Verhaftung von Istanbuls Bürgermeister: Zeit der Skrupellosigkeit
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan lässt seinen stärksten Rivalen Ekrem Imamoglu verhaften. Damit sollte er nicht durchkommen dürfen.

D ie Demokratie in der Türkei stirbt auf Raten. Am Mittwochmorgen wurde Ekrem İmamoğlu, der größte Konkurrent des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, von der Polizei verhaftet. Sie nahm den beliebten Bürgermeister von Istanbul zusammen mit mehr als 100 weiteren Menschen, darunter Journalisten und Geschäftsleute, fest. Zugleich wurden Kundgebungen verboten und Social-Media-Kanäle eingeschränkt, sogar Metrostationen und Straßen gesperrt.
Völlig zu Recht nennt İmamoğlus Partei CHP, die größte Oppositionspartei der Türkei, das Vorgehen einen Putschversuch. Wie demokratisch die Türkei jemals war und überhaupt noch ist, darüber kann man sich streiten. Der 70-jährige Erdoğan regiert die Türkei seit mehr als 20 Jahren – seit 2003 als Ministerpräsident, seit 2014 als Staatspräsident. Seitdem hat er Justiz, Armee und die Medien immer mehr unter seine Kontrolle gebracht.
Nun will er seinen aktuell größten Widersacher mit konstruierten Vorwürfen aus dem Weg räumen. Dass es trotz aller Verbote nun Proteste gegen sein skrupelloses Vorgehen gibt, zeigt, dass die Demokratie in der Türkei noch nicht ganz verloren ist. İmamoğlus Verhaftung kommt nicht völlig überraschend. In den vergangenen Monaten wurden bereits mehrere führende Kommunalpolitiker seiner Partei verhaftet, und am Dienstag wurde İmamoğlu sogar der Uni-Abschluss aberkannt, ohne den er nicht für die Präsidentschaft kandidieren kann.
Dem autoritären Trend fügen
Die nächsten Präsidentschaftswahlen stehen in der Türkei zwar erst in drei Jahren an. Doch Erdoğan darf nach zwei Amtszeiten eigentlich nicht noch einmal antreten. Um an der Macht bleiben zu können, muss er die Verfassung ändern lassen. Zugleich will er seinen Kontrahenten rechtzeitig aus dem Rennen nehmen. Denn İmamoğlu ist in Umfragen derzeit populärer als er. Deshalb ist Erdoğan jedes Mittel recht, um seinen Kontrahenten zu stoppen.
Erdoğan Vorgehen fügt sich in den autoritären Trend, der immer mehr Demokratien erfasst hat. Wir leben in einer neuen Zeit der Ruchlosigkeit, hat Außenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf Trump und die Ukraine gesagt. Das gilt auch für andere Länder, in denen Populisten zunehmend autokratisch regieren, nicht zuletzt die Türkei.
Deutschland kann dieser Ruchlosigkeit wenig entgegensetzen. Es hat kaum Mittel, um Erdoğan in die Schranken zu weisen. Aber es sollte es nicht nur bei lahmen Ermahnungen belassen. İmamoğlus Verhaftung ist mehr als ein „Rückschlag für Demokratie“ in der Türkei, wie es im Auswärtigen Amt heißt. Wenn Erdoğan damit durchkommt, dann wäre es ihr Todesstoß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!