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Feministischer Reflex trifft auf Realpolitik

Mehr Botschafterinnen, mehr Geld für Gleichstellung der Geschlechter und mehr Rhetorik: Die feministische Außen- und Entwicklungspolitik hat ein Zeichen gesetzt. Bei politischen Entscheidungen über Rüstung, Gasdeals oder Haushalt zeigen sich die Schwierigkeiten

Nichts sollte ohne die Zivilgesellschaft vor Ort gehen: Entwicklungsministerin Svenja Schulze bei einer Kakao-Kooperative in Côte d’Ivoire Foto: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Von Leila van Rinsum

Ein feministischer Reflex sollte da sein. Frauen und strukturell benachteiligte Gruppen sollten immer mitgedacht, Machtstrukturen verändert werden. Als die beiden Ministerinnen Annalena Baerbock (Grüne) und Svenja Schulze (SPD) im März 2023 ihre jeweiligen Leitlinien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik vorstellten, legten sie die Messlatte hoch. Aber was wurde aus ihrer „feministischen Außen- und Entwicklungspolitik“?

Den Strategien liegen die drei „R“ zugrunde: Rechte, Repräsentanz und Ressourcen von Frauen und Minderheiten sollen gestärkt werden. Dafür sollte es mehr Geld für entsprechende Projekte geben. Und auch bei allen anderen langfristigen Entwicklungsprojekten und der humanitären Nothilfe müssen Frauen mitgedacht werden. Dafür sollten bisher benachteiligte Gruppen und die Zivilgesellschaft im Globalen Süden stärker einbezogen und gefördert werden. In den eigenen Häusern sollten mehr Frauen in Führungspositionen gebracht, koloniale Vergangenheit, rassistische Denkmuster und das Machtgefälle zwischen Globalen Süden und Norden kritisch reflektiert werden.

Papst Franziskus riet Baerbock etwa, „immer viele Frauen an seiner Seite zu haben“. Denn der Vatikan-Chef hatte auf der UN-Klimakonferenz einen Text abgelehnt, dass Frauen besonders gegen die Folgen des Klimawandels geschützt werden müssten. Und als sich der Chef eines Wirtschaftsverbands und der indische Botschafter in Berlin auf einem Panel einig waren, dass es vor allem auf Bildung für Mädchen ankomme, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, konterte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD): „Es tut mir leid, aber Bildung ist nicht genug.“ Sie sprach aus eigener Erfahrung: „Auch in Deutschland sind gut ausgebildete Frauen noch nicht an der Spitze der Unternehmen. Es geht um die Strukturen der Macht.“

Die Strategien aus den beiden Ministerien hätten „ein Fenster geöffnet, um neue Maßstäbe an die Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit anzusetzen und ihre Einhaltung auch einzufordern“, sagt Leonie Stamm. Sie forscht zu feministischer Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). An den „großen Linien der Außenpolitik“, zeigten sich jedoch die Schwierigkeiten: „In den letzten zwei Jahren gab es immer wieder Entscheidungen und auch Richtungsentscheidungen, die absolut nicht zu den Prinzipien einer feministischen Außenpolitik gepasst haben.“ Etwa Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, Israel im Kontext des Gaza-Krieges, Gasdeals mit Katar. Und auch die Kürzungen von Mitteln bei der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe bei gleichzeitig massiv steigenden Verteidigungsausgaben.

Teil des Problems: Es gibt keine ressortübergreifende Strategie der Bundesregierung. Damit gelten die feministischen Ziele eben nur für das Außen- und das Entwicklungsministerium. „Außenpolitische Entscheidungen werden aber bei Weitem nicht nur im Auswärtigen Amt getroffen. Das hat natürlich Einfluss auf die Kohärenz dieses feministischen Reflexes, wie er in den Leitlinien genannt wird“, sagt Stamm.

Und wie sieht es im eigenen Haus aus? Generell sei das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit im Entwicklungsministerium und im Auswärtigen Amt gestiegen, erklärt die Forscherin. „Das zeigt sich zum Beispiel bei Fachgesprächen oder geförderten Projekten, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen.“ Das Auswärtige Amt hat in der kurzen Zeit seine Botschafterinnen aufgestockt: Lag ihr Anteil 2021 noch bei 23 Prozent, wird mittlerweile rund jede dritte Auslandsvertretung von einer Frau geleitet. Das ist aber laut Auswärtigem Amt noch lange nicht genug: „Diese Zahl kann uns nicht zufriedenstellen, wir müssen den Weg zur Parität weiter mit aller Kraft gehen“, heißt es von dort.

Nach dem Women in Diplomacy Index lag Deutschland 2023 im Mittelfeld auf Platz 55 im internationalen Vergleich. Am besten schnitt Kanada mit 51 Prozent Diplomatinnen ab, dicht gefolgt von Andorra, den Malediven, Monaco, Finnland und Ghana.

In den Leitlinien war außerdem festgelegt, dass 85 Prozent der Projektmittel gendersensibel eingesetzt werden sollen. Das heißt, dass Frauen mitgedacht werden. Sodass etwa beim Wiederaufbau eines zerstörten Dorfes Brunnen gut zu erreichen sind und kein Sicherheitsrisiko für Frauen besteht, die Wasser von dort holen.

Die Zahlen für 2024 liegen laut Außenministerium noch nicht vor: „Nach einem aktuellen Zwischenstand wurden rund 70 Prozent der Fördermittel gendersensibel“ eingesetzt, 4 Prozent gendertransformativ verwendet. Angestrebt waren 8 Prozent. Hierbei geht es um Mittel, die Geschlechtergerechtigkeit oder die Teilhabe von Frauen als Ziel haben. Für das BMZ stellte Svenja Schulze auf der Bundespressekonferenz im Dezember Zahlen vor. Während 2022 noch 60 Prozent aller Projekte zur Gleichstellung der Geschlechter beitrugen, werden es 2024 „etwas über 90 Prozent sein“, so Schulze.

Zentral im feministischen Konzept ist die Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort. Denn diese wissen, welche Veränderungen es braucht, und sie sind in der Bevölkerung vernetzt. Nur mit ihnen kann es einen nachhaltigen Wandel geben. Sie sind aber auch am Ende des Geldflusses, erhalten oft nur projektbezogene Finanzierungen über Drittorganisationen. Häufig sind die Anträge kompliziert und Erfolge nicht immer messbar. Viele Ak­ti­vis­t*in­nen erfahren Repressionen wegen ihrer Arbeit. „Das BMZ prüft Formate für direkte Beteiligung und Mechanismen zur Finanzierung lokaler Zivilgesellschaft, von Graswurzelorganisationen sowie Aktivist*innen“, heißt es dazu in Schulzes Strategie. Eine Ministeriumssprecherin sagte der taz, es gebe dazu bereits Pilotvorhaben. Außerdem würden internationale NGOs mit Sitz im Globalen Süden direkt gefördert.

Zumindest in der Erarbeitung der Leitlinien setzten beide Häuser auf Input von Organisationen in Deutschland und dem Globalen Süden. „Hier haben wir einen Wandel gesehen, dass ihre Expertise mehr berücksichtigt wird und es vielfältigere Stimmen gibt.“ Es gebe aber auch Kritik, wie besonders die Konsultation mit Organisationen aus dem Globalen Süden genutzt wird. „Statt punktueller Anfrage müssen langfristige Beziehungen aufgebaut und natürlich auch finanziert werden“, sagt Stamm.

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Die Zukunft der offenen Gesellschaft steht zur Wahl. Kommt nun eine Rückschrittskoalition, für die Migration wirklich die Mutter aller Probleme ist? Wird Gleich­be­rech­tigung wieder zu Gedöns? Wir berichten über den Kampf der Zivilgesellschaft für gleiche Rechte. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Die Notwendigkeit, Zivilorganisationen im Globalen Süden, vor allem in Konfliktregionen, effektiv zu finanzieren und in politische Entscheidungen miteinzubeziehen, ist auch ein wiederkehrendes Thema der umfangreichen Analyse feministischer Außen- und Entwicklungspolitik von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Und auch die Diaspora und migrantische Zivilorganisationen in Deutschland sollten besser eingebunden werden, heißt es dort.

Schulze gab vor Kurzem ein Beispiel, warum Repräsentanz notwendig ist: Als in Sambias Hauptstadt Lusaka der Anteil von Frauen in wichtigen Bezirksausschüssen erhöht wurde, konnte die Wasserversorgung verbessert werden, weil die Frauen das Wissen dazu hatten, sagte sie der Frankfurter Rundschau. „Feministische Entwicklungspolitik ist einfach erfolgreicher als das, was wir vorher gemacht haben. An dieser Strukturveränderung wird niemand mehr so einfach vorbeikommen.“

Im aktuellen Wahlkampf aber ist das Thema hinten angestellt, auch wenn die Grünen und SPD es zumindest ins Wahlprogramm geschrieben haben. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will sogar das Asylrecht aushebeln und Entwicklungsgelder stärker an die Rücknahme von Geflüchteten koppeln. Der Tenor insgesamt ist eine stärkere Betonung von geostrategischen und Wirtschaftsinteressen als von Menschenrechten.

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