Renaissance der Linkspartei: Wiederauferstehung einer Totgesagten
Die Linke galt schon als erledigt, nun erlebt sie einen Aufschwung. Wider Erwarten könnte sie sogar deutlich die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.
![Heidi Reichinnek (M), Spitzenkandidatin von der Partei Die Linke, lässt sich bei einem politischen «Speed-Dating» der Linken Niedersachsen in der Innenstadt von Hannover mit zwei Teilnehmern fotografieren. Heidi Reichinnek (M), Spitzenkandidatin von der Partei Die Linke, lässt sich bei einem politischen «Speed-Dating» der Linken Niedersachsen in der Innenstadt von Hannover mit zwei Teilnehmern fotografieren.](https://taz.de/picture/7536620/14/37698164-1.jpeg)
U nterhaltungen über die Linkspartei, das waren vor noch nicht allzu langer Zeit Gespräche in der Vergangenheitsform. Über eine Partei mit einer – die Vorläuferinnen mitgerechnet – sehr langen Vergangenheit, aber ohne Zukunft. Über eine Partei in ihren letzten Zuckungen. Die Linke – das schien ein klarer Fall für den Insolvenzverwalter zu sein. Die Frage war nur noch, ob das unter Denkmalschutz stehende Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin demnächst zum Museum wird oder in die Fänge irgendeines Immobilienhais gerät.
Inzwischen spricht vieles dafür, dass es anders kommt. Denn die bereits totgesagte Linke ist die Überraschung des Bundestagswahlkampfs. Die Partei wird geradezu überrannt von Neumitglieder:innen. Ihre Spitzenkandidat:innen Heidi Reichinnek und Jan van Aken füllen die Säle. Das gilt auch für die drei „Silberlocken“ Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch, die auf ihre alten Tage einen zweiten politischen Frühling erleben.
Und in der Sonntagsfrage, in denen die Linke lange eingemauert unter 5 Prozent rangierte, überwindet sie seit Ende Januar plötzlich bei einem Institut nach dem anderen wieder die psychologisch wichtige Marke. „Irgendwie sind wir gerade cool, wir wissen auch nicht genau, warum“, beschreibt van Aken das unerwartete Comeback.
Es dürfte ein Mix sein, der für diese Renaissance verantwortlich ist. Offenkundig bedient die Linke zurzeit das Bedürfnis vieler, vor allem jüngerer Menschen, dem gesellschaftlichen Rechtsdrift und der zunehmenden sozialen und humanitären Kälte etwas entgegenzusetzen.
Das war vor nicht allzu langer Zeit noch anders. Denn die fehlende Kraft, nicht schon bei der Initiierung der sogenannten Sammlungsbewegung „Aufstehen“ 2018 den Bruch mit dem nationalpopulistischen „linkskonservativen“ Flügel um Sahra Wagenknecht vollzogen zu haben, hat die Linke viele Sympathien gekostet. Wer findet schon eine dauerstreitende Partei attraktiv, von der man nicht mehr weiß, wofür sie steht
Gleiches Programm, neue Ansprache
Verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, ist nicht einfach. Der im vergangenen Oktober neugewählten Parteiführung um Ines Schwerdtner und Jan van Aken scheint das aber gelungen zu sein. Entscheidend dazu beigetragen haben dürfte ein Wandel des Politikstils. Das Programm hat sich nicht geändert, aber die Ansprache: Die Linke tritt nicht nur geschlossener auf, vor allem prangert sie angriffslustiger gesellschaftliche Missstände an – ohne dabei verbissen und verbiestert zu wirken. Schwerdtner hat dafür den Begriff der „revolutionären Freundlichkeit“ gefunden. Selbst die nicht unbedingt wenigen Miesepeter und Stinkstiefel, die es immer noch in der Partei gibt, halten sich gegenwärtig daran. Mit ihrer Mietwucher-App und ihrem Online-Heizkostencheck, mit der Mieter:innen sich gegen Abzocke wehren können, versucht die Linke zudem zu demonstrieren, dass sie sich nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen bemüht.
Dass die Linke inzwischen in den Umfragen bei 6 Prozent oder darüber liegt, hat noch einen anderen, auf den ersten Blick paradox klingenden Grund: Mit der „Mission Silberlocke“ der drei Altvorderen Gysi, Ramelow und Bartsch ist es ihr gelungen, die Botschaft auszusenden, dass es für einen Wiedereinzug in den Bundestag gar nicht darauf ankommt, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Das Kalkül: Gelingt es, schwankenden Wähler:innen die Angst zu nehmen, ihre Stimme an eine aussichtslos erscheinende Partei zu „verschenken“, dann wirkt sich das entsprechend positiv auf das Zweitstimmenergebnis aus. Die aktuellen Umfragen sprechen dafür, dass dieser Plan aufgehen könnte.
Dabei ist die „Mission Silberlocke“ vor allem eine Suggestion. Denn trotz gegenteiliger Bekundungen war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass eigentlich nur Gysi relativ sicher damit rechnen kann, seinen Wahlkreis in Berlin-Köpenick zu gewinnen. Die Kandidatur von Bartsch in Rostock galt und gilt hingegen als aussichtslos. Und für Ramelow gibt es erst durch den Aufschwung der vergangenen Wochen eine realistische Chance, in Erfurt und Weimar vorn zu liegen. Sicher ist das jedoch keineswegs. Ob Sören Pellmann in Leipzig gewinnen kann, ist ebenso offen. Es ist also gut möglich, dass es letztlich nur zu einem jener drei Grundmandate reicht, die zur Aushebelung der Fünf-Prozent-Hürde erforderlich wären.
Hälfte der Mitglieder ist neu
Wie kurios die aktuelle Situation jedoch ist, zeigt sich daran, dass gleichzeitig auch ein besseres Abschneiden, als die Partei bislang selbst gedacht hatte, nicht mehr gänzlich undenkbar erscheint. Denn mittlerweile haben Ines Schwerdtner, Pascal Meiser und vielleicht sogar noch Ferat Koçak in ihren Berliner Wahlkreisen zumindest eine Außenseiterchance. Der Wahlkampf hat eine schwer einzuschätzende Eigendynamik.
Auferstanden aus Ruinen? Das zu konstatieren, wäre verfrüht. Dass die Linke von rund 50.000 Mitgliedern Ende 2023 auf jetzt mehr als 85.000 angewachsen ist, ist indes beeindruckend. Die Abgänge gegengerechnet, bedeutet das, dass etwa die Hälfte der Mitglieder neu in der Partei sind. Aber wie lange dieser Hype anhält, lässt sich nicht vorhersagen. Außerdem wird sich die Linke weiter verändern müssen, damit es gelingen kann, die vielen Neuen auf Dauer zu integrieren. Das wird nicht konfliktfrei sein.
Entscheidend für alles Weitere ist, dass die Linkspartei wieder den Sprung in den Bundestag schafft. Ausgemacht ist das noch nicht. Bei Umfragewerten zwischen 6 und 7 Prozent ist die Fehlertoleranz viel zu groß, als dass nicht doch noch alles für sie schiefgehen kann. Dann könnten die inneren Destruktionskräfte schnell wieder die Oberhand gewinnen. Der Genosse Trend spricht allerdings für die Linke. Jedenfalls ist es nicht mehr absurd vorauszusagen, dass sie am 23. Februar die Fünf-Prozent-Hürde wird überwinden können. Möglicherweise sogar deutlich.
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