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„Schüler können einen Gast auch bitten zu gehen“

In Hamburg wurden vier Wahl-Diskussionen in Schulen aus Sorge vor Konflikten abgesagt. Damit vergeben Schulen eine wichtige Lerngelegenheit, warnt Bildungsreferent Christoph Berens

„Proteste nicht Foto: nutzen, um so eine Veranstaltung abzusagen“: Ida-Ehre-Schule in Hamburg 2019Foto: Christian Charisius

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Berens, gehört der Wahlkampf um Hamburgs Bürgerschaft auch in die Schule?

Christoph Berens: Ja, unbedingt. Wann immer eine Schule Interesse hat, zu Podiumsdiskussionen einzuladen, versuchen wir als Landesinstitut für Lehrerbildung, das zu unterstützen.

taz: Aber zahlreiche Podiumsdiskussionen in Schulen wurden abgesagt.

Berens: Ich weiß von vier Absagen aus Sorge vor inneren und äußeren Konflikten und Anfeindungen.

taz: Fanden Sie das richtig?

Berens: Das vermeintlich einfache Absagen ist problematisch, denn Demokratie lebt von Diskussion und Widerspruch. Wenn Schulen sich zurückziehen, überlassen sie das Feld jenen, die den öffentlichen Diskurs mit Halbwahrheiten und gezielter Desinformation steuern wollen.

taz: Was sollten die Schulen tun?

Berens: Ich habe schon mehrfach erlebt, dass die Demokratiebildung durch so eine gut vor- und nachbereitete Diskussion sehr gefördert werden kann. Stärkend ist so etwas, wenn Sie im Vorfeld an der Schule über rote Linien sprechen, darüber, was vom Grundgesetz gedeckt ist und was nicht. Dann können die Schüler einem Podiumsgast auch klare Grenzen aufzeigen, wenn dagegen verstoßen wird. Schulen können im Zweifel sogar vom Hausrecht Gebrauch machen und einen Gast höflich bitten, zu gehen. Natürlich möchten die Schulen zum Beispiel einem als rechtsradikal bekannten Politiker keine Bühne geben. Aber wir möchten Mut machen, sich mit verschiedensten Positionen auseinanderzusetzen und so jemandem Fragen zu stellen, Reflektionsebenen einzubauen und raus aus der eignen Blase zu kommen.

taz: Wird denn an Schulen mit AfD-Politikern diskutiert?

Berens: Ja, ganz oft. Das ist die Regel. Häufig passiert es, dass alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien eingeladen werden und dann gar nicht alle kommen. So ein leerer Stuhl zeigt auch etwas. Häufig zeigt sich, dass die Schüler besser vorbereitet sind als eine Caren Miosga in ihrer Polittalkshow, und viel direkter und inhaltlich fundierter fragen.

taz: Wie sähe so eine rote Linie denn zum Beispiel aus?

Berens: Ein Beispiel für eine populistische Verzerrung ist die bewusste Fehlinterpretation von Kriminalstatistiken im Kontext von Migration. Wenn beispielsweise behauptet wird, dass „kriminelle Ausländer“ für einen dramatischen Anstieg von Gewalttaten verantwortlich seien, ist dies oft nicht nur statistisch unhaltbar, sondern auch ein bewusstes Framing, um bestimmte Gruppen zu stigmatisieren. Studien zeigen, dass Verdachtsmeldungen gegen Menschen mit Migrationshintergrund häufiger erfolgen, auch wenn sie nicht öfter straffällig werden als andere Bevölkerungsgruppen. Hilfreich ist, wenn man sich im Unterricht die Argumente der Parteien schon vorher anschaut und die Schüler den Faktencheck schon vorher machen. Das hat einen hohen Wert an politischer Bildung.

taz: Das klingt anspruchsvoll.

Berens: Wir wissen, dass man das Schülerinnen und Schülern zutrauen kann, jedenfalls wenn sie in der zehnten, elften Klasse sind und selber bald wählen dürfen. Man muss solche Veranstaltungen aber langfristig vorbereiten. Wenn man es zu kurzfristig macht, ist die Gefahr groß, dass die Diskussionen zu sehr polarisieren. Wir als Landesinstitut haben bereits 2020 die Broschüre „Positioniert Euch! Was politische Bildung darf“ veröffentlicht und auch die Schulbehörde steht hier mit Rat und Tat zur Seite.

taz: Stehen in diesem Heft auch die roten Linien drin?

Berens: Wir ermuntern die Schulen, selber diese Diskussion zu führen, wo die sind. Das kann ein Thema mit unglaublichem Lerneffekt sein. Natürlich ist unser Grundgesetz die Maßgabe. Aber an einer Stadtteilschule im Hamburger Westen könnte diese rote Linie anders aussehen als an einem Gymnasium in Harburg.

Foto: privat

Christoph Berens52, ist Referent für Demokratiebildung am Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung sowie Organisator des Bertini-Preises für Zivilcourage.

taz: Warum?

Berens: Es gibt unterschiedliche Interessengruppen, aber es gibt keine Blaupause, sondern in jeder Schule kann die Diskussion darüber ganz anders ablaufen. Sie kann auch dazu führen, dass die Opposition gegen die Einladung einer ex­trem rechten Partei so stark ist, dass man umplanen muss.

taz: Haben Sie Verständnis für Schulleitungen, die solche Diskussionen dann absagen?

Berens: Ja. Bevor so ein Konflikt innerhalb der Schule eskaliert, ist es besser, dass die Schulleitung das nicht durchboxt. Man kann auch auf die Meta-Ebene gehen. Die politischen Zeiten, in denen wir leben, sind auch für die Lehrkräfte neu. Was ich nicht teile, ist die Sorge vor Eskalation durch außerschulische Proteste. Man sollte diese nicht kriminalisieren und nutzen, um so eine Veranstaltung abzusagen. Lehrkräfte müssen in ihrer Ausbildung und durch gezielte Fortbildungen dafür gerüstet werden, Populismus nicht nur zu entkräften, sondern ihn auch als Herausforderung zu begreifen, politische Bildung noch wirksamer zu gestalten. Nur so kann die Demokratie nachhaltig gestärkt werden. Auch Protest dagegen gehört dazu.

taz: Was können Schulen nach so einer Absage tun?

Berens: Denkbar ist, dass man Alternativ-Formate anbietet. Neben Parteien können auch Experten und Fachleute eingeladen werden, um über die Themen zu reden, die die Parteien ansprechen. Dies kann eine neutralere und sachlichere Diskussion ermöglichen und den Schülern helfen, die Positionen der Parteien besser zu verstehen und einzuordnen. Denkbar ist auch, dass Schulen sich auch eine externe Moderation einkaufen oder die Veranstaltung außerhalb der Schule organisiert wird.

„Häufig zeigt sich, dass die Schüler besser vorbereitet sind als eine Caren Miosga in ihrer Polittalkshow, und viel fundierter fragen“

taz: Ein Tipp lautet, nicht die Schule, sondern der Elternrat sollte zur Podiumsdiskussion einladen. Dann müsste man nicht alle Parteien einladen.

Berens: Es wäre dann keine Veranstaltung der Schule. Und wenn man zu schnell diese Karte zieht, verschenkt man eine Lerngelegenheit.

taz: Was wäre Ihr Tipp?

Berens: Schulen sollten transparent kommunizieren, warum sie alle Parteien einladen und Eltern, Lehrkräfte und Schüler in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Dies kann durch Informationsveranstaltungen, Elternabende und schulinterne Diskussionen geschehen. Schüler müssen mitgenommen und informiert werden, damit sie sich sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, ohne das Gefühl zu haben, einem unfairen rhetorischen Spiel ausgeliefert zu sein. Mit guter Vorbereitung und Fortbildungen dürfte das kein Thema sein.

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