Klima im Wahlkampf: Gegenwind für den Klimaschutz
2045 will Deutschland klimaneutral sein, fünf Jahre vor der ganzen EU. FDP und Industrie stellen das infrage – und schaden damit sich selbst.
Die gleiche Forderung findet sich nun auch im Wahlprogramm der Liberalen. Die Union hat in ihrem Wahlprogramm Klimaneutralität 2045 „fest im Blick“, 2021 wollte sie sie noch „verbindlich umsetzen“. Im Dezember dachte der scheidende Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zumindest laut darüber nach, die deutschen Klimaziele abzuschaffen. „Die Zieljahre sind nicht in Stein gemeißelt“, sagte er dem Handelsblatt. „Das europäische Ziel für Klimaneutralität liegt erst im Jahr 2050. Wenn Deutschland früher klimaneutral wird, könnten die anderen Länder in der Zwischenzeit tendenziell mehr CO2 ausstoßen.“
Das ist, so viel vorweg, weitgehend Quatsch. Für den Klimaschutz könnte die Forderung trotzdem fatal sein. Und auch für die deutsche Industrie.
Zuerst zum Quatsch. In ihrem Wahlprogramm begründet die FDP ein späteres Klimaziel damit, dass energieintensive Industrien wie Chemie oder Stahlherstellung dann mehr Zeit zur Dekarbonisierung hätte. Aber das stimmt nur in der Theorie. Denn die Industrie ist Teil des Europäischen Emissionshandels (ETS), Kronjuwel der EU-Klimapolitik. Die Idee: Will ein Unternehmen eine Tonne CO2 ausstoßen, braucht es dafür ein Zertifikat. Von denen versteigert die EU aber nur eine begrenzte Menge, nämlich so viele, wie in diesem Jahr den EU-Klimazielen zufolge CO2 ausgestoßen werden darf.
Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
So ergibt sich der Preis, den Unternehmen für ihren CO2-Ausstoß zahlen müssen: Wollen sie viel ausstoßen, ist es teuer, wollen sie wenig ausstoßen, ist es billiger. Die Industrie bekommt kostenlose Zertifikate, damit sie nicht gegen außereuropäische Produzenten ins Hintertreffen gerät, die keinen CO2-Preis bezahlen. Aber kostenlose Zertifikate gibt es ab 2026 immer weniger.
Klimaneutral will die EU zwar bis 2050 werden, aber leer wird der Topf mit den Zertifikaten wohl schon Ende der 2030er oder Anfang der 2040er sein. Denn im Topf ist nur so viel, wie Energie und Industrie für Klimaneutralität eben ausstoßen dürfen – und das reicht wahrscheinlich noch nicht einmal bis 2045. Die Unternehmen können auch Zertifikate kaufen und lagern.
Wann das letzte Zertifikat benutzt werden darf, ist nämlich noch nicht geregelt. Aber so wie die Dekarbonisierung der Industrie aktuell läuft, werden die Unternehmen eher früher als später an ihre Reserven ranmüssen: Das Umweltbundesamt rechnet für 2045 immer noch mit 49 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß aus der deutschen Industrie, rund ein Viertel ihrer derzeitigen Emissionen.
Die Industrie muss deswegen sehr viel Geld in die Hand nehmen, um klimaneutral zu werden und nicht den teuren CO2-Preis zahlen zu müssen. „Ein Eigentor“, nennt Levi Henze die Gedankenspiele des ehemaligen BDI-Präsidenten Russwurm deswegen. Henze arbeitet für die Denkfabrik Dezernat Zukunft.
Industrie schwächt Verhandlungsposition
Wenn das offizielle Klimaziel um fünf Jahre verschoben würde, schwäche die Industrie ihre eigene Verhandlungsposition in Deutschland und Europa, wenn es um Hilfe bei der Dekarbonisierung geht – und sobald die Industrie keine kostenlosen Zertifikate mehr bekommt, wird das akut. „Aktuell gibt es keine großen Unterstützungsmaßnahmen auf europäischer Ebene“, sagt Henze, „und in Deutschland würde bei späterem Klimaziel die Förderung wohl eher geringer ausfallen.“
Ein späteres Klimaziel bringt der Industrie wegen des Emissionshandels nichts und schwächt vielleicht sogar ihre Verhandlungsposition. Auch für die Sektoren Gebäude und Verkehr wird ab 2027 ein Emissionshandel gelten. Das Ende von 80 bis 90 Prozent der deutschen Emissionen gibt also der europäische Emissionshandel vor, nicht das deutsche Klimaziel. Und der Rest?
Der Rest sind Emissionen aus der Landwirtschaft und der Natur, die durch Viehhaltung und Dünger entstehen, aber auch wenn zum Beispiel Wälder abbrennen und CO2 emittieren. Zwar will die FDP auch für diese Bereiche einen Emissionshandel entwickeln, aber das ist unheimlich kompliziert: Für jeden Wald, jede Weide müsste erfasst werden, wie viel CO2 gebunden wird oder entweicht. Ob sich ein solcher Emissionshandel irgendwie umsetzen lässt, ist unter Expert*innen umstritten. Solange es ihn nicht gibt, ist hier jede von Deutschland eingesparte Tonne CO2 wirklich eine Tonne CO2 weniger in der Atmosphäre. Aber eben auch nur für 10 bis 20 Prozent des deutschen Treibhausgasausstoßes.
„Symbolisch“ nennt Frauke Thies, Exekutivdirektorin der Denkfabrik Agora Energiewende, die Diskussion ums deutsche Klimaziel, schließlich sei es mit dem EU-Klimaschutzrahmen abgestimmt. Symbolisch – aber nicht ohne Folgen: Jede Schwächung des Klimaschutzes, auch jede symbolische, sorge für Verunsicherung, wie man am Rückgang der Wärmepumpenverkäufe sehe. „Planungssicherheit ist für die Industrie und die Menschen entscheidend und lässt sich durch ein stabiles regulatorisches Umfeld erreichen“, sagt Thies, und die leide durch solche Diskussionen. Außerdem sei Deutschland Klima-Vorreiter. „Auch im Hinblick auf die Klimaschutzanstrengungen anderer Länder ist es daher sehr wichtig, dass Deutschland den Kurs hält“, sagt Thies.
In der EU wird gerade über die genauen Klimaziele für 2040 verhandelt. 90 Prozent Emissionsreduktion im Vergleich zu 1990 könnten dabei herauskommen, aber auch weit weniger ehrgeizige Ziele. Der ETS2 für Gebäude und Verkehr wird von Rechtsextremen und aus Polen, Tschechien und der Slowakei angegriffen. Das Verbrenner-Aus 2035 ist noch lange nicht in trockenen Tüchern. Allen ist klar: Um die Richtung der europäischen Klimapolitik wird derzeit verbissen gekämpft. Eine Streichung der deutschen Klimaziele würde als Zeichen verstanden werden. Das reiche Deutschland will sich nicht mehr anstrengen – warum sollten wir es tun?
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