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Die Zukunft der UkraineNeujahr mit Luftalarm

Die Ukraine wird weiter von Russland angegriffen. Hat Europa verstanden, dass es auch attackiert wird? „Kriegstreiber“-Rufe deuten auf das Gegenteil.

Ivanna wärmt ihren Hund nach einem russischen Angriff in Kiew Foto: Alex Babenko/ap

S chon wieder begann in der Ukraine Neujahr mit Luftalarm. Russland griff die Hauptstadt Kyjiw und andere Orte im Land an. Zwei Menschen wurden getötet. Damit hat Russland, hat sein Präsident Wladimir Putin erneut der ganzen Welt gezeigt, worum es ihm geht: Zerstörung und Tod.

In seiner jährlich inszenierten Pressefragestunde, die von Jahr zu Jahr mehr wie eine Psychoshow anmutet, hat Putin im Dezember nochmals klargemacht, wie er sich einen Frieden mit der Ukraine vorstellt: das Land „entnazifiziert“, vollends geschwächt, seine demokratisch gewählte Regierung „gestürzt“, die Menschen von ihr „befreit“, so dass der russische Machthaber jederzeit wieder angreifen kann.

Dass der Krieg gegen die Ukraine auch einer gegen Europa, gegen Demokratie ist, wurde oft gesagt. Aber ist das auch angekommen?

In diesem Jahr, in dem im Frühjahr in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt wird, entscheidet sich hier, direkt bei uns, worauf die Ukraine und Europa im nächsten Jahr hoffen können. Für welche Werte wird sich die Mehrheit der Wäh­le­r:in­nen entscheiden?

Mich besorgt, wie erfolgreich die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit Ängsten spielen. Sie versprechen einen Frieden – auf Kosten anderer. Sie verdrehen Tatsachen oder verbreiten Falschaussagen und werden damit zu wichtigen Multiplikatoren Russlands.

Mit seinem Populismus inszeniert sich das BSW als einzige Partei auf der moralisch richtigen Seite. Sein Friedensversprechen ist dabei nur eine vorgeschobene Friedensliebe; eine, die nichts als Egoismus ist; ein Pazifismus, der mit einem totalitären Herrscher kuschelt.

„Wenn Pazifismus bedeutet, gegen den Krieg zu sein, bin ich natürlich Pazifist. Wenn es so verstanden wird, dass man sich niemals wehren darf, dann war ich nie einer“, sagte der ukrainische Menschenrechtler Maxim Butkewitsch in einem Interview mit der Zeit. Butkewitsch hat als Kommandeur über zwei Jahre russischer Gefangenschaft überlebt. Wenn ein ukrainischer Menschenrechtler es schafft, seine Überzeugungen der Realität anzupassen, warum nicht auch ein deutscher Friedensbewegter?

Ich finde: Sobald Pazifismus nicht den Frieden sichert oder nur einen solchen, der Unterwerfung bedeutet, müssen seine Motivation und die dahinter stehende Weltanschauung überdacht werden. Friedenssicherung, das müsste nach über 1.000 Tagen Krieg klar sein, wird nur mit militärischer Verteidigungsfähigkeit möglich sein.

„Kriegstreiber!“, höre ich den ein oder anderen jetzt rufen und möchte diese Pseudomoralisten bitten, ihre Worte zu prüfen. Die Grenzen zwischen Überzeugungen und Kremlpropaganda können in diesen Zeiten fließend sein.

2025 wird also ein richtungsweisendes Jahr. Werden sich die europäischen Länder für einen gemeinsamen Aufbruch gegen Demokratiefeinde und Tyrannen wie Putin entscheiden? Oder werden sie die Ukraine zu einem Unterwerfungsfrieden drängen?

„Ich will eine andere Zukunft“, schreibt die belarussische Schriftstellerin Anka Upala in einem Essay, der auf Deutsch bei dekoder erschienen ist. „Genauer gesagt, ich möchte einfach eine Zukunft, nicht nur Szenen aus der Vergangenheit.“

Upala, im Exil in Deutschland lebend, fragt sich in diesem Text, was von den Protesten 2020 übrig geblieben ist. Damals protestierten die Belarussen für freie Wahlen und ihre Grundrechte.

Was Upala beschreibt, so ist mir, trifft auch auf die Ukraine zu. Seit dem 24. Februar 2022 beschreiben viele Ukrainer, in diesem Tag festzustecken. Auf Tod und Zerstörung, auf Folter und Krieg, folgt wieder und wieder ein solcher Tag. Belarus und auch die Ukraine haben mehr als nur Szenen aus der Vergangenheit verdient. Ob sie eine Zukunft haben, hängt auch von uns ab.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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15 Kommentare

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  • Das ist ein seltsam unkonkreter Artikel.



    Was soll das sein, der "gemeinsame Aufbruch" der europäischen Länder?



    Der Beginn des dritten Weltkriegs?



    Oder ist es das immer wiederkehrende Argument, der Westen habe die Ukraine nicht stark genug unterstützt?



    Das geht an der Realität vorbei. Deutschland hat die Ukraine stark unterstützt und fährt darin fort. Das "Demokratie verteidigen" Argument ist ebenfalls abgenutzt und falsch, da in der Ukraine keine Demokratie herrscht.



    Selensky trifft mittlerweile recht einsame Entscheidungen, die besonders auf dem Schlachtfeld verheerend falsch waren und einen hohen Blutzoll gekostet haben.



    Nein! Es war und ist völlig unrealistisch, dass die Ukraine den Krieg gegen Putin gewinnt, das sollte allmählich klar geworden sein.



    Es ist an der Zeit, einen Weg zur Beendigung des Krieges zu finden.



    Das ist schlichtweg Realismus und hat mit Ideologie oder Ähnlichem Nichts zu tun.

    • @Philippo1000:

      "Es ist an der Zeit, einen Weg zur Beendigung des Krieges zu finden.

      Das ist schlichtweg Realismus und hat mit Ideologie oder Ähnlichem Nichts zu tun." Zu dumm nur das in Moskau ein groß-russischer Imperialist sitzt der allein schon aus wirtschaftlichen gründen den Krieg nicht mehr beenden kann. Dem der menschliche, wirtschaftliche Schaden völlig egal ist weil er sich am verschieben von Grenzen ergötzt und von einem Zirkel von ebenso eingestellten Ja-Sagern umgeben ist.

  • "Damit hat Russland, hat sein Präsident Wladimir Putin erneut der ganzen Welt gezeigt, worum es ihm geht: Zerstörung und Tod."



    Nun, wenn das sein Ziel wäre, dann könnte er zum Beispiel Flächenbombardements wie im 2. Weltkrieg machen. Oder seine schweren thermobarischen Bomben abwerfen auf Kiew.



    Seine Ziele waren wie man aus diversen Aussagen und Verträgen verstehen kann:



    1. Zugang zum Schwarzen Meer über den Hafen Sewastopol



    2. Angemessene Behandlung der russischen Minderheit



    und vor allem:



    3. Die Ukraine als Pufferzone zwischen sich und NATO zu haben, weder als NATO-Mitglied noch als "NATO-Proxi".



    Kann man u.a. hier nachlesen.



    www.dw.com/de/ukra...er-nato/a-60727097

    • @Kartöfellchen:

      " Nun, wenn das sein Ziel wäre, dann könnte er zum Beispiel Flächenbombardements wie im 2. Weltkrieg machen. Oder seine schweren thermobarischen Bomben abwerfen auf Kiew."



      Das scheitert an der fehlenden Luftüberlegenheit, ohne das wäre das ein One-Way Flug bei dem Russland seine strategischen Bomber opfern würde und die kann es nicht ersetzen.

      "1. Zugang zum Schwarzen Meer über den Hafen Sewastopol" Den hatte er schon

      " 2. Angemessene Behandlung der russischen Minderheit" Warum hat er dann jene Minderheit als Kanonenfutter verheizt?

      "3. Die Ukraine als Pufferzone zwischen sich und NATO zu haben, weder als NATO-Mitglied noch als "NATO-Proxi". "



      NATO Mitgliedschaft stand nicht an und NATO-Proxi ist die Ukraine nicht und wurde sie wenn überhaupt erst durch den Krieg.

      Er will die Ukraine nicht in der NATO weil das die Ukraine seinen imperialistischen Bestrebungen (evident durch die Annektion von 4 Oblasten ) entzieht, nicht weil er sich durch die NATO bedroht fühlt (siehe NATO beitritt Finland, wo er nichts gemacht hat).

  • 》„Kriegstreiber!“, höre ich den ein oder anderen jetzt rufen und möchte diese Pseudomoralisten bitten, ihre Worte zu prüfen《 - das wäre leichter, würden Sie auf die Beschimpfungschon in Ihrer Bitte verzichten.



    .



    Dennoch: schon 》Sobald Pazifismus nicht den Frieden sichert oder nur einen solchen, der Unterwerfung bedeutet《, weiter oben als "Kuscheln mit einem totalitären Herrscher" diffamiert, geht am Kern des Begriffs vorbei, vielleicht am besten am Beispiel Gandhis verdeutlicht (kürzlich als Film bei 3sat): seine klare Ansage an die Briten, jegliche Zusammenarbeit werde seitens der Inder verweigert werden und so ihre Herrschaft beenden war - historisch bewiesen - NUR durch den gleichzeitigen Gewaltverzicht erfolgreich.



    .



    》Far too often the Ukrainian issue is posed as a showdown: whether Ukraine joins the East or the West. But if Ukraine is to survive and thrive, it must not be either side’s outpost against the other — it should function as a bridge between them. [...] For the West, the demonization of Vladimir Putin is not a policy; it is an alibi for the absence of one.《



    .



    H. Kissinger schon 2014, hier: www.henryakissinge...raine-crisis-ends/

  • "Werden ... die europäischen Länder ... die Ukraine zu einem Unterwerfungsfrieden drängen?"

    Vielleicht sollten wir die Menschen in der Ukraine entscheiden lassen:

    38% Ukraine should continue fighting until it wins the war



    52% Ukraine should seek to negotiate an ending to the war as soon as possible

    news.gallup.com/po...iated-end-war.aspx

    • @Sam W:

      Alles schön und gut, aber wenn der Verhandlungspartner nicht wil und lieber weiter Soldaten verheizt? Was dann?

  • Richtig, die meisten Menschen möchten Frieden, aber solange es welche gibt, die anders denken, ist Wehrhaftigkeit für Abschreckung und Verteidigung nötig.

  • Wäre schön, wenn die Autorin auch erläutern würde, wie sie sich den "gemeinsamen Aufbruch" vorstellt.

    Es wird seit drei Jahren das Mantra wiederholt, die Ukraine darf nicht verlieren. Aber realistische Vorschläge (Gamechangerwaffen gehören bei einem Stellungs-/Abnutzungskrieg für mich nicht dazu), wie sie ihn denn gewinnen könne habe ich seitdem nicht gehört.

    Ohne direkte Intervention durch Natotruppen oder zumindest indirekte durch westliche "Freiwilligenbrigaden" ist und war dieser Krieg nicht zu gewinnen. Aber dafür war dem westlichen Bündnis der potentielle Preis zu hoch.

    Und in der jetzigen Situation (bröckelnde Zustimmung zum Krieg in der Ukraine selbst und im "Westen", massenweise Desertationen, Zurückdrängung der Front) wird sich wohl kein Politiker finden, der seine Karriere ruiniert um deutsche, französische oder spanische Soldaten in einen verlorenen Krieg schickt. (Sieht im Baltikum oder Polen vielleicht anders aus)

    Ich würde einen Sieg der Ukraine wünschen und bin für eine Unterstützung solange die Ukraine sie wünscht. Putin hat den Krieg begonnen, aber an der Niederlage hat die Nato schuld. Zu wenig, zu langsam, zu spät.

    • @Blutsbruder WinnePuh:

      Ich stimme weitgehend zu, allerdings hat die NATO kaum an der Niederlage schuld. Die NATO hat seit über 30 Jahren die UA unterstützt. Wir dagegen haben unsere miltärischen Fähigkeiten sehr stark heruntergefahren und eine Unmenge Material verschrottet / zerstört (4000 Marder, 1500 Leos. ein paar hundert Geparden, jede Menge Artilleriemunition), verschenkt und ein paar Sachen auch verkauft so dass wir die UA nicht richtig unterstützen konnten. Daran sind Merkel SPD und Grüne auch Schuld. Das müsste mal aufgearbeitet werden, aber da erinnert man sich wohl nicht so gerne dran. Was mir ebenfalls bei unserer Untertsützung fehlt ist eine Diskussion der Kriegsziele. Der Sieg der UA mit Rückeroberung der Krim war schon immer eine Schimäre, aber wo soll denn unsere Unterstützung hinführen? Wieviel wird das kosten, wie realistisch wären die Kriegsziele wenn es sie denn gäbe? Da möchte ich nur daran erinnern dass vin der Elitebrigade "Anna von Kiew" die in Frankreich für 900 Mio ausgerüstet und ausgebildet wurde schon 1700 Mann desertiert sind. Die Soldaten wissen anscheinend auch nicht, wohin die Reise gehen soll und entscheiden mit den Füssen.

    • @Blutsbruder WinnePuh:

      Konkret kann nur Donald Tusk etwas verbessern für die Ukraine, indem er wichtige Kernländer der EU zu einer bleibenden Unterstützer-Allianz für die Ukraine zusammenbringt. Dazu kann ich ihm nur Glück für Gelingen wünschen. Ein Trump'sches Unterwerfungsdiktat darf es nicht geben.

  • In diesem Punkt (Ukraine) stimme ich mit der Autorin voll und ganz überein, zum Israel/Gaza-Konflikt gehen unsere Meinungen dagegen weit auseinander.