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Demokratie als KlassenprojektEine Sehnsucht nach Disruption

Demokratie gilt nicht mehr allgemein. Ob Inflation, Klimawandeln oder Integration – der rechte Diskurs verspricht Veränderung der bisherigen Politik.

Griff nach der Kanzlerschfaft: FPÖ-Chef Herbert Kickl in Wien Foto: Leonhard Foeger/reuters

sterreich steht kurz vor einem FPÖ-Kanzler. Und das verbreitetste Gefühl ist – Resignation. Es scheint unausweichlich. Gibt es nicht eine rechte Welle – weltweit? Leben wir nicht in einem rechten Zeitalter? Das Scheitern einer möglichen Austro-Ampel, das dem vorausging, scheint sich da nahtlos einzufügen. Als ob im rechten Zeitalter andere Politikkonzepte letztlich chancenlos wären. Oder war dieses Scheitern doch ein Versagen der politischen Eliten des Landes?

Letztlich gilt wohl: weder noch – oder beides, was in diesem Fall gleichbedeutend ist. Denn weder ist der allgegenwärtige Rechtsruck einfach ein Zeitgeist, dem man schicksalhaft ausgeliefert wäre. (Die Ampel-Verhandlungen hätten auch gelingen können.) Noch haben die handelnden Akteure einfach nur versagt – denn es gibt ein grundlegendes Problem.

Dieses Problem aller bisherigen Politik lautet: „Kein-Weiter-wie-bisher“. Das ist das derzeitige Grundgefühl. Die anstehenden Probleme scheinen überbordend – von der Inflation über die medizinische Versorgung bis zu Integrationsfragen und zum Klimawandel. Die Reihe ließe sich fortsetzen. All diesen Herausforderungen scheinen weder die Gesellschaft noch die Politik gewachsen. Deshalb greift die Sehnsucht nach Disruption um sich, der Wunsch nach einem Bruch, nach einer wirklichen Veränderung. Eben nach einem „Kein-Weiter-wie-bisher“.

Sehnsucht nach einer wirklichen Veränderung

In gewissem Sinn ist diese Sehnsucht weiter als die bisherige Politik. Weil sie das Empfinden einer notwendigen Veränderung ist. Und zugleich ist diese Sehnsucht trügerisch. Denn sie lässt sich von den Rechten kapern, usurpieren, einfangen. Die Rechten sind es, die heute Disruption und Veränderung versprechen.

Sie bedienen diese Sehnsucht durch einen brachialen Stil, durch eine Radikalität des Auftretens. Die AfD ist darin wie das Spiegelbild von Kickl und seiner FPÖ. Bemerkenswert ist, wie unverblümt das autoritäre Gehabe heute auftritt. Wie unverhüllt solches mittlerweile aus den Echokammern herausdringt – in das, was die alte Öffentlichkeit war. Diese, die ehemals allgemeine Öffentlichkeit, ist längst zu einer Teilöffentlichkeit degradiert worden. Nicht nur durch die sozialen Medien – auch angesichts eines populistischen medialen Apparats. (Die FPÖ ist diesbezüglich Vorreiter.)

So ist der martialische Tonfall auch nur für eine Teilöffentlichkeit erschreckend. Man hat vielleicht zu wenig begriffen, dass die anderen, viele andere diese Radikalität des Auftretens befreiend finden. Das sind jene, die das Vertrauen in die Institutionen, den Glauben an die Demokratie längst verloren haben. Für diese ist solches politische Rowdytum das Versprechen, sie „da herauszuholen“. Nämlich aus dem, was sie als unterdrückend empfinden. Herauszuholen aus der bestehenden institutionellen Ordnung, aus der Demokratie.

Demokratie ist jetzt ein Klassenprojekt

Der Demokratie ergeht es wie der Öffentlichkeit: Sie gilt nicht mehr allgemein. Demokratie ist zu einem Klassenprojekt geworden. Zu einem Projekt des Mittelstands. Zumindest wird sie von manchen als solches angesehen. Deshalb greifen die ständigen Warnungen vor deren Verlust auch nicht wirklich.

Alle sonstige Politik aber, auch linke, kann die Disruptionssehnsucht nicht bedienen. Denn eine echte Politik der Veränderung steht vor einem grundlegenden Problem: Sie bräuchte andere Subjekte als neoliberal verbogene Narzissten. Sie würde anderer Subjekte bedürfen, sich an andere Subjekte wenden, andere hervorbringen. Linke Politik müsste für andere Subjekte gemacht werden. Die Disruptionssehnsüchtigen müssten sich also selbst verändern.

Die Rechten aber versprechen genau das Gegenteil: eine Veränderung der Gesellschaft, ohne dass man – also die Autochthonen – sich verändern muss. Sie versprechen eine Veränderung, in der man sich bewahren kann. In der man der bleiben kann, der man ist. Eine Veränderung der Gesellschaft, um sich als Einzelner nicht zu bewegen. Das ist die Grundlage von dem, was zum rechten Zeitalter aufgebauscht wird. Und genau das ist kein Schicksal. Oder müsste zumindest keines sein.

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3 Kommentare

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  • Und wieder: Schafft das Internet ab, bevor es Demokratie und Humanität abschafft!

  • Die von den Rechten in Aussicht gestellte „Veränderung der Gesellschaft“, die es dem Einzelnen angeblich erspart, sich zu bewegen, muss nicht unbedingt Schicksal sein, das ist korrekt. Für Gesellschaften gibt es keine Automatismen, keine „Naturgesetze“. So wenig, wie es die vor 1989 im Osten propagierte „gesetzmäßige Entwicklung in Richtung Kommunismus“ gibt, gibt es den angeblich allmächtige „rechten Zeitgeist“. Bloß: Wenn nicht bald abgestellt wird, was den Rechten ihren Erfolg sichert, führt trotzdem kein Weg an der Katastrophe vorbei.

    Das Leben IST Veränderung, das wissen auch „die Autochthonen“. Dass sie sich momentan nicht verändern wollen, ist ein Symptom. Und zwar für das, was gemeinhin Führungsversagen genannt wird.

    Zu bleiben, der man ist, ist ein Wunsch derer, die Angst haben. Psychologisch gesehen ist es genau diese Angst, die Radikalität attraktiv erscheinen lässt. Brutal sein können Menschen schließlich auch dann, wenn sie kein vernünftiges Ziel haben und keine begehbaren Wege sehen. Das Vertrauen in die Institutionen und der Glauben an die Demokratie sind nicht grundlos verloren gegangen, sondern aufgrund schwerer Fehler, die nie korrigiert wurden. Von wem auch?

  • Eine wirklich treffende Analyse, der ich absolut zustimme. Auf den Punkt gebracht!