Relativierung des Stalinismus, Glorifizierung des Maoismus, breites Sympatisantentum mit der RAF...

    • @fleischsalat:

      Ihre These dürfte einen Teil des Phänomens erklären. Sehr schön.

  • Vielleicht sollte man erst einmal direkt bei den jungen Männern und auch männlichen Erwachsenen bis etwa 30 herausfinden, was diese am rechten Umfeld besonders anzieht. Diese sind ja nicht mehr oder minder Intelligent als gleichaltrige Frauen. Und nur die Faszination von Waffen/Militär wird es wohl bei den wenigsten sein.



    Dann sollte das Ziel aber sein, diese in die Mitte der gesellschaft zu holen und dort zu binden. Wenn man diese vom rechten zum linken Rand "bekehrt" kann man es auch ganz sein lassen. Dann wird aus dem kriminellen Faschisten nur der kriminelle Antifaschist.

  • Wir müssen möglichst schnell eine direkte Ansprache an junge Männer finden. Vielleicht haben wir ja doch etwas mehr für diese Gruppe im Angebot als zukünftig emotional intimere Freundschaften schließen zu können? Das sind ja nichtmal ernsthafte Kategorien in denen die meisten Männer überhaupt denken. Mit solchen Argumenten macht man sich doch lächerlich.