Jahresrückblick in Sachen Erderhitzung: Das Klima-Problem hat sich zugespitzt im Jahr 2024
Die wichtigsten zehn Entwicklungen im Treibhaus des Planeten – von Emissionen auf Höchstständen über Rekordtemperaturen bis zu immer mehr Flutopfern.
1. Neuer Emissionsrekord. Es ist fast zehn Jahre her, dass sich die Staaten der Welt im Paris-Protokoll verpflichteten, die Klimaerhitzung auf „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen. Trotzdem produzierte die Menschheit 2024 so viele Treibhausgase wie nie zuvor. Nach Berechnungen des Global Carbon Projects stiegen die fossilen Emissionen weltweit um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr – auf 37,4 Milliarden Tonnen Kohlendioxidäquivalente.
Seit Anfang der 1980er Jahre steigt die Menge Jahr für Jahr auf einen neuen Höchststand. Nur in drei Jahren gab es einen kleinen Rückgang: im Pandemiejahr 2020, im Jahr der Finanzkrise 2009 und 1992 als Folge des Zusammenbruchs der Sowjetwirtschaft. Aber diese Rückgänge wurden dann im Folgejahr stets von neuen Rekorden wettgemacht: Heute produziert die Menschheit doppelt so viele Treibhausgase wie Anfang der 80er Jahre.
2. Die Treibhausgase aus geänderter Landnutzung steigen. Trocken gelegte Moore, intensive Landwirtschaft, das Abholzen von Regenwäldern: Zu den fossilen Emissionen kommen 2024 zusätzlich 4,2 Milliarden Tonnen aus Veränderungen in der Landnutzung hinzu. Deshalb werden die gesamten menschgemachten Treibhausgase in diesem Jahr 41,6 Milliarden Tonnen betragen, ebenfalls ein neuer Rekord. Damit kommt bereits ein Zehntel nicht mehr aus der Verbrennung von Öl, Kohle oder Erdgas, sondern direkt aus der Natur: Die steigenden Temperaturen haben auch mehr Waldbrände zur Folge, 2023 entstanden in Kanada so viele Treibhausgase, dass das Land mit lediglich 40 Millionen Einwohnern zum viertgrößten Emittenten wurde – hinter China, den USA und Indien.
Immerhin war die Abholzung des Amazonas 2024 etwas weniger heftig als im Vorjahr. So wurden im brasilianischen Amazonasgebiet nach Regierungsangaben zwischen August 2023 und diesem Juli 6.288 Quadratkilometer Regenwald vernichtet, eine Fläche zweieinhalbmal so groß wie das Saarland. Im Vorjahreszeitraum war das noch gut 30 Prozent mehr.
3. Höchste Konzentration seit Messbeginn in der Atmosphäre.„Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre ist nie so stark angestiegen wie im vergangenen Jahr“, sagt Ana Bastos, Professorin an der Universität Leipzig. Binnen zwölf Monaten kamen 2023 demnach im Vergleich zum Vorjahr 3,37 Teile Kohlendioxidäquivalent pro Millionen Luftteilchen (ppm) dazu.
Allerdings kann für diesen starken Anstieg nicht mehr nur die Verbrennung von fossilen Rohstoffen Grund sein, sagt die Erdsystemwissenschaftlerin und Co-Autorin einer Studie, die diesen Anstieg untersuchte: „In den letzten Jahren haben wir darauf vertraut, dass die Natur mehr oder weniger die Hälfte unserer Emissionen aus fossilen Rohstoffen zurücknimmt. Offensichtlich sinkt nicht nur die Leistungsfähigkeit der Ozeane und Ökosysteme, große Mengen Kohlendioxid aufzunehmen. In einige Regionen, die von Extremwetter betroffen sind, fängt die Biosphäre an, große Mengen Treibhausgase abzugeben.“ Die Klimaerhitzung verschärft sich also, im November wurden von den US-Behörden im Observatorium Mauna Loa auf Hawaii 423,85 ppm gemessen.
4. In Deutschland „produziert“ der Wald jetzt Kohlendioxid. Das war wohl die überraschendste Erkenntnis der Bundeswaldinventur, die in diesem Jahr vorgestellt wurde: In den vergangenen beiden Jahren haben die deutschen Forste 41 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Das ist mehr als ein Viertel dessen, was der deutsche Verkehr jedes Jahr zur Klimaerhitzung beiträgt. Viele Bäume leiden unter den gestiegenen Temperaturen, Hitze, Dürre, Schädlinge wie der Borkenkäfer verwandeln die natürlichen Kohlendioxid-Staubsauger in Treiber der Erderhitzung. Was uns früher half beim Klimaschutz, verkehrt sich in sein Gegenteil.
Ein Effekt, der mittlerweile überall auf der Welt zu beobachten ist: Vernichtete Biotope, sterbende oder abgebrannte Bäume verursachen mittlerweile mehr als 4 Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Das ist ein Zehntel der gesamten Treibhausfracht. Einem Bericht der US-Klimabehörde NOAA zufolge entweicht aus den Wäldern der Tundra mittlerweile beispielsweise mehr CO2 in die Atmosphäre, als dort aufgenommen wird.
5. Die Ozeane verlieren Speicherkapazität. Die Weltmeere besitzen das Vermögen, in ihrem Wasser große Mengen Kohlendioxid aufzunehmen, das Wasser löst das Treibhausgas. „Dazu kommen die Wasserpflanzen und andere Organismen, die Schalen und Skelette bauen und so Kohlenstoff im Ozean speichern“, sagt Ana Bastos. Allerdings ist es der Klimawandel selbst, der dies bedroht. „Die Fähigkeit der Ozeane, Kohlendioxid aufzunehmen, hat sich in den letzten zehn Jahren um etwa 6 Prozent verringert“, urteilt Judith Hauck, Umweltforscherin am Alfred-Wegener-Institut (AWI). „Das ist wahrscheinlich zurückzuführen auf veränderte Winde, welche die Ozeanzirkulation stören, und darauf, dass die Ozeane immer wärmer werden, was die Löslichkeit von Kohlendioxid verringert.“
Wärmeres Wasser löst weniger CO2. Tatsächlich haben die Ozeane bislang mehr als 90 Prozent jener Energie aufgenommen, die durch den menschgemachten Klimawandel auf der Erde verblieben. Das heizt die Meere aber weiter auf, im März wurde mit 21,07 Grad Celsius ein neuer monatlicher Höchstwert für die globale Oberflächentemperatur gemessen.
6. Die Eisschilde werden immer kleiner. Was auch Auswirkungen auf das Eis am Nord- und Südpol hat. „In diesem Sommer schwammen rund um den Nordpol nur noch auf 4,39 Millionen Quadratkilometer Eis“, sagt Thomas Krumpen vom AWI. Anfang der 1980er Jahre war der arktische Ozean zum Ende des Sommers noch fast doppelt so stark mit Eis bedeckt – auf gut 8 Millionen Quadratkilometern.
Auch am Südpol gibt es eine große Schmelze. Beispielsweise verliert der „Doomsday-Gletscher“ – übersetzt „Weltuntergangsgletscher“ – schneller mehr Eis als erwartet. Dieser wirkt in der Westantarktis wie ein Korken auf der Flasche und hält gigantische Eismassen zurück. Doch offenbar nicht mehr sehr lange, wie neuere Forschung zeigt: Wenn der „Doomsday“ weg ist, steigt der Meeresspiegel um 7 Meter.
7. Auch die Konzentration von Methan erreicht einen Rekord. Die Weltwetterorganisation konnte sich diese Messwerte nicht erklären: Seit Anfang der 2020er Jahre stiegt die Konzentration des Treibhausgases Methan in der Atmosphäre sprunghaft an. Das Gas erhitzt die Atmosphäre über 20 Jahre betrachtet 80-mal so stark wie die gleiche Menge Kohlendioxid, weshalb seine Reduktion entscheidend ist.
Jetzt konnte die Wissenschaft das Rätsel des Anstiegs lösen: Wenn es wärmer wird, sind Mikroorganismen im Boden oder in Mooren produktiver. „Was positiv klingt, aber problematisch ist“, erläutert Ana Bastos: „Sie setzen dann mehr pflanzliche Rohstoffe um und produzieren dadurch mehr Methan.“ Das Gas gelangt dann in die Atmosphäre.
8. Das heißeste Jahr seit Messbeginn. Korrelierend zu den neuen Konzentrationsrekorden stieg die weltweite Durchschnittstemperatur auch auf einen neuen Rekord: 2024 geht als wärmstes Jahr in die Geschichte der Meteorologie ein, weltweit lag die Durchschnittstemperatur um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter. Das im Paris-Protokoll formulierte Ziel, die Klimaerhitzung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, ist zwar theoretisch immer noch möglich. Dafür müssten die weltweiten Emissionen aber drastisch sinken – statt auf immer neue Rekordwerte zu klettern.
9. Immer mehr Menschen werden in Mitteleuropa von Fluten heimgesucht. Das ist Ergebnis einer Studie, die im September erschien. Dass dies keine Theorie in der Zukunft, sondern längst Realität ist, bewies 2024 am laufenden Band. Mitte Mai 2024 verwüsteten starke Regenfälle das Saarland sowie Teile von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Anfang Juni traf es Bayern, im September dann wieder Bayern, vor allem aber Tschechien, Österreich und Polen.
Auch das die Fluten – wie von der Wissenschaft prognostiziert – immer heftiger werden, wurde 2024 sichtbar: Mitte Oktober fielen in der Südhälfte Frankreichs binnen 48 Stunden 600 Millimeter Regen, in Südost-Spanien waren es Ende Oktober sogar 630 Millimeter binnen 24 Stunden, was ungeheure Zerstörung auslöste, 230 Menschen ertranken. Zum Vergleich: Die höchste in Deutschland jemals gemessene Niederschlagsmenge beträgt bislang 312 Millimeter an einem Tag – 2002 bei der Elbeflut im Erzgebirge.
10. Die Bundesregierung tut zu wenig für den Klimaschutz. So hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Mai 2024 entschieden. Bundesklimaminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) focht das nicht an, statt das Gesetz einzuhalten, änderte er es mit den Ampelpartnern einfach. Deshalb legten zehntausende Bürger:innen Verfassungsbeschwerde ein. Die Karlsruher Richter wollen spätestens im Frühjahr 2025 entscheiden. Nicht nur wegen der Bundestagswahl im Februar ist deshalb sicher: Das kommende Jahr wird spannend für den Klimaschutz.
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