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Psychotherapie höchstens für Rich Kids

Für Kinder und Jugendliche mit seelischen Problemen ist die Versorgung in Hamburg schlecht. Aber in sozial benachteiligten Vierteln ist sie nahezu nicht vorhanden. Die Zuständigen geben sich machtlos

Wenn Jugendliche nicht mehr weiter wissen, gibt es oft kein therapeutisches Angebot – vor allem in armen Stadtteilen Foto: Christian Charisius/dpa

Von Friederike Gräff

Kinder und Jugendliche warten in Hamburg zu lange auf einen Therapieplatz – so viel ist derzeit Konsens. Bei der nächsten Frage, was sich dagegen tun ließe, gehen die Meinungen weit auseinander. Schon zu der Frage, wie lange die Wartezeit im Durchschnitt dauert, gibt es keine verlässlichen Zahlen. Die Hamburger Psychotherapeutenkammer hat 2022 und 2024 bei ihren Mitgliedern nachgefragt und erfahren, dass sich bei mehr als der Hälfte die Wartezeit verlängert hat, nachdem sie bereits 2022 bei jede:r zweiten The­ra­peu­t:in acht Monate betrug. Doch die Umfrage, so sagt die Vorsitzende der Psychotherapeutenkammer, Heike Peper, sei nicht repräsentativ. Trotzdem ist sie sicher: Die Versorgungslage ist schlecht und „in bestimmten Vierteln noch schlechter“.

Sieht man sich die Verteilung von Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen – aber auch von Kin­der­ärz­t:in­nen – über das Stadtgebiet an, so ist eines offenkundig: In sozial belasteten Gebieten wie etwa auf der Veddel finden sich deutlich weniger als in den besser gestellten. Die Linkspartei hat 2023 nachgeprüft, wie sich die Versorgung aufschlüsselt, und herausgefunden, dass im edlen Stadtteil Rotherbaum der Versorgungsgrad mit 62 Therapeut:innen, in denen auch Kinder- und Ju­gend­the­ra­peu­t:in­nen inbegriffen sind, bei üppigen 1.240 Prozent liegt, während es im armen Rothenburgsort oder auf der Veddel keinerlei Therapeuten gibt – und damit einen Versorgungsgrad von null.

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), selbst Mediziner, hatte in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur gesagt, es sei „eng“ – und er befinde sich in Gesprächen mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der Ärztekammer über die Verteilung der Kassensitze. Horcht man nach dem Stand dieser Gespräche, so scheint bislang nichts Wegweisendes geschehen zu sein. Stattdessen verweisen die einzelnen Akteure darauf, was die jeweils andere Seite tun könne – und damit, ganz nebenbei, auch für die Kosten aufkommt.

Die Sozialbehörde spielt den Ball Richtung Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH). Deren Aufgabe sei laut Sozialgesetzbuch die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung. In ihrer Antwort auf eine taz-Anfrage hat die Sozialbehörde auch gleich eine Liste mit Handlungsmöglichkeiten der KVH aufgestellt. Zwei Punkte darauf: Unterteilung der Planungsbereiche und Ausbau der Eigeneinrichtungen.

Doch das stößt bei der KVH auf wenig Begeisterung. Die Planungsbereiche, so der Sprecher der KVH, seien nicht das eigentliche Problem, sondern die Bedarfsplanung. Die bestimmt, ob sich in einem Planungsbereich neue Ärz­t:in­nen ansiedeln dürfen. Da Hamburg, das nur ein Planungsbereich ist, als überversorgt ausgewiesen ist, gilt derzeit eine Sperre. Der zweite Kritikpunkt, den auch die Hamburgische Psychotherapeutenkammer teilt: Bei der Bedarfsplanung wird nicht zwischen Erwachsenen- und Kinder- und Jugendtherapeut:innen unterschieden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte dies reformieren wollen, doch das Ampel-Aus ist ihm dazwischengekommen.

Bleibt also die Frage, was in Hamburg vor Ort möglich ist. Bei der KVH sieht man da wenig Spielraum. Eine kleinräumigere Planung, sagt der Sprecher, würde die Versorgungslage nicht ändern. Bereits jetzt seien Kassensitze frei – „aber es gibt keine Menschen, die dorthin gehen“. Die Verteilung der Ärz­t:in­nen über die Stadt sei „historisch“ gewachsen – und bleibe so bestehen, weil die Sitze weitergegeben werden. Eine Verlegung ist nur möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass der neue Standort unterversorgt ist.

Bemerkenswert ist, dass die Hamburger Ärztekammer deutlich aufgeschlossener gegenüber einer Neuordnung der Planung ist. „Eine kleinräumigere Planung kann ein Weg sein, um eine bessere ambulante Versorgung in Hamburg zu erreichen“, schreibt der Pressesprecher der Kammer. Und fährt fort: „Daher ist es gut, wenn wir in der Selbstverwaltung diese Option ernsthaft prüfen und in die Diskussion über die Zukunft der ambulanten Versorgung einbringen.“

Kinder, bei denen die Erkrankungen noch nicht chronifiziert sind, brauchen oft nicht so aufwendige Behandlungen wie Erwachsene

Dass es zu wenig Be­wer­be­r:in­nen für Kassensitze – insbesondere in sozial benachteiligten Gegenden – geben soll, überrascht Heike Peper, die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hamburg. Schließlich werde in Hamburg das Instrument der Sonderzulassungen genutzt – was ohne Kan­di­da­t:in­nen nicht funktionieren würde. Was sie bestätigt: Die Versorgungsstrukturen bauen auf dem vorgefundenen Status quo auf. Als 1999 psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendtherapeuten als Heilberufe etabliert wurden, sei die Verteilung der Sitze über das Stadtgebiet kein Thema gewesen. Dennoch hat sie Ideen, wie das Ungleichgewicht auch vor einer Reform auf Bundesebene zumindest gemildert werden könne. Etwa durch lokale Gesundheitszentren, wie es in Hamburg bereits sechs in sozial benachteiligten Stadtteilen gibt. An den haus- oder kinderärztlichen Praxen, die der Kern dieser Zentren sind, könne man auch psychotherapeutische Diagnostik andocken, sagt Peper.

In den Plänen der Sozialbehörde taucht eine Ausweitung der lokalen Gesundheitszentren nicht auf. Dafür aber der Vorschlag an die KVH, mehr kassenärztliche Eigeneinrichtungen wie die von ihr betriebene Kinderarztpraxis in Rahlstedt aufzubauen. Für solche Praxen müssten die Hamburger Ärz­t:in­nen aus eigener Tasche beitragen, gibt der Sprecher der KVH zu bedenken – und das bei einer Vergütungsquote von 67 Prozent bei den Hausärzt:innen. Die Vergütungsquote der Fachärztinnen, etwa in der Radiologie, scheint da nicht zu helfen.

„Letztendlich geht es ums Geld“, sagt Heike Peper abschließend. Für sie wird bei der therapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen unklug gerechnet. Denn zum einen brauchten Kinder, bei denen die Erkrankungen noch nicht chronifiziert seien, oft nicht so aufwendige Behandlungen oder Therapien wie Erwachsene. Und gerade bei ihnen sei Prävention wichtig – „da würden wir als The­ra­peu­t:in­nen gerne mitarbeiten“. Wenn sich die Stadt auf diesem Feld, etwa auch bei der Vernetzung zwischen Schule, Jugendamt und The­ra­peu­t:in­nen stärker einbringe, sei viel gewonnen.

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