Eine neue Partei muss her: Volle Kraft nach Westen!
Jetzt treten lauter Linke aus ihren Parteien aus. Aber wo wollen sie hin? Ganz einfach: Es ist Zeit für BWD – Bündnis West-Deutschland!
B ilder, auf denen menschliche Körper in Form von Kugeln oder Kästen dargestellt sind, oder Bilder, die aus bunten Farbspritzern bestehen, lösen in Menschen das Gefühl aus: Das kann ich auch.
Die moderne, abstrakte Malerei eines Pablo Picasso oder das Action Painting eines Jackson Pollock lässt diese Selbsteinschätzung auch bei solchen Menschen entstehen, die höchstens in den Kästen von Kreuzworträtseln kreativ werden oder beim Telefonieren Zettel vollkritzeln.
Eine Selbstüberschätzung ist es dennoch nicht. Gerade das Unbewusste dieser Nebenbeizeichnungen gilt in den Spielarten des Surrealismus oder des Expressionismus als Ausdruck tiefer Emotionen, als authentisches Abbild des Individuellen.
Doch anstatt sich daran zu freuen, entsteht bei vielen Betrachter*innen das Gefühl der Ungerechtigkeit. Wieso werden Leute für etwas bezahlt, was nichts Besonderes ist, was jeder kann, was aber anders als das Supermarktregaleeinräumen oder das Mülltonnenleeren scheinbar nutzlos ist und trotzdem viel besser bezahlt?
Die große Schwester des Ressentiments
Es ist ja nicht ganz falsch und so wurde die Haltung „Kunst ist kacke“ zwischendurch auch unter Kulturschaffenden trendy („Ist das Kunst oder kann das weg“). Daran, dass die Kunst bestaunt, die Supermarktkassiererin aber höchstens bemitleidet wird, hat sich dennoch nichts geändert.
Sicher aber spielt in der Distanz gegenüber der abstrakten Kunst immer auch die Abwehr gegen das Verspielte, Zerstückelte, Komplizierte, Fragmentarische eine Rolle und ist mit dem Bedürfnis nach einfachen Antworten und klaren Weltbildern von Gut und Böse verbunden – Dingen, die in der Realität leider zu den seltenen Arten gehören.
Die Abneigung gegen die abstrakte Kunst ist die große Schwester des Ressentiments gegen die „etablierte“ Politik: Versager, Hochstapler, Lügner – was die da machen, kann ich besser. Inszeniert als politischer Widerstand ist der Austritt aus Parteien oder Vereinen derzeit die ganz große Nummer, in Deutschland zurzeit unter jugendlichen Grünen, Linksparteipolitiker*innen und anderen Vereinsmitglieder*innen.
Kurzfristig können die Ausgetretenen zwar ihre Mandate als Parteilose absitzen oder sich auf Bäume hocken und gegen Habeck stänkern. Aber schon mittelfristig brauchen sie eine neue Bühne. Und da gibt es momentan nur zwei Alternativen: Influencer*in auf TikTok werden oder eine neue Partei gründen.
Im Rest Europas ist die Gründung neuer Listen und Parteien, auch von bisherigen Nichtpolitiker*innen seit etlichen Jahren normal. In Deutschland beginnt dieser Trend erst und wird oft als bedrohlich wahrgenommen.
Warum eigentlich? Man kann doch nicht einerseits Picasso oder Kandinsky für Mut, Pionierhaftigkeit und Uneindeutigkeit feiern und gleichzeitig wollen, dass sich in der politischen Parteienlandschaft nichts ändert. Es riecht nach Gründerzeit und die sollte man nicht den Rechten überlassen.
Ich hätte da einen Vorschlag: BWD – Bündnis West-Deutschland.
Ernsthaft. Der Osten hat seine Bahnhöfe, Innenstädte und Umgehungsstraßen schön. Aber Leverkusen, Castrop-Rauxel, Rüsselsheim? Schulen, Brücken, Straßen, Schienen, Internet – Westdeutschland ist auf dem Weg, ein Schwellenland mit bröselnder Infrastruktur zu werden. (Nein, der Einsturz der Carolabrücke in Dresden belegt nicht, dass es auch im Osten schimmelt. Schuld an der Korrosion war Experten zufolge: das Streusalz der DDR.)
Es ist eine Frage der Zeit, wann der Westen, der bisher eher schulterzuckend die Beschwerde des Ostens zur Kenntnis nimmt, keinen Bock mehr hat. Politiker*innen und Aktivist*innen, die sich zurzeit heimatlos fühlen: Westdeutschland ist noch zu haben. Holt es euch, bevor es die AfD tut.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument