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UN-Konferenz zur Biodiversität in CaliZu viel Gipfeltheater in Berlin

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Cali war der passende Ort, über die Rettung der Natur zu verhandeln – und doch zu weit weg. Die Ampel müsste begreifen, was das mit uns zu tun hat.

In Cali ging um die Voraussetzungen unseres Wohlstands, unseres Lebens Foto: Luisa Gonzalez /reuters

A m meisten irritiert an der verstörenden Ungleichzeitigkeit zwischen Cali und Berlin, dass sie in der öffentlichen Debatte gar nicht weiter auffällt. Dabei haben in der kolumbianischen Metropole in den vergangenen zwei Wochen mehr Menschen um den globalen Naturschutz gerungen als je zuvor. Mit 23.000 Teil­neh­me­r:in­nen war die UN-Konferenz der Mitgliedstaaten zum Schutz der Biodiversität in Cali die größte, die je stattgefunden hat. Das war angemessen, denn die Krise der Natur ist bedrückend.

Im Risikobericht des Weltwirtschaftsforums, bekannt für seine jährlichen Treffen in Davos, besetzen Extremwettereignisse, kritische Veränderungen der Erdsysteme sowie der Verlust der biologischen Vielfalt und der Zusammenbruch von Ökosystemen die ersten drei Plätze auf einer Liste von Risiken, denen die Weltgemeinschaft vordringlich begegnen müsse.

Voraussetzung unseres Wohlstands

Die Wirtschaftsberater von PwC raten dem Finanzsektor, die Natur und die von ihr bereit gestellten Ökosystemdienstleistungen wie sauberes Wasser, stabiles Klima und fruchtbare Böden als kritische Infrastruktur zu betrachten, und fordern eine entsprechende Regulierung. Nicht zuletzt warnt die Weltbank, dass der Verlust von natürlicher Bestäubung sowie eine nicht mehr sichere Versorgung mit Nahrung aus der Meeresfischerei sowie mit Holz aus heimischen Wäldern bis 2030 zu einem Rückgang des globalen Brutto­inlandsprodukts um 2,5 Billionen Euro jährlich führen könnte. In Cali ging es also nicht nur darum, unsere Lebensgrundlagen überhaupt zu sichern, sondern auch die Voraussetzungen unseres Wohlstands.

Die öffentliche Debatte der vergangenen Woche jedoch dominierte das Gipfeltheater in Berlin. Dort luden und laden demnächst schon wieder Kanzler und Finanzminister zu Industriegipfeln. Bieder bieten sie Wirtschaftslobbyisten eine Bühne, um die sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie mit zu hohen Energie-, Bürokratie- und Personalkosten zu begründen. Man täte den Veranstaltungen kein Unrecht, wenn man sie weitgehend ignorierte. Selbst der geladene Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach nach Scholz’ Gipfel von einem „politischen Schaulauf“. Trotzdem reagiert die Öffentlichkeit auf die Gipfel reflexhaft aufgeregt. Wie lange mag die Ampel noch durchhalten, wenn sich ihre Alphamännchen derart bloßstellen? Regiert noch jemand? Was macht Lindner?

Frage, was du gegen den Ressourcenverbrauch tun kannst

Gähnen wir einmal herzhaft und nutzen die so entstehende Pause für ein Gedankenspiel. Wie wäre es denn, wenn, sagen wir, Olaf Scholz und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck zu einem Industriegipfel einlüden mit folgender Fragestellung an die Teilnehmer:innen: An welchen Konzepten arbeiten Sie, damit die Produkte Ihres Unternehmens/Ihrer Branche besser repariert und in Kaskaden genutzt werden können? Werden Sie dafür kurzfristig neue Dienstleistungen anbieten? Welche Schritte setzen Sie nächstes Jahr um, um die gesetzlichen Emissionsziele für Treibhausgase einzuhalten? Welche regulatorischen Maßnahmen brauchen Sie dafür, kurz- und mittelfristig? Kann Ihr Unternehmen zur Wärmewende Ihres Standortes beitragen? Welche Steuern und Abgaben müssen wir senken, welche anheben, damit Sie Beschäftigung halten und den absoluten Ressourcenverbrauch senken können? Verfügen Personen, die Antworten auf diese Fragen haben, in Ihrem Unternehmen/Ihrer Branche über genügend Einfluss?

In der aktuellen Stimmungslage, in der die Grünen aus den Landesregierungen fliegen und eine SPD im Panikmodus jeden Kompass in Richtung Zukunft verloren hat, mag das aus der Zeit gefallen scheinen. Doch das trügt. Die vordringliche Aufgabe jeder zeitgemäßen Wirtschaftspolitik ist, Unternehmen einen Rahmen und Märkte zu schaffen, damit sie in den planetaren Grenzen wirtschaften können.

An Wetterextreme vermögen wir uns anzupassen – an die Folgen der unscheinbarer ablaufenden Biodiversitätsverluste nicht. Vergiftetes Wasser und unfruchtbare Böden bedrohen uns existenziell. Darum greift es zu kurz, der Deutschland AG weniger Exportorientierung zu verschreiben und stattdessen Binnenwachstum. Das sind Rezepte von gestern. Wir brauchen etwas Neues. Neue Definitionen von Status, damit es niemand nötig hat, für dicke SUV zu schuften oder sich im Urlaub zehn Stunden in ein Flugzeug zu quetschen, um zu entspannen. Neue Konzepte für Städtebau, Ernährung, Mobilität, die weniger Raum greifen und mehr Platz lassen für Natur.

Es war passend, dass die UN-Staaten in Cali verhandelt haben, an einem Ort mit einer der weltweit größten Artenvielfalt. Um dem reichen Norden begreiflich zu machen, was seine politische Agenda sein müsste, war Cali aber wohl doch zu weit weg.

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Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
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